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12. Oktober 1990, Dubrovnik, Inter-University-Center

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West-östliches Seminar über Ästhetik und Politik

Valeri Podoroga über Eisensteins Gewalt-Ästhetik, die er sehr »russisch«, aber merkwürdigerweise mit Foucault (Überwachen und Strafen) artikuliert, vorführt. Aus Eisensteins »Streik«: Schlachthausszene mit Streikenden vs. Soldaten geschnitten. Zelebrierte Verstrickung. Ich komme mir diesseitig, ja hausbacken vor. Körperzauber: »Nur der zerstörte menschliche Körper kann die Grenzen seiner Expressivität realisieren.« Protoplasmatische Körper: alles Solide zerstört und rekonstruiert, so dass sie Spuren oder Erinnerung der Zerstörung an sich tragen.

Die unheimliche Arbeit am Bild. Die Wahrheit über das Nehmen desselben. Das zeitaufwendig Hochkomponierte dem flüchtig-momentanen Verbrauch dargeboten, der nicht anders kann, als sich unmittelbar absorbieren zu lassen.

Man schießt Fotos. Aufnahme konnotiert anders: a take. Im Gebrauch liegen die Grenzen anders.

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Vor allem seinetwegen habe ich Fred Jamesons und Susan Buck-Morss’ Einladung angenommen: Merab Mamardaschwili aus Tbilisi. Nelly Motroschilowa hatte von ihm respektvoll geraunt. Vielleicht zehn Jahre älter als ich, kahl, an Foucault erinnernd und im Gestus etwas Französisch-Mediterranes. 1946, »im dunkelsten Tunnel«, entschloss er sich (kam ihm »der Funke in den Sinn«), ein linguistisches Fenster aufzumachen: lernte Englisch, und zwar mittels eines Radios Marke Mende (Nordmende?). Die Bücher, die nicht da sein sollten und sich doch einfanden: Dickens, Hemingway, wurden zu Stützpunkten einer anderen Weltmöglichkeit. Später lernte er Französisch, Italienisch, Spanisch; er liest Deutsch.

Die Brücke zwischen Ost- und Westintellektuellen muss gebaut werden, sage ich. Ja, erwidert er, und sie kann nur persönlich gebaut werden, im Gespräch. – Deshalb bin ich hergekommen, sage ich. Aber das Gespräch ist rätselhaft schwierig.

Unser (westlicher) Marxismus hat vielleicht die gleiche Funktion wie ihr (östlicher) Mystizismus: Distanznahme im Verhältnis zur legitimierenden Macht des Faktischen der Herrschaft.

Das Gefühl, dass auch ich meine Art von Rückzug antreten muss, aber in der widerständigen Materie einer sozialen Denkwelt, deren Besseres niemals preisgegeben werden darf.

Valerij Podorogas Interesse für die Ästhetik des Schreckens – Bohrer wäre sein Gesprächspartner. Ich verstehe nur vage und per analogiam, warum dieses Thema, und warum so? Ich müsste seinen archimedischen Interessenspunkt suchen, um ihn durch Kritik zu verstehen. Variante des Gefühls der Ohnmacht im Verhältnis von Diskursformationen: nicht kritisieren zu können. Hermeneutischer Stierkampf. Vorm Untergehen suche ich mich zu retten, indem ich mitten im unverstandenen Vortrag Notizbuch führe – wie früher im Café. Die anderen mögen denken, ich schriebe mit. So trage ich bei zum Seminarbluff.

Merab bricht in den hermetischen Diskurs durch Vergleiche ein, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Behandlung des Auges bei Eisenstein im Unterschied zu Buñuels Chien andalou.

Valerij fasziniert von Hitlers Megalomanie, der phantasmatischen Architektur, den Plätzen, die von der Masse auszufüllen, die nur in Simulation leben könne. Bei Eisenstein das Schafott in die Inszenierung geschlüpft.

Fred Jameson versucht, seinen westmarxistischen Diskurs anzuknüpfen, spricht von der unaufhebbaren Spannung zwischen Freud und Marx, von der Frage, ob Gewalt aus der Kindheit oder aus der gesellschaftlichen Umgebung komme, aber das bleibt äußerlich. Podoroga repliziert mit der Produktivität der Gewalt. Jeder von uns, jede Epoche, habe einen eigenen Gewaltstil.

Jameson kann als fast plumper Vertreter gesunden Menschenverstandes ungemein imponieren. Man ahnt das US-Milieu, die Konkurrenzen und Gremien, worin er trotz seines Marxismus seinen Weg gemacht hat.

Die Gruppe »Objektive Philosophie« zieht die Worte Mumie und Simulakrum zu »Mumakrum der Macht« zusammen, und meint damit das Lenin-Mausoleum. Großes Gelächter bei einigen Moskauern. Das inspiriert Merab, einen Witz von 1954 zu erzählen, als Stalin noch neben Lenin im Mausoleum lag. Fragt einer, wer ist das? Antwort: Stalin. Und, auf den einbalsamierten Lenin deutend, wer ist das? Antwort: Stalins Lenin-Orden.

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