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Zeit zum Nachdenken

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Die vielen Reaktionen auf meine Bücher und meine Vorträge haben eines gemeinsam: Es schreiben mir durchwegs Menschen, oder sprechen mich an, die einiges, manche viel mitgemacht haben und die mit der Zeit bereit waren zu einer Veränderung. Bereit zum Umdenken und »Um-Handeln«, um ein einziges Ziel, einen angestrebten Zustand zu erreichen: ihre Lebensqualität zu heben. Nach dem Motto: »Es geht mir von Tag zu Tag in jeder Hinsicht besser und besser!« Es sind Menschen, die eine Veränderung beschlossen, (durch-)gemacht und damit auch erlebt haben. Mitmenschen, die gesagt haben: »Es reicht!« Bei ihnen war eine gefühlte Grenze der Leidensfähigkeit erreicht. Dieses Limit muss erreicht werden, weil es sonst heißt: »Ich kann nicht, ich schaffe das nicht!« Nicht können heißt nicht wollen, das sollte uns klar sein. Das ist so. Das hat mir der berühmte Suchtforscher und Psychiater Prof. Michael Musalek schon vor Jahren in diversen Interviews erklärt. Und er hat recht damit. Wenn ich formuliere »Ich kann nicht«, heißt das im Klartext, dass ich (noch) nicht bereit bin, etwas zu verändern, dass ich keine Veränderung möchte. Da fällt mir eine Kurzgeschichte ein:

»Nach vielen Jahren eines langen Schlafes wacht Dornröschen eines Tages auf. Doch niemand ist da, um sie zu erlösen. So schläft sie wieder ein. Jahre vergehen und Dornröschen wacht wieder auf. Sie schaut nach links und rechts, nach oben und unten, aber wieder ist niemand da – weder ein Prinz noch ein Gärtner, der sie retten will. Und so schläft sie wieder ein. Schließlich wacht sie zum dritten Mal auf. Sie öffnet ihre schönen Augen, kann aber abermals niemanden erblicken. Da sagt sie zu sich selbst: ›Jetzt reicht’s!‹, steht auf und sie ist erlöst.«4


Jede Veränderung verursacht Schmerzen, manchmal sogar heftige, und das ist, wie du wahrscheinlich, nein, wie du ganz sicher weißt, sehr unangenehm. Und dieses Unangenehme, Unerwünschte, Unerquickliche, das wollen wir verständlicherweise nicht, wir möchten in unserem gefühlten Innersten gar nicht heraus aus unserer scheinbar so behüteten, gemütlichen Welt, und weißt du, warum? Unser Unterbewusstsein signalisiert uns: »Es war doch immer schon so!« oder »Früher war alles besser!« Dieses »Früher war alles besser« ist meiner Meinung nach ein unfassbarer, hanebüchener Unsinn, das haben uns unsere Eltern, unsere Großeltern, das haben uns zurückliegende Generationen eingetrichtert, sie haben uns geradezu manipuliert und immer wieder, redundant wie eine tibetische Gebetsmühle, diese eine Botschaft verkündet. Und die stimmt ganz einfach nicht. Es war früher gar nichts besser, im Gegenteil. In meinem Fall war es das nicht und in deinem vermutlich auch nicht.

Wenn du halbwegs »normal« (was ist das?) aufgewachsen bist, hoffentlich ohne psychische und physische Gewalt, dann ist ja schon sehr viel Positives in deiner Entwicklung passiert. Unsere Vorfahren haben sich – wieder im Normalfall – gut um uns gekümmert, aber, liebe Leserin, das ist auch ihre verdammte Pflicht. Sich um die Kinder zu kümmern, ist eine Verpflichtung! Sie zu begleiten, sie zu trösten, sie zu umarmen, ihnen beizustehen, zu jeder Tages- und Nachtzeit für sie da zu sein. Das müssen wertschätzende, liebende Eltern tun. Nicht alle sind so eingestellt, das wissen wir leider, aber das würde jetzt zu weit führen und ich bin jetzt auch gar nicht in der Stimmung, mich in dieses Thema zu vertiefen.

Unsere Eltern haben uns viel beigebracht, sie haben uns die Möglichkeit gegeben, dass wir lernen, dass wir Menschlichkeit, Benehmen, Bildung, Motivation etc. erfahren und bekommen und dass wir das Gelernte in unser Leben transferieren und hoffentlich anwenden. Viele Eltern haben ihren Kindern aber auch beigebracht und sie dahingehend erzogen, ja nicht egoistisch zu sein, sich bescheiden zu verhalten und nur nicht aufzufallen. Nicht auffallen? Bescheiden sein? Gar duckmäuserisch vielleicht? Was soll denn das? Wofür, für wen? Für die Nachbarn, für die Verwandten? Nein, sicher nicht. Merkst du, dass ich emotional werde, dass mein Ton schärfer wird? Du kannst mich nicht hören, aber ich würde jetzt lauter sprechen.


Ich habe diese Lebensmuster (und es waren viele, glaube mir) spät, aber doch, teilweise abgelegt und abgehakt. Manches hat sich leider auch ins Gegenteil verkehrt – wenn ich auf vermeintliche »Angriffe« zu dünnhäutig, zu empfindsam, übersensibel reagierte, Leute rüde angefahren habe, die situationsbedingt für den Inhalt der Diskussion gar nichts konnten. Ich mache das teilweise heute noch und das tut mir schrecklich leid. Dann denke ich an eine Aussage meiner Schwester, die vor vielen Jahren schon meinte: »Wenn du mit manchen Situationen gelassener, sanfter, weicher umgehen würdest, dann würde das auch dir guttun.« Man spürt es deutlich und es entsteht so etwas wie ein warmes Gefühl im Bauch, wenn man mit sich und den anderen gelassener umgeht, souveräner, gedeihlicher.

Jetzt aber wieder rational: Welche Bedeutung haben deine Mitmenschen für dich, ich meine damit jene, die du dir im Regelfall nicht aussuchen kannst? Die Nachbarn? Die Verwandten? Heute noch bekomme ich leichte Panikattacken, wenn ich an manche dieser Figuren auch nur denke. Ein paar wenige waren dabei, die, auch aus meinem kritischen Blickwinkel betrachtet, ganz in Ordnung waren, aber sie waren in der Minderheit.

»Wohlstand«:

Es steht wohl in meinem Leben.

Herzensbildung, Empathie und Wertschätzung kann man nicht lernen, das bekommt man in der Kindheit und Jugend mit und dazu braucht man Vorbilder, an denen man sich orientieren und festhalten kann. Dafür gibt es keine Universitätskurse oder Angebote an der Volkshochschule. Ich habe einen Verwandten-Komplex, diese Themen verfolgen und begleiten mich seit frühester Kindheit bis heute. Faktum ist, dass du, dass ich, dass wir manchen Mitmenschen, intensiv vor allem auch jenen in unserer engeren Umgebung, zu viel Raum und Platz im Kopf gewähren, wir schenken ihnen zu viel Aufmerksamkeit und Beachtung. Und andere wiederum, vor allem uns selbst, vernachlässigen wir. Das ist doch eine verquere Denkweise, nicht?

Nur keine Krise

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