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Der Schwarze Freitag wirkt nach

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Der New Yorker Börsenkrach am «Schwarzen Freitag» vom 25. Oktober 1929 erschütterte die Welt. Die darauf folgende Weltwirtschaftskrise löste auch in der Schweiz eine tiefe Depression aus. Die helvetische Exportwirtschaft, allen voran die Textil-, Metall- und Maschinenindustrie sowie der Tourismus, hatte unmittelbar nach dem Platzen der Spekulationsblase das Nachsehen.[21] Grund dafür waren einerseits die im Ausland schwindende Kaufkraft und anderseits die hastig errichteten Handelsbarrieren verschiedenster Art. Die Binnenwirtschaft reagierte indessen mit einer zweijährigen Zeitverzögerung, vor allem wegen der regen Bautätigkeit im Wohnungsbereich. 1936 schlug die Krise dann mit voller Härte zu und erreichte drei Jahre später die Rekordhöhe von über 93 000 Arbeitslosen, was rund zehn Prozent der schweizerischen Wohnbevölkerung im Erwerbsalter entsprach. Im Vergleich zu Deutschland, das eine Arbeitslosenquote von dreissig Prozent beklagte, kam die Schweiz aber relativ glimpflich davon.

Die Bilanzsumme der Schweizer Geldinstitute sank in den zehn folgenden Krisenjahren um etwa einen Fünftel. In der besonders krisengebeutelten Stadt Genf mussten die Grossbank «Banque d’escompte Suisse», die «Banque de Genève» sowie die Pfandleihkasse ihre Schalter definitiv schliessen, was die um ihre Ersparnisse gebrachten Menschen zu tumultartigen Reaktionen bewog. Der Kanton Genf zählte zwischen 1935 und 1936, bezogen auf die Gesamtbevölkerung im Erwerbsalter, zwischen 5,8 und 6,3 Prozent Arbeitssuchende. Einen die Krise verschärfenden Faktor bildete der mit der sogenannten Freizonen-Affäre verbundene Marktverlust, von dem sich Genf lange Zeit nicht erholen konnte. Diese Episode geht auf den am 24. März 1860 gezeichneten Vertrag von Turin zurück, wonach das Königreich Sardinien-Piemont die Gebiete Savoyen und Nizza an Frankreich abtreten musste.[22] Durch die Annexion Savoyens an Frankreich eröffnete sich für den jungen Kanton Genf ein grosses städtisches Einzugsgebiet – ein Hinterland, das fünfzehn Mal so gross wie der Kanton Genf selbst war. Zwischen Genf und dieser zum Zollfreigebiet erklärten Region florierte ein reger Handelsaustausch, den der Erste Weltkrieg stark drosselte. 1919 wurden das Departement Hochsavoyen und der Distrikt von Gex durch eine einseitige Erklärung Frankreichs wirtschaftlich von der Schweiz abgekoppelt. Die Angelegenheit kam vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, das Urteil wurde aber erst 1932 zugunsten der Schweiz gefällt. Dieser über zehn Jahre dauernde Ausschluss Genfs von einem wichtigen Marktgebiet verschlimmerte die Auswirkungen der Wirtschaftskrise.[23]

Von der Krise ebenfalls hart getroffen waren die Arbeiter der Uhrenindustrie im Berner Jura. 1935 und 1936 verzeichnete man dort, je nach Berechnungsart, zwischen 11,3 und 21,5 Prozent Arbeitssuchende. Städte und Gemeinden mussten der bedürftigen Bevölkerung Überlebenshilfen in Form von verbilligten Lebensmitteln und Brennstoffen bieten. Ausserdem eröffneten bürgerliche Frauen vielerorts Suppenküchen, um den Armen warme Speisen zu offerieren. Alleine in Lausanne wurden 1936 über zwei Millionen Mahlzeiten verteilt.

Mit vergleichsweise milden Konsequenzen kamen hingegen die Agrarkantone davon. 1936 gab es beispielsweise im Wallis nur etwa siebzig Industrieunternehmen mit rund 3600 Arbeitnehmenden. Deshalb waren lediglich 0,4 Prozent der Gesamtbevölkerung des Kantons arbeitslos. Gut ging es den Wallisern aber trotzdem nicht, da Landwirtschaftsprodukte einem zunehmenden Preiszerfall ausgesetzt waren. 1935 lagen die Preise fast auf Vorkriegsniveau.[24] Die politischen Umwälzungen verliefen jedoch anders als in den übrigen katholischen Gegenden der Westschweiz. Ein paar junge Leute aus aristokratischen Sittener Familien kamen 1933 auf die Idee, eine faschistische Walliser Front aufzubauen. Sie erhielten gleich Unterstützung von André Marcel, Redaktor der rechtsbürgerlichen Tageszeitung Feuille d’avis du Valais. Doch die eigentlichen Gründer der Walliser Frontenbewegung gehörten einer mit ihnen rivalisierenden Gruppe an, die vom Courier de Sion und seinem Redaktor Adolphe Sauthier Schützenhilfe erhielt. Ihr Sprachrohr Le Pilon (Der Stössel) teilten sie mit der «Union nationale et sociale de Fribourg». Alle anderen Walliser Presseerzeugnisse kritisierten das Parteiprogramm dieser kleinen Gruppierungen. Mit der Aussage «Weil die Juden sich weigern, sich mit anderen Rassen zu vermischen und die ordentlichen Gesetze zu befolgen, sollen sie als Ausländer betrachtet werden» zogen sie den Antisemitismus der Faschisten ins Lächerliche. Zur Stossrichtung der Walliser Faschisten gehörten neben einem fanatischen Antisemitismus auch Antikommunismus, Antifreimaurertum sowie der Schutz der Religion und der Familie. Diese antidemokratische und rassistische Haltung teilten sie mit den übrigen Faschisten der Westschweiz. Ihre institutionellen Vorstellungen waren allerdings ziemlich nebulös und beschränkten sich auf die Forderung, den Föderalismus des Grossen Rats durch eine korporative Kammer zu ersetzen.[25]

In diesem sozial rauen Klima war die Schweizer Bevölkerung politisch tief gespalten, und die Konfliktlinien verliefen jenseits der Sprach- und Konfessionsgrenzen. Auf der einen Seite des Grabens stand der Bürgerblock mit der Freisinnigen-Demokratischen Partei (FDP), der «Konservativen Katholischen Partei (KK)» und der konservativ-reformierten «Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB)». Auf der anderen Seite bewegten sich die Oppositionsparteien – einerseits die «Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS)» und links und rechts davon die «Kommunistische Partei (KPS)» und die verschiedenen frontistischen Bewegungen und Parteien, die das Heil in Anlehnung an ausländische autoritäre Regimes suchten. In diesem Kräftefeld wurden ungestüme politische Kämpfe ausgefochten. Die Exekutive zeigte sich angesichts dieser Spannungen bisweilen handlungsunfähig, was das Vertrauen in die Demokratie schwinden liess. Je länger der Bundesrat in Lethargie verharrte, desto attraktiver und dringlicher wurden von einzelnen Bevölkerungsteilen die Lösungsansätze extremer politischer Gruppierungen empfunden. Weil diese zunehmenden Spannungen die Entscheidungsprozesse lähmten, sahen sich Bundesrat und Parlament genötigt, eine Vielzahl von Bundesbeschlüssen und -gesetzen dem Referendum zu entziehen. In diesem Spannungsfeld konstituierte sich 1937 im Einflussbereich des «Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB)» die überparteiliche «Richtlinienbewegung», die eine Mitte-Links-Mehrheit bildete und sich allen antidemokratischen Parteien und Bewegungen entgegenstellte und die Wirtschaftskrise mit staatlichen Lohn- und Preisstützungen bekämpfen wollte.

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