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|12|Der Schwabe – ein Hochdeutscher

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„Meine Enkel schwätzet nach der Schrift!“ Diese häufig gehörte Klage aus dem Munde alter Schwaben bedeutet auf Schriftdeutsch, dass die Kinder dialektfrei sprechen.

Was die schwäbische Redewendung nach der Schrift schwätzen bedeutet, ist nicht schwer zu erraten. Es ist das Gleiche wie „Schriftdeutsch reden“. Warum haben die Schwaben – ganz entgegen ihrem sonstigen Sprachverhalten – statt dieser schlichten Form die etwas umständlichere und wortreichere gewählt? Bemerkenswert ist zudem, dass diese Wendung das Wort „Hochdeutsch“ ersetzt und somit vermeidet. Hat dies tiefere Gründe?

Auch darüber kann man nur spekulieren und unter Zuhilfenahme einiger Viertele zu folgendem Schluss gelangen: Wenn man „Schwäbisch“ und „Hochdeutsch“ als Gegensatzpaar begreift, bedeutet dies zwangsläufig, dass „Schwäbisch“ das Gegenteil von „Deutsch“ und überdies von „hoch“ wäre – also „niedrig“.

Ein erniedrigendes Ergebnis. Es fällt ein klein wenig, aber eben nicht sehr viel erhebender aus, wenn man statt „Hochdeutsch“ „Schriftdeutsch“ sagt. Demgegenüber lässt die Wendung nach der Schrift den Verdacht, „Schwäbisch“ stehe im Gegensatz zu „Deutsch“, gar nicht erst aufkommen.

Auch in sprachwissenschaftlicher Hinsicht trifft die Formulierung nach der Schrift eher zu als das Wort „Hochdeutsch“, welches auch die Mundartforscher vermeiden und durch „Schriftdeutsch“ oder „standardsprachlich“ ersetzen – aus gutem Grund. Denn streng genommen ist Schwäbisch das eigentliche Hochdeutsch!

Zum Begriff „Hochdeutsch“ stellt das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm fest: „Zunächst hat das Wort und das dazu gehörige Substantiv ‚Hochdeutschland‘ eine rein geographische Bedeutung |13|und ist in dieser seit dem 15. Jahrhundert nachweislich gang und gäbe.“ Deutschland war grob unterteilt in Nieder- und Hochdeutschland. Wer die Hochdeutschen waren, definierte Sebastian Franck 1538 in seinem Buch „Germaniae Chronikon“: „Mitler Zeit sind die Alemani die Hochteutschen, da itz sind Schwaben, Schweitz und Beyern.“

Infolgedessen wurden auch die Mundarten dieser Gebiete als „hochteutsch“ bezeichnet. Allerdings wurde dieser Begriff daneben schon recht früh auf die Kanzleisprache angewandt. Das führte schließlich dazu, dass der Gelehrte Johann Bödiker (1641–1695) in seinen „Grundsätzen der teutschen Sprache“ für die Dialekte des höher gelegenen Teiles von Deutschland die Gesamtbezeichnung „Oberdeutsch“ prägte, die bis heute gilt.

Damit ist bewiesen, dass die Schwaben im Grunde die wahren Hochdeutschen sind und es schon waren, als die Vorfahren jener, die sich heute zugutehalten, „Hochdeutsch“ zu sprechen, noch plattes Niederdeutsch von sich gaben.

Ob das allerdings jene Schwaben tröstet, deren Enkel nach der Schrift schwätzen, ist eine andere Frage.

Dem Schwaben sein Dativ

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