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14. Oktober 1990, Sonntag

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In der International Herald Tribune von vorgestern ein Abgesang von William Pfaff auf Reaganomics und Thatcherismus (»The Economics of Innocence Gets its Comeuppance«, ursprünglich für die Los Angeles Times geschrieben). Nicht der Appell an den Eigennutz sei ihre stärkste Zugkraft gewesen, sondern ihre »Unschuld«, ihr »Rousseauismus«: die gute Natur korrumpiert durch menschliche Einmischung … Pfaff reflektiert nicht darüber, dass hier unter »Natur« das Gewimmel menschlichen Wirtschaftshandelns gedacht wird, während »der Mensch« für den intervenierenden Staat steht. Diese Eigentümlichkeit zu analysieren, würde den Diskurs zu weit führen. Er will ja nicht auch nur den Schatten eines Zweifels auf die kapitalistische Wirtschaftsform werfen, sondern innerhalb derselben eine etwas andere Wirtschaftspolitik. Das Ende der Reaganomics sei vergangenen Freitag gekommen, als George Bush »shut down the American government for lack of money to pay to go on«, womit Thatchers Kapitulation vor der deutschen Währungspolitik zusammengefallen sei. In England die Zinsen heute so hoch und der Wirtschaftszustand so schlecht wie damals, als Thatcher zur Macht kam; die Inflation doppelt so hoch wie bei den westeuropäischen Konkurrenten. In den USA war die Illusion geschürt worden, man könne alles haben, ohne zu bezahlen: »Weltführungsrolle, hohe Militärausgaben, Raumforschung, old-age-entitlements, billiges Benzin, Sparkassenbetrug (Savings-and-Loan-Krise), Armeen an den Golf«. Umsonst, weil man glaubte, Steuersenkung würde die Konjunktur anheizen und das Steueraufkommen vergrößern. Der Thatcherismus nicht so naiv. »Er war eine harte Doktrin gnadenloser Privatisierungen, dem Markt überlassend, was immer ihm überlassen werden konnte: Flüge & Züge, Wasser & Strom, Gesundheit, Kunst, Unterhaltung, Bildung, Forschung, die Zukunft der Nation selbst«. Gewaltsame Operationalisierung von Adam Smith: »Es machte ein Prinzip der theoretischen Ökonomie zu einer operationalen Doktrin.« Annahmen: Effizienz als solche = gesellschaftlich nützlich, ja sogar ethisch gut. Jetzt flottieren die Zinsen für Hypotheken auf Grundbesitz, d.h. die Eigenheimbesitzer müssen bluten. Das geht an den englischen Nerv.

Die Kritik von links hatte immer gelautet: Institutionalisierung und Ausbeutung des Eigennutzes mit dem Effekt, die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen. Pfaff haut sie mit ihren Waffen: sie sind im Grunde vom selben Schlag, aus dem die »Saint-Justs, Lenins und Pol Pots« entspringen. Prima! Nun haben die Kritiker ihr Fett weg, und niemand soll merken, dass Pfaff sich in den Aporien des Kapitalismus herumtreibt.

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Dragan über die jugoslawischen Verhältnisse: 1000 DM vor einem Jahr noch ein Vermögen, jetzt kaum mehr viel. Die Löhne verdoppelt, aber die Preise verdreifacht. Sieht keine Chance. Eine unproduktive Gesellschaft.

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