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30. September 1990

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Traum von meinem Vater. Er stand an meinem Bett, und schien sich zu entschuldigen, dass es ihm nie leicht gefallen sei, Liebe zu zeigen. Ich sagte: Ich hätte mir nicht vorgestellt, dass es ohne dich so schwer sein würde. Er umarmte mich, hob mich dabei hoch. Ich war wohl wieder ein Kind. Die Tränen schossen mir in die Augen. Aber es war klar, mir würde Kraft zuwachsen. – Zu denken, was für ein verhutzelter Männerembryo er war, als ich ihn zuletzt lebend sah.

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Aus Mexiko Bolívar Echeverría zu Besuch. Er sprach über die arabische Gegenmodernisierung als Reaktion auf schlechte Modernisierung. Sieht den deutschen Kapitalismus in der Pflicht, den Osten bis Sibirien zu modernisieren und sich zu subsumieren.

Weil Subsistenz nicht viel mehr als nichts kostete, sei die Arbeitskraft in der DDR keine Ware gewesen. Die sozialistischen Länder hatten die Grundversorgung als Ziel. Dagegen sieht Bolívar heute im Sozialismus die Perspektive der Befreiung des Marktes. Folglich habe Lenin unrecht, wenn er in der Ware schon das Kapital angelegt sieht. Man müsse den Einschnitt zwischen dem ersten und dem zweiten Abschnitt bei Marx ungeheuer stark lesen. Eingreifen heiße zerstören; das Kapital greife ein. Kurz, Bolívar versucht, die Rehabilitierung des Marktes zu Marx zurückzuverlegen.

Fidel Castro sei im Kriegskommunismus befangen; ein Kapitän, der mit dem Schiff unterzugehen sich anschicke. Im Gegensatz dazu hält Bolívar die Regierungsabgabe der Sandinisten für »ganz logisch«. Ungeheuer wichtig, dass sie die Armee behalten haben. Die ökonomische Krise völlig ungelöst. Die Sandinisten suchen zusammen mit der bürgerlichen Regierung nach einer Lösung.

Bolívar erzählte vom »theoretischen Stierkampf« (corrida de toros) um Octavio Paz (Agnes Heller, Cornelius Castoriadis, Peter Sloterdijk und 15 andere): Das Ende des Kommunismus, Zeit des Liberalismus. Erhielten für ihre Inszenierung beste Sendezeiten. Die Linke eingeschüchtert. Carlos Monsiváis war der eingeladene Lizenz-Linke. Als er auf Paz, der alles erdenklich Schlechte von den Linken behauptet hatte, erwidern wollte, schnitt man ihm das Wort ab. Tags darauf replizierte er in La Jornada. In der Folge meldeten sich immer mehr Intellektuelle zu Wort, dazu der Politologenkongress. Pablo Gonzalez Casanova, der auf diesem Kongress eine Rede über die Lage der Sozialwissenschaften Lateinamerikas gehalten hat, soll zu Armando Hart gesagt haben: »In Kuba braucht ihr eine zweite Revolution.«

Die von Bolívar mitherausgegebene Zeitschrift Cuadernos Políticos unterbricht fürs erste ihr Erscheinen. »Wir brauchen zunächst einige Zeit zum Nachdenken.«

Bolívar arbeitet über Barock in Lateinamerika. Leitet die spezifische Diskursweise von diesem Phänomen her. Barock als Modernitätsform. Z.B. existiere die Bedeutung »nein« nicht. Um zu negieren, benützten sie »ja, ja«. Das Wesentliche wird im Nebensächlichen bedeutet.

Als erste Kulturpolitik der Geschichte sieht er die der Jesuiten des 17. Jahrhunderts: Dammbau gegen die Reformation.

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Zum »Veralteten« der DDR gehörte die Orientierung auf Schriftkultur. Das Buch. Die Zeitschrift.

Wieso der Platinpreis fällt: Man rechnet mit Rezession (Krise), daher mit weniger Investition in Umweltschutz, für den Platin gebraucht wird.

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