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dd) Die Einzelfallregelung
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Ein Verwaltungsakt liegt nur dann vor, wenn eine Regelung sich auf einen Einzelfall bezieht. Die Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt hingegen eine Rechtsnorm dar. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Handlungsformen der Verwaltung wird durch § 35 S. 2 VwVfG erleichtert. Danach ist auch dann ein Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung gegeben, wenn sich eine Regelung an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Nutzung durch die Allgemeinheit betrifft. Durch diese Regelung ist nunmehr eine Reihe früher sehr umstrittener Abgrenzungsprobleme gesetzlich geklärt (s. näher Schoch, Jura 2012, 26 ff).
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Als Allgemeinverfügung ist danach das ein Gebot oder Verbot enthaltende Verkehrszeichen zu qualifizieren (dagegen beispielsweise nicht der bloße Hinweis auf eine gefährliche Kurve), weil es die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache wie auch ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft[27]. Nicht mehr herangezogen werden muss deswegen die frühere Argumentation, ein solches Verkehrszeichen müsse deswegen ein Verwaltungsakt sein, weil es an die Stelle eines Polizisten trete, der den Verkehr regele und damit unstreitig Verwaltungsakte erlasse (s. aber iVm der analogen Anwendung des § 80 Abs. 2 Nr 2 auf Verkehrszeichen Rn 1042). Aus § 35 S. 2 VwVfG erklärt sich auch, dass eine straßenrechtliche Widmung (zB § 2 Abs. 1 FStrG) und die Umbenennung einer Straße[28] als Verwaltungsakte anzusehen sind. Ebenso ist die Schließung einer Schule (s. BVerfGE 51, 268, 273) ein Verwaltungsakt, weil sie die Benutzung einer öffentlichen Sache regelt.
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Einen wichtigen Beitrag zur Abgrenzung von Verwaltungsakt und Rechtsnorm liefert § 35 S. 2 VwVfG auch durch die Klarstellung, dass es – vorbehaltlich von Spezialregelungen – für das Vorliegen einer Rechtsnorm noch nicht ausreicht, wenn sich eine Regelung an einen im Vorhinein nicht bestimmten Personenkreis richtet. So ist zB das Verbot einer bestimmten Versammlung nicht als Rechtsnorm anzusehen, insbesondere auch nicht deswegen, weil nicht feststeht, wer an dieser bestimmten Versammlung teilnehmen möchte, mithin im Voraus nicht abzusehen ist, wie viele Personen von dem Verbot betroffen sind. Anderes würde hingegen dann gelten, wenn das Verbot alle Versammlungen zum Gegenstand hätte, auf die bestimmte, abstrakt umschriebene Tatbestandsmerkmale zuträfen, also zB alle Versammlungen, bei denen rote Fahnen gezeigt werden.
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Auch außerhalb des § 35 S. 2 VwVfG hat der Gesetzgeber die Streitfrage, ob eine bestimmte Regelung als ein Verwaltungsakt anzusehen ist, teilweise autoritativ geklärt. So beendete § 10 Abs. 1 BauGB, demgemäß der Bebauungsplan als Satzung anzusehen ist, einen jahrzehntelangen Streit über die Rechtsnatur von Bebauungsplänen (zur differenziert zu beurteilenden Rechtsnatur von Flächennutzungsplänen s. Rn 251 u. Rn 951 sowie Schenke, NVwZ 2007, 134, 135 ff). Umgekehrt schloss das BVerwG, DÖV 1985, 109, aus der gesetzlich zugelassenen Individualbekanntmachung einer durch den Bundesverteidigungsminister erlassenen Schutzbereichsanordnung auf deren Verwaltungsaktscharakter (dazu Schenke, JZ 1996, 1009).
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Bei solchen im Grenzbereich von Verwaltungsakt und Rechtsnorm angesiedelten staatlichen Regelungen bestehen auch unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsprinzips keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzgeberische Bestimmung ihrer Rechtsnatur. Das gilt jedenfalls sicher für bundesrechtliche Vorschriften, die den bundesrechtlichen Begriff des Verwaltungsakts nicht nur für das materielle Recht, sondern auch für das Prozessrecht festlegen. Trotz der bundesrechtlichen Vorgaben des § 42 ist dies aber auch in abgeschwächtem Umfang für entsprechende landesrechtliche Normierungen anzunehmen. Die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Form einer hoheitlichen Regelung beeinflusst hier häufig zugleich deren Inhalt[29] (s. auch Rn 955). Sieht der Gesetzgeber etwa vor, dass der Regionalplan in der Form einer Rechtsverordnung oder Satzung erlassen wird (so § 7 Abs. 2 SächsLPlanG), so ist der Plan als Rechtsnorm anzusehen[30]. Das gilt auch dann, wenn er nur Grundsätze der Raumordnung und keine verbindlichen Ziele beinhaltet (BVerwG NVwZ 2004, 614 f; 2009, 1226). Soweit Grundsätze der Raumordnung nicht im Normgebungsverfahren erlassen werden, sind sie weder Rechtsnormen noch Verwaltungsakte (BVerwG, NVwZ 2009, 1226). Näher zur Rechtsnatur von Raumordnungsplänen s. Schenke, in: Kolloquium zum Gedenken an Hoppe, 2011, S. 73, 75 ff.
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Beispiel:
Für zwangsweise Änderungen des Gebiets einer Gemeinde sieht § 8 Abs. 3 und 6 BWGemO die Form eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung vor. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass durch solche Gebietsänderungen für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen die Anwendung des maßgeblichen Ortsrechts verändert werden soll. Deshalb scheiden nach der hier vertretenen Auffassung sowohl die Deutung einer solchen Gebietsänderung als ein gegenüber den beteiligten Gemeinden erlassener Verwaltungsakt wie auch die Annahme einer Doppelnatur[31] (Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde, Rechtsnorm gegenüber dem Bürger) oder gar einer Dreifachnatur (Verwaltungsakt, Rechtsnorm und Organisationsakt) aus (str.). Die These von einer Zwei- oder Mehrfachnatur einer solchen Gebietsänderung ist wegen der unterschiedlichen Fehlerfolgen, welche an die Rechtsnatur geknüpft sind, im Übrigen auch aus logischen Gründen nicht haltbar. Ein rechtswidriger Hoheitsakt kann nicht gleichzeitig als Rechtsnorm nichtig und als Verwaltungsakt rechtswirksam sein, wenn die gegenüber verschiedenen Personen getroffenen Regelungen untrennbar miteinander verbunden sind (s. auch Rn 242).
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Die für den Erlass einer Satzung erforderliche Genehmigung stellt gegenüber der die Satzung erlassenden öffentlich-rechtlichen Körperschaft einen Verwaltungsakt dar, der zwar im Rahmen eines Rechtsetzungsverfahrens ergeht, aber keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit gegenüber dem Satzungsadressaten beansprucht. Die Genehmigung ist deshalb im Verhältnis zum Bürger nur Rechtmäßigkeits- und Wirksamkeitsvoraussetzung der Satzung[32] und nicht selbst Rechtsnorm. Eine gegen die Genehmigung gerichtete Anfechtungsklage des Bürgers scheitert deshalb nicht am Fehlen eines Verwaltungsakts, sondern nur an seiner mangelnden Klagebefugnis (Rn 200, 517 ff, 535)[33].
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Die Bekanntgabe eines Sachverhalts enthält dann eine Regelung und ist dann ein feststellender Verwaltungsakt, wenn sich an diese Bekanntgabe Rechtspflichten knüpfen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine in einer Norm ausgesprochene Verpflichtung an die vorherige Feststellung eines bestimmten Sachverhalts anknüpft. So war zB die Bekanntgabe der wiederholten Unterschreitung der Mehrwegquote gem. § 9 Abs. 2 S. 2 VerpackungsVO aF durch die Bundesregierung ein feststellender Verwaltungsakt, weil erst dadurch die daran anknüpfenden Rücknahme- und Pfandpflichten entstanden (BVerwG, JZ 2003, 1004 ff m. Anm. Winkler). Ein Verwaltungsakt war auch die Bekanntgabe einer austauscharmen Wetterlage (Smog), an welche in landesrechtlichen Rechtsverordnungen bestimmte Verkehrsbeschränkungen geknüpft wurden (Jarass, BImSG, 6. Aufl. 2005, § 49, Rn 23, für Rechtsnormcharakter der Bekanntgabe hingegen Ehlers, DVBl. 1987, 972 ff).
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Beachte:
Ohne Bedeutung für die Abgrenzung von Einzelfallregelung und abstrakter Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen ist dagegen, dass eine Regelung aus einem konkreten Anlass heraus erfolgte, sofern diese Beschränkung auf einen konkreten Fall in ihr keinen Ausdruck gefunden hat und sie damit auch entsprechende andere Sachverhalte erfasst (str.)[34].