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4. Oktober 1990

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Erhaschte Bruchstücke zweier Sendungen, von einer jener unzähligen »Talkshows« (welch ein Sprachbastard!) und einer Sendung aus Weimar, wo Jugendliche aus Erlangen und solche aus der DDR ihre Meinung sagen durften. Erstere gemütlich-langweilig. Die DDR-Jungen eine Überraschung: genau blickend, unberauscht.

»In den Schoß gefallen« ist den (uns) Deutschen diese Einheit. »Geschichte« passiv, tangential zur aktiven Geschichte: am Rande der Perestrojka.

Was versagt hatte: die Zentralverwaltung durch eine Staatspartei, die entsprechende Produktionsverhältnisse mit einem strukturhomologen politischen und ideologischen Überbau versah. Wenn eine Partei diktiert, dehnt sich der Staat überall dorthin aus, wo sie zugange ist, und holt auch die Diktierende in sich hinein. Die Parteiverhältnisse werden staatsförmig. Es ist ein absolutistischer Staat, der rekrutiert und kooptiert, gesichert durch universelle Kontrolle (informationelle Durchdringung, Disposition über Chancen und Sanktionen, Repression). Nicht feudal, aber absolutistisch: der moderne Fürst. Aufgeklärt, informiert durch Marx, Engels und Lenin: So hat mir das schon vor einem Menschenalter der Architekt Weise erklärt, einer der Erbauer der Stalinallee. Deren Symmetrie demonstriert eine absolute Generalvernunft. In ästhetischer Form drückt sie die reale Subsumtion der Gesellschaft unter den Staat aus.

Das Ersticken von Initiative antisozialistisch. Der Staat hochwidersprüchlich: unmittelbare Bedingung von Sozialismus und antisozialistische Tatsache in einem. Letztere hat den Sozialismus bestimmt.

Man müsste im öffentlichen Diskurs das interessierte Amalgam aus Kapital und dezentraler Handlungsstruktur auseinanderlegen. Zumal die Imperien des transnationalen Kapitals Transversalstaaten sind, die Profitkriterien als Korrekturinstanz gegen bloßen Administrationismus haben.

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Verfassungsgerichtsurteil: Spontan sagte ich mir, »es gibt noch Richter«. Bei zweitem Überlegen: das Urteil auch ein Schachzug gegen die SPD. Diese hatte ja vor allem die Ausschaltung der Linkskonkurrenz PDS betrieben, um widerstrebende Linke zu zwingen, wieder einmal das kleinere Übel SPD zu wählen. Nun werden die Stimmen sich aufsplittern, und die linken Teile werden sich nicht wie Teile einer Linken verhalten können. Dennoch das Urteil gut für die Linke, zumal der Sieg der Konservativen ohnehin gesichert erscheint. Wenigstens Aspekte von Übergang, Experiment und Neuerungschance werden gegeben sein.

Vom DDR-Staat schreibt Fromme in der heutigen FAZ, dass er »den Zugang zum Innern des Menschen nicht fand«. Reißmüller, unzufrieden damit, dass Bundespräsident von Weizsäcker der Jugendrevolte von 1968 »ein demokratisches Verdienst« zugesprochen hat: »Auf den roten Fahnen der Marschierer von damals stand nicht Demokratie, sondern Gewalt, Rohheit, Zerstörung.« Sehen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in spätbourgeoisen Augen so aus?

Der Vizepräsident der Bundesbank (Schlesinger): Die konjunkturellen Voraussetzungen der BRD für die »Vereinigung« »könnten kaum besser sein«.

Die FAZ, in der noch immer Konzerne in ganzseitigen Anzeigen Deutschland (be)grüßen, verbraucht unendlich viel Platz für Stimmungsberichte. Eine große nationale Sektparty hält an. Nichts spiegelt sich in solchen Medien von der Skepsis vieler. Bei Butter-Beck murmelte die Verkäuferin am 2.10.: »ein Trauertag«.

Im ZDF die erste Sitzung des um Volkskammerabgeordnete erweiterten Bundestags. Dass Ullmann und Gysi ihre Jungfernreden hielten, wurde erwähnt, aber kein Wort davon gesendet, nur die beiden Kahlköpfe wurden gezeigt. Im Ost-Fernsehen dagegen kriegte jeder ein paar Sekunden. Man hat die dortigen Redakteure noch nicht ausgewechselt.

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