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|26|Jucken und beißen

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Schwaben werden nicht nur von Hunden, Katzen und Flöhen gebissen, sondern auch von ihren eigenen Körperteilen. Beißen die zu arg, täte man gern ins Bad jucken.

„Wenn’s vorne juckt und hinten beißt, nimm Klosterfrau Melissengeist.“ Diese Volksweisheit könnte schwäbischer Herkunft sein, auch wenn sie sich, schwäbisch ausgesprochen, nicht recht reimen will. Was dennoch für eine schwäbische Autorenschaft spricht, ist, dass die hiesige Gepflogenheit, jucken durch beißen zu ersetzen, der Standardsprache ebenso fremd ist wie die unpersönliche Form „es beißt“ oder die Klage: „Mi beißt’s!

Wer oder was beißt? Antworten wie „mein Zaie“ (Zeh) oder „mei Ohrläpple“ rufen, da diese wie die meisten anderen beißenden Körperteile keine Zähne besitzen, unter Nichtschwaben Erstaunen hervor.

Natürlich kennen die Schwaben beißen auch im klassischen Sinne des Zubeißens. Darüber hinaus aber beschreibt beißen im Schwäbischen – anders als im Schriftdeutschen – ebenso den Kauvorgang. Denn das Wort „kauen“ ist im Schwäbischen weniger gebräuchlich. So ermahnen die Eltern ihre Kinder, sie sollen den harten Brotriebel oder das zähe Schnitzel „fescht beiße“. Das schriftdeutsche Sprichwort „Gut gekaut ist halb verdaut“ lässt sich daher im Schwäbischen viel prägnanter (und derber) reimen: „Gut bisse isch halb g’schisse.“

Neben menschlichen oder tierischen Zähnen können Substanzen wie etwa Rauch auch im Schriftdeutschen beißen, aber eben nur, wenn sie beißenden Schmerz verursachen. Im Schwäbischen hingegen beißen selbst harmlose Insektenstiche, lästige Ekzeme und wollene Strümpfe.

|27|Warum beißen sie anstatt zu jucken? Das mag damit zusammenhängen, dass jucken im Schwäbischen eine andere Bedeutung hat, die dem schriftdeutschen „springen, hüpfen“ entspricht. Im Kinderzimmer juckt ’s Ziefer in de Bette rum, beim Bungee-Jumping juckt ma vom Fernsehturm naa, und wer vor Freude in die Luft springt, tut an Juck oder Jucker. Dieses jucken ist keine schwäbische Erfindung, sondern wohl die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, die sich dann im Schriftdeutschen in den Bereich der Hautreizungen zurückgezogen hat.

Nicht verschwiegen werden darf eine weitere, rein schwäbische Konnotation von jucken, die Fischers Schwäbisches Wörterbuch nur in lateinischen Vokabeln (futuere, coire) sich wiederzugeben traut. Dieser Umstand verrät auch Nicht-Lateinern, welches deutsche Wort damit vermieden wird. Wie konnte jucken einen solchen Sinn erhalten? Vielleicht durch einen anderen, den auch das Schriftdeutsche kennt, nämlich (sich) jucken im Sinne eines Sich-Reibens, um einen vorhandenen Juckreiz zu beseitigen.

Aber da diese frivole Bedeutung weitgehend in Vergessenheit geraten und nur noch in den Nachschlagewerken präsent ist, braucht sie heute niemanden mehr zu jucken. Und damit juck!

Dem Schwaben sein Dativ

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