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Eine Alternative zur Demokratie?

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Ein Schlagwort der rechtsextremen Bewegungen der Zwischenkriegszeit hiess «Korporatismus». Die Grundidee dieses Konzepts war allerdings keine Erfindung der Faschisten, sondern schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Postulat der Katholisch-Konservativen. Der Begriff bezieht sich auf die berufsmässigen Körperschaften in Form von Zünften und Gilden, die bereits in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft existierten und damals politisch tonangebend waren. Im verklärten Rückblick auf die Standesorganisationen des Ancien Régime sahen die nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Erneuerungsbewegungen im Korporatismus den goldenen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Die Linke glaubte im Korporatismus technokratisch-politökonomischer Ausrichtung einen Ausweg aus dem herrschenden Manchester-Liberalismus zu finden, der als Ursache der Krise gebrandmarkt wurde. Im rechten Lager begrüsste man den Korporatismus hingegen als befreiende Alternative zum Kommunismus und Kapitalismus. Eine eigenständige Ausprägung dieser planwirtschaftlichen Organisationsform mit einer herrschaftsstrategischen Prägung bildete sich im italienischen Faschismus heraus. Im Gegensatz zum liberalen Korporatismus entstand unter Mussolini ein ausgesprochen autoritärer Korporatismus. Die nationalsozialistische Diktatur übernahm dieses Modell später und nannte es «Volksgemeinschaft».

Grundsätzlich hegten alle Erneuerungsbewegungen der Zwischenkriegszeit ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Schweizer Staat und betrachteten ihn als buchstäblich regierungsschwach. Sie stellten sowohl die direkte wie die indirekte Demokratie genauso infrage wie auch die liberale oder sozialistische Wirtschaftsordnung, die sie als Ursache der sozialen Malaise sahen. Praktisch alle Westschweizer Erneuerungsbewegungen hegten deshalb mehr oder weniger unausgegorene ständestaatlich-ideologische Vorstellungen. Was die rechtsextremen Romands anstrebten, war ein autoritärer Korporatismus, der sich wie folgt definieren lässt:

Korporatismus ist dann gegeben, wenn im Rahmen des kapitalistischen Systems die Zusammenarbeit des Unternehmertums und der Arbeiterschaft mit der Absicht organisiert wird, Fehler und Missbräuche des Systems zu korrigieren. Die Korporation entspricht einer öffentlichen Gruppierung, in der Arbeitgeber und Arbeiter paritätisch vertreten sind, um Produktpreise und Einkommen anzuordnen, statt diese durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage im freien Markt spielen zu lassen. Mit anderen Worten: Der Korporatismus entspricht dem Willen, eine «Kooperation der Klassen» einzuführen, die den Arbeitern die Möglichkeit zum Streiken nimmt und die Wirtschaft mit Unterstützung von staatlichen Berufsorganisationen lenkt.[26]

Im Gegensatz zum liberalen Korporatismus, der die Zwangsmitgliedschaft bei den Berufsverbänden ablehnt, blendet der autoritäre Korporatismus demokratische Spielregeln aus – insbesondere das allgemeine Wahlrecht. Die Grundidee dieses Konzepts stützten die Katholisch-Konservativen vor allem auf die von Papst Leo XIII. verfasste Enzyklika Rerum Novarum von 1881 ab, die die organisierte Arbeiterschaft und deren Gewerkschaften als eine korporative Gruppe der Gesellschaft anerkannte.[27] Sie kritisierten aber das liberale Wirtschaftssystem, weil es die Eigenverantwortung und eine maximale Freiheit des Einzelnen über gottgegebene Normen setzte. Zudem stand die Hochachtung der Wirtschaftswissenschaften in krassem Widerspruch zum katholischen Wertesystem, das qualitativ-philanthropische über quantitativ-ökonomische Werte erhob. Noch kategorischer lehnten die Katholisch-Konservativen den Sozialismus ab, den sie undifferenziert unter Bolschewismus, Kommunismus, Gottlosigkeit, Judentum und Freimaurertum subsumierten. Eine klare Trennung zwischen Sozialismus und Liberalismus vollzogen sie ebenfalls nicht, zumal sie den Liberalismus als Ursache des Sozialismus betrachteten. «Erst der Kapitalismus habe das soziale Chaos hervorgebracht und die Menschen proletarisiert. Aus dieser Optik war der Sozialismus die logische Konsequenz aus dem Fiasko des ökonomischen Liberalismus», schreibt Markus Hodel 1994 in seiner Dissertation Die Schweizerische Konservative Volkspartei 1918 – 1929.[28]

Die Westschweizer Faschisten hegten eine unverhohlene Bewunderung für Mussolini und seinen autoritären Korporatismus. Doch zwischen der Hochachtung der Schweizer Faschisten gegenüber dem italienischen Vorzeigemodell und ihren eigenen politischen Ambitionen bestand insofern ein krasser Widerspruch, als Mussolini einen staatlich zentrierten Korporatismus erzwang, während die Schweizer Faschisten fast durchweg gegen den Etatismus waren und föderalistische Lösungen anstrebten.

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