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Vorwort

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«Wir müssen das Leben vorwärts leben, aber wir können es nur rückwärts verstehen.»

(Søren Kierkegaard)

Der Faschismus entstand in verschiedenen Gegenden in unterschiedlichen Ausprägungen. Als Mussolini im Oktober 1922 die Macht übernahm, war Hitler noch lange nicht am Ruder. Da faschistisches Gedankengut nach dem Ersten Weltkrieg in der Schweiz nicht gleich schlagartig um sich griff, lässt sich der Entwicklungsbeginn kalendarisch nicht genau festmachen. In unserem Land wurde die erste italofaschistische Glut zweifellos in der lateinischen Schweiz angefacht.

Dieses Buch ist welschlastig. Dafür gibt es gute Gründe. Erstens lassen sich deutschsprachige Arbeiten über den Faschismus in der französischen und italienischsprachigen Schweiz an einer Hand abzählen. Zu den Deutschschweizer Fronten gibt es hingegen zwei umfassende Dissertationen, die 1968 als Buchhandelsausgaben erschienen sind: Die Nationale Front von Beat Glaus und Faschismus in der Schweiz von Walter Wolf. Beiden Autoren verdanke ich wichtige Angaben, die ich mit weitergehenden Informationen ergänze. Auf die politische Landschaft der Linken gehe ich nur am Rande ein, zumal die Geschichte der schweizerischen Arbeiterbewegung weitgehend aufgearbeitet ist.

Zwischen 1918 und 1945 erschienen in der Schweiz rund dreissig rechtsextreme Medien. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums gab es sechs kommunistische Presseerzeugnisse: Schweizer Arbeiterzeitung, Schaffhauser Arbeiterzeitung, Vorwärts, Kämpfer, Freiheit und La Lutte. Die Vielzahl rechtsextremer Blätter sagt über das politische Gewicht der einzelnen Herausgeber nichts aus. Sie spiegelt vielmehr die Zersplitterung der rechtsextremen Bewegungen wider. Diese waren mehr oder weniger alle demokratiefeindlich. Ich verzichte aber darauf, ihre staatszersetzende Gefährlichkeit im Einzelnen zu gewichten, zumal sie mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs an Auftrieb verloren haben und zum grossen Teil aufgelöst oder in die politische Bedeutungslosigkeit versunken sind.

Den Lesenden ist es recht und billig, die Protagonisten der Schweizer Nazi- und Faschistenszene mit vollem Namen zu erfahren. Der historiografischen Genauigkeit verpflichtet, führe ich auch eine Anzahl Mitläufer und Randfiguren namentlich auf, die im jeweiligen Zusammenhang eine Rolle spielten. Es liegt mir jedoch fern, über Menschen den Stab zu brechen, die nach den Entbehrungen des Ersten Weltkriegs den Mythen Mussolinis und später Hitlers aufsassen. Zumindest bis Ende Oktober 1922 hatten sie keine Rückblendemöglichkeiten. Uns, den nach dem Krieg Geborenen, ist hingegen die freie Sicht auf den Irrweg vergönnt.

Den Faschismus mit dem Persönlichkeitsprofil von Einzelpersonen in seiner ganzen gesellschaftlichen Komplexität erklären zu wollen, wäre reduktionistisch und ahistorisch. Indem ich zur Erläuterung der italofaschistischen und nationalsozialistischen Bewegungen in der Schweiz die Leserinnen und Leser dennoch durch die Lebensgeschichte von einer Anzahl grundlegend verschiedener Persönlichkeiten führe, verfolge ich eine andere Absicht: Ich will das Lokalgeschehen möglichst lebendig und mit anekdotischen Beiträgen würzen. Das politische Verhalten der vorgestellten Akteure ermöglicht mir auch, wichtige Ableitungen auf internationale Zusammenhänge zu erschliessen.

«Der Faschismus ist tot», schrieb der italienische Journalist Roberto Gervaso Gervaso am 21. März 2013 in der Venezianer Tageszeitung Il Gazzetino. Die gegenwärtigen Tendenzen strafen ihn Lügen. Solange die vorlaute Alessandra Mussolini zu TV-Talkshows eingeladen wird, ihrem Grossvater immer wieder einen Persilschein ausstellt und sich Predappio, das Geburtsstädtchen[1] des Duce, zu einem Wallfahrtsort für Faschismus-Nostalgiker weiterentwickelt, ist der Italo-Faschismus nicht tot. Noch bedenklicher wirkt auf alle Antifaschisten das internationale Geschehen mit dem Auftrieb von rechtsextremen Politikern und Politikerinnen. Das Aggressionensverhalten entsprechender Gruppierungen und ihr zunehmend grösserer Einfluss über die sozialen Medien könnte den Faschismus jederzeit, wenn auch unter einem anderen Namen und in neuer Form, im geistigen Vakuum Europas wieder aufleben lassen. Die Kenntnis der Geschichte hilft, entsprechende Vorboten frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Indes: Parteiverbote und Gegendemonstrationen vermögen gegen den Faschismus wenig auszurichten. Das wirksamste Gegenmittel ist wohl die Kenntnis der Geschichte und die Unterstützung von Institutionen, die sich für unsere Gesellschaft demokratisch engagieren.

Meine Arbeit ist keine spontane Reaktion auf die gegenwärtige Weltlage. Sie ist vielmehr das Resultat einer langjährigen Beschäftigung mit einem politischen Erbe der Schweiz, das meines Erachtens den Nachkriegsgenerationen zu erschliessen ist. Deshalb verstehe ich dieses Buch als Beitrag zur Schweizer Erinnerungskultur, die über den Röstigraben und über den Gotthard hinausgreifen muss.

Um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen, breche ich mit der Tradition, französische oder italienische Zitate jeweils auch in der Originalsprache wiederzugeben. Um einen gewünschten Zugriff auf Originalzitate zu erleichtern, sind die Quellen in den Anmerkungen vollständig bibliografiert.

Dieses Buch konnte durch die Mithilfe von zahlreichen Freunden, Bekannten und Fachleuten entstehen. Ihnen allen schulde ich einen grossen Dank. Insbesondere danke ich dem Historiker Dr. Joseph Nauer und dem Geisteswissenschaftler PD Dr. Jürg von Ins für die kritische Durchsicht meines Manuskripts. Einen grossen Dank schulde ich auch dem Kunsthistoriker Theodor Ruff, der sich mit meiner Arbeit gründlich auseinandergesetzt hat und mir zahlreiche Anregungen gab. Ein Dankeschön geht auch an die Mitarbeitenden der Zentralbibliothek Zürich, des Schweizerischen Sozialarchivs und des Archivs für Zeitgeschichte der ETH, die mich bei meinen Recherchen in zuvorkommender Weise unterstützt haben. Und nicht zuletzt gilt mein Dank Dr. Stephan Meyer und seinen Mitarbeitenden im Orell Füssli Verlag für die professionelle Zusammenarbeit sowie Dr. Alwin Letzkus für sein kompetentes und behutsames Lektorat.

Ich widme diese Arbeit meinen Enkelkindern Thibault, Annabel und Sienna, die sich eines Tages vielleicht wundern werden, in ihrem Familienstammbaum auf den Namen Pasquale Boninsegni zu stossen, dem Mussolini sein Ehrendoktorat der Universität Lausanne zu verdanken hatte.

Yves Schumacher

Herbst 2018

Nazis! Fascistes! Fascisti!

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