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cc) Das Vorliegen einer Regelung
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Es muss sich um eine hoheitliche Regelung der Behörde handeln. Unter einer Regelung ist dabei eine Entscheidung zu verstehen, welche die Begründung, Änderung, Aufhebung, aber auch die verbindliche Feststellung von Rechten und Pflichten sowie von rechtserheblichen Tatsachen und Eigenschaften zum Gegenstand hat (ähnlich Schoch-Pietzcker/Marsch, § 42 Abs. 1, Rn 25). Auch eine vorläufige Regelung, die auf der Basis eines noch nicht abschließend ermittelten Sachverhalts und unter dem Vorbehalt einer neuen Entscheidung unter Zugrundelegung des endgültig ermittelten Sachverhalts ergeht, genügt für das Vorliegen eines Verwaltungsakts (sog. vorläufiger Verwaltungsakt)[14].
Große Bedeutung kommt dem Gesichtspunkt der Regelung als Abgrenzungskriterium zwischen Verwaltungsakt und tatsächlichen Handlungen (Realakten oder sog. schlichtem Verwaltungshandeln[15]) zu, die eines Regelungselements entbehren. Letztere gewinnen in Gestalt des informellen Verwaltungshandelns zunehmend an Bedeutung (hierzu m. eingeh. Nachw. Brohm, DVBl. 1994, 133 ff). Realakte sind zB durch eine Behörde erteilte Ratschläge, Hinweise, Mitteilungen (zu Ausnahmen Rn 214), Warnungen oder Empfehlungen, ferner etwa Gutachten, Untersuchungsberichte, eine Dienstfahrt oder Immissionen. Dasselbe muss grundsätzlich auch für die Ablehnung der Vornahme eines Realaktes gelten (vgl näher Kopp/Schenke-W. Schenke, Anh. § 42, Rn 40 ff; s. auch unten Rn 371), die idR nur als ein tatsächlicher Hinweis darauf zu verstehen ist, dass ein gegenüber der Verwaltung geltend gemachter Anspruch tatsächlich nicht besteht.
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Umstritten ist die Rechtsnatur polizeilicher Standardmaßnahmen[16]. Sie stellen sich meist (so die Beschlagnahme, die Durchsuchung, die Ingewahrsamnahme) als auf Duldung gerichtete und als solche vollstreckbare Regelungen dar, die mit einer tatsächlichen Handlung gekoppelt sind. Da die tatsächlichen Handlungen ihre Rechtsgrundlage in der getroffenen Regelung finden und im Verhältnis zu dieser nur eine unselbstständige Vollziehung darstellen, ist der Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte einschlägig (Kopp/Schenke-W. Schenke, Anh. § 42, Rn 35; s. auch unten Rn 371). Die heimliche Observation von Personen, das heimliche Abhören von Telefongesprächen (str.)[17] oder der polizeiliche Sofortvollzug bzw die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme sind dagegen schon deshalb keine Verwaltungsakte, weil die Bekanntgabe an den Betroffenen fehlt, die für eine Regelung zwingend erforderlich ist[18]. Sie verändern ihre Rechtsnatur auch dann nicht, wenn nachträglich eine Unterrichtung des Betroffenen erfolgt. Ebenso wenig ein Verwaltungsakt ist auch eine Gefährderansprache oder ein Gefährderanschreiben (Beaucamp, JA 2017, 728, 733 f). Nicht als Verwaltungsakte zu qualifizieren sind auch offene Dauerobservationen (v. Achenbach/Farahat, JuS 2017, 676, 678), ferner Vollstreckungsakte wie die Anwendung unmittelbaren Zwangs (zB der polizeiliche Schlagstockeinsatz, str.[19]) oder die Ersatzvornahme (zB Abschleppen eines Kfz wegen Nichtbeachtung eines Halteverbots)[20] (zur hiervon zu trennenden kommunalaufsichtlichen Ersatzvornahme Rn 242). Die auf W. Jellinek[21] zurückgehende Gegenauffassung, die auch hier auf Duldung gerichtete Verwaltungsakte konstruiert, überzeugt nicht. Solche Verwaltungsakte wären nämlich funktionslos, weil diese Vollstreckungsverwaltungsakte ihrerseits keiner Vollstreckung zugänglich sind. Die Konstruktion der Gegenmeinung wirkt überdies lebensfremd und ist auch zur Sicherung eines Rechtsschutzes nicht mehr nötig (Rn 204). Die Festsetzung eines Zwangsgelds oder die Pfändung einer Sache stellen hingegen unbestreitbar Verwaltungsakte dar. Die Androhung von Zwangsmitteln, die der Durchsetzung eines Verwaltungsakts dienen, der nicht auf eine Geldleistung, sondern auf ein sonstiges Handeln, Dulden oder Unterlassen gerichtet ist, ist immer ein Verwaltungsakt. Das ergibt sich daraus, dass nach den insoweit übereinstimmenden Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder die Androhung eines Zwangsmittels (vgl zB § 13 BVwVG) grundsätzlich Voraussetzung für dessen rechtmäßige Anwendung ist und folglich eine für die rechtmäßige Fortführung der Verwaltungsvollstreckung zwingend erforderliche Regelung trifft. Aus entsprechenden Gründen sind auch die Mitteilung an einen Gewerbetreibenden, dass die Löschung seiner Eintragung in die Handwerksrolle beabsichtigt sei (§ 13 Abs. 3 HandwO)[22], sowie die Androhung einer Abschiebung (s. auch § 36 Abs. 3 S. 1 AsylG) Verwaltungsakte.
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Kein Verwaltungsakt ist hingegen die Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen (etwa einer Pfändung) zur Durchsetzung eines auf eine Geldforderung gerichteten Verwaltungsakts. Nach den einschlägigen verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Regelungen ist eine solche Androhung nämlich insoweit rechtlich nicht geboten. Sie beinhaltet deshalb nur einen tatsächlichen Hinweis. Gleiches gilt für die Androhung eines vollstreckbaren Verwaltungsakts (zB einer Polizeiverfügung; zur Rechtsnatur der eine Vollstreckung einleitenden Vollstreckungsanordnung zB gem. § 3 Abs. 1 BVwVG s. Rn 251). Ebenso keine Verwaltungsakte sind ein polizeiliches Gefährderanschreiben wie auch eine Gefährderansprache, mit denen dem Adressaten nahegelegt wird, sich nicht an Demonstrationen (oder sonstigen Veranstaltungen) zu beteiligen, um zu vermeiden, dass er polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahmen ausgesetzt wird (OVG Lüneburg, NJW 2006, 391).
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Die Aufforderung, eine öffentlich-rechtliche Geldforderung zu begleichen, kann unterschiedlich auszulegen sein. Einerseits kann sie nur einen Hinweis auf eine bestehende Zahlungsverpflichtung und uU eine Mahnung darstellen. Andererseits kann sie aber auch als eine rechtsverbindliche Festsetzung der Zahlungsverpflichtung des Schuldners, gekoppelt mit einem Leistungsgebot, zu qualifizieren sein. Letzteres ist mit Sicherheit dann anzunehmen, wenn sie mit einer bei Verwaltungsakten üblichen Rechtsmittelbelehrung versehen oder als Bescheid bezeichnet wurde. Bleibt es nach der Auslegung zweifelhaft, ob eine Zahlungsaufforderung als rechtsverbindliche Regelung gewollt ist, so ist sie zu Gunsten des Bürgers auszulegen und deswegen nur als unverbindlicher Hinweis bzw ggf als Mahnung zu verstehen, die den Schuldner in Verzug setzen kann.
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Ein Verwaltungsakt ist auch gegeben, wenn die Behörde über das Bestehen der Voraussetzungen eines subjektiven öffentlichen Rechts entscheidet. Dementsprechend ist etwa die Eintragung in das Wählerverzeichnis, die Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts ist (vgl zB § 14 Abs. 1 BWG), ein (feststellender) Verwaltungsakt. Ein feststellender Verwaltungsakt liegt auch in der verbindlichen Feststellung einer rechtserheblichen Tatsache oder Eigenschaft (BVerwG, JA 2004, 524 f und Häussermann, JA 2004, 524 f).
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Problematisch ist das Vorliegen einer rechtlichen Regelung auch bezüglich der sog. wiederholenden Verfügung sowie des Zweitbescheides. Bei der wiederholenden Verfügung wird nur auf den Inhalt eines früheren Verwaltungsakts verwiesen und deshalb bezüglich der in diesem getroffenen Regelung nicht erneut entschieden. Sie kann aber insoweit eine Regelung beinhalten, als mit ihr zugleich abgelehnt wird, nochmals in eine inhaltliche Überprüfung des früheren Verwaltungsakts einzutreten (s. nunmehr auch BVerwG, NVwZ 2002, 482 f). Letzteres ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Betroffene einen Antrag auf inhaltliche Überprüfung bzw Abänderung des vorher ergangenen Verwaltungsakts gestellt hat. Der Zweitbescheid dagegen regelt das erneut, was bereits Gegenstand des früher erlassenen Verwaltungsakts war. Er muss deshalb auf jeden Fall als Verwaltungsakt angesehen werden.
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Zweifelhaft ist es ferner, ob eine behördliche Aufforderung, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, einen Verwaltungsakt darstellt. Sofern hierdurch keine durchsetzbare Verpflichtung, sondern nur eine Obliegenheit begründet wird (aus deren Nichterfüllung nur im Rahmen der Beweiswürdigung negative Schlüsse für den Betroffenen gezogen werden dürfen), ist dies abzulehnen (OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2020, 48, 49 mwN). Deshalb ist die dem Inhaber einer Fahrerlaubnis gegenüber erfolgte verwaltungsbehördliche Anordnung nach § 13 FahrerlaubnisVO, ein Gutachten einer medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen, kein Verwaltungsakt[23]. Entsprechendes gilt, wenn der sich um eine Beamtenstelle Bewerbende durch den Staat aufgefordert wird, sich einem HIV-Test zu unterziehen[24]. Dagegen stellt die auf § 44 Abs. 6 BBG gestützte Aufforderung des Dienstherrn an einen Beamten, sich auf seine Dienstfähigkeit hin amtsärztlich untersuchen zu lassen, einen Verwaltungsakt dar, da hierdurch für den Beamten eine Verpflichtung begründet wird, deren Nichterfüllung disziplinarrechtlich geahndet werden kann (s. Kopp/Schenke-W. Schenke, Anh. § 42, Rn 30; aA aber BVerwG, NVwZ 2013, 1619, 1620; 2020, 312 ff).
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Rechtsverbindliche Regelung und damit Verwaltungsakt ist auch die in den Kommunalgesetzen der Länder vorgesehene rechtsaufsichtsbehördliche Beanstandung einer Verhaltensweise der Gemeinde bei der Wahrnehmung ihrer eigenen Angelegenheiten. Die Beanstandung regelt nämlich – ähnlich wie die Androhung von Zwangsmitteln im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung – eine rechtliche Voraussetzung für weitere behördliche Maßnahmen, zB eine Ersatzvornahme oder eine rechtsaufsichtsbehördliche Aufhebung (dazu, dass die Regelung auch auf Außenwirkung gerichtet ist, s. Rn 242).
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Die Rechtsnatur von Auskünften ist umstritten. Das BVerwG will danach differenzieren, ob der Schwerpunkt des behördlichen Handelns in der Erteilung oder Versagung der Auskunft als solcher liegt oder in der hierin zum Ausdruck gebrachten Rechtsentscheidung über die Auskunftserteilung. Nur Letztere beinhalte eine verbindliche Regelung über das Auskunftsverlangen[25]. Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Es bleibt unklar, wie festgestellt werden soll, wo der Schwerpunkt einer Auskunftserteilung liegt. Würde man die Ansicht des BVerwG konsequent zu Ende denken, so müsste zudem in jeder Ablehnung der Vornahme eines Realakts schwerpunktmäßig eine rechtsverbindliche Regelung gesehen werden, womit vom Vorliegen eines Verwaltungsakts auszugehen und damit an Stelle einer allgemeinen Leistungsklage eine Verpflichtungsklage einschlägig wäre (dazu auch iVm der allgemeinen Leistungsklage unten Rn 371). Eine Auskunft ist daher idR ein Realakt.
Dem Gesetzgeber bleibt es aber freigestellt, die Entscheidung über die Erteilung einer Auskunft als einen Verwaltungsakt auszugestalten, wie dies zB für die Entscheidung über die Erteilung einer Umweltinformation nach§§ 3 Abs. 1 S. 1, 6 Abs. 2 UmweltinformationsG (UIG) oder für die Entscheidung über einen Antrag auf Zugang zu amtlichen Informationen gem. § 9 Abs. 4 InformationsfreiheitsG des Bundes (IFG) zutrifft[26].
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Keine eigenständigen Regelungen, sondern Teile eines Verwaltungsakts sind die Nebenbestimmungen des § 36 VwVfG (Rn 312 ff). Ob eine einzelne Prüfungsnote ein Verwaltungsakt ist, richtet sich nach der jeweiligen Prüfungsordnung (BVerwG, NJW 2012, 2901). Kein Verwaltungsakt ist die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr 4. Sie ist nur Annex eines solchen (Rn 1046).