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Wer einzuschätzen weiß, was die Natur bewirken kann, und einzuschätzen weiß, was der Mensch bewirken kann, ist vollkommen. Wer einzuschätzen weiß, was die Natur bewirken kann, lebt mit der Natur; wer einzuschätzen weiß, was der Mensch bewirken kann, weiß damit, was sich wissen lässt, und nährt sein Wissen mit dem, was sich nicht wissen lässt; wer stirbt, wann die Natur es ihm bestimmt, und nicht auf halbem Weg den Tod erleidet – der hat das volle Wissen erlangt. Und dennoch gibt es da eine Schwierigkeit. Dieses Wissen stützt sich auf etwas und bringt es zum Vorschein, doch dieses andere, auf das es sich stützt, ist ungewiss. Woher wissen wir, dass, was wir »Natur« nennen, nicht etwas Menschliches ist? Dass, was wir »menschlich« nennen, nicht etwas Natürliches ist? Erst wenn es den wahrhaftigen Menschen gibt, gibt es auch wahrhaftiges Wissen. Wen bezeichne ich als »wahrhaftigen Menschen«?

Der wahrhaftige Mensch im Altertum wies die Schwachen nicht ab, brüstete sich nicht mit seinen Taten und schmiedete keine Aufstiegspläne. Daher: Unterlief ihm ein Fehler, bereute er ihn nicht; hatte er Erfolg, bildete er sich darauf nichts ein. Daher: Stieg er empor, schauderte ihm nicht; ging er durch Wasser, wurde er nicht nass; ging er durch Feuer, wurde ihm nicht heiß. Wer sich darin versteht, kann sich bei seinem Aufstieg auf diese Weise auf das Dao stützen. Der wahrhaftige Mensch des Altertums schlief, ohne zu träumen; er war wach, ohne sich zu sorgen; er aß, ohne zu süßen; sein Atem war tief, sehr tief. Der wahrhaftige Mensch atmete sogar mit der Ferse, der gewöhnliche Mensch atmet nur mit dem Hals. War er zum Gehorsam gezwungen, spie er seine Worte aus, als würde er erbrechen. Die alten Begierden steckten tief in ihm, seine Beschäftigung mit dem Himmlischen war flach. Der wahrhaftige Mensch des Altertums wusste sich weder des Lebens zu erfreuen noch vor dem Tod zu fürchten, er ging [ins Leben] hinaus, ohne sich zu ergötzen, und ging [in den Tod] hinein, ohne sich zu widersetzen; unbeschwert ging er davon, unbeschwert kehrte er zurück – das war alles. Er vergaß seinen Ursprung nicht und fragte nicht, wie er enden würde; was er empfing, erfreute ihn; was er vergaß, gab er wieder zurück. Das heißt: Benutze den Herz-Geist nicht, um dem Dao zu dienen, benutze die Menschen nicht, um der Natur nachzuhelfen. Wer das kann, wird als wahrhaftiger Mensch bezeichnet.

Auf diese Weise war sein Herz-Geist frei, sein Gesichtsausdruck ruhig, seine Stirn offen; er war kühl wie der Herbst, mild wie der Frühling, seine Stimmungen entsprachen den vier Jahreszeiten, er wurde den Lebewesen gerecht, und niemand kannte seine Grenzen. Daher: Der Weise berücksichtigt dies, wenn er Waffen benutzt, so kann er ein Land bezwingen, aber er verliert nicht den Herz-Geist der Menschen; sein Wohlwollen nützt den zahllosen Lebewesen, aber er müht sich nicht um die Zuneigung der Menschen. Daher: Wer sich an Dingen erfreut, ist kein Weiser; wer Vorlieben hat, lässt sich nicht von Menschlichkeit leiten; wer die richtige Gelegenheit abpasst, ist nicht würdevoll; wer nicht erkennt, wie Nutzen und Schaden zusammenhängen, taugt nicht zum Herrscher; wer, um Ruhm zu erlangen, sich selbst verliert, ist kein Gelehrter; wer sich selbst zugrunde richtet durch Unwahrhaftigkeit, kann den anderen nicht dienen. So erging es Hu Buxie (Einsamer Fuchs), Wu Guang (Emsiges Licht), Bo Yi (Meister Treffsicher), Shu Qi (Onkel Ordentlich), Juzi Xuyu (Meister im Wegschaufeln alles Überflüssigen), Ji Ta (Leitfaden für die anderen) und Shentu Di (Wilder Wandererzähler) – sie dienten mit dem, was anderen diente, erfreuten sich daran, anderen Freude zu bringen, aber fanden keine Freude darin, sich selbst zu erfreuen.

Der wahrhaftige Mensch im Altertum: Rechtschaffen zeigte er sich, ohne Kumpanei; bedürftig erschien er, aber ließ sich nicht aushalten; er glich einer Weinschale, ohne hart zu sein; er war freigiebig mit seiner Leere, ohne zu protzen; überaus glücklich war er, wenn er seine Freude zeigen konnte. Wie im hohen Gebirge: Es gelingt nicht, sein äußerstes Ende zu erreichen! Dem Wasser gleich, das sich sammelt: Seine Anziehungskraft spiegelte sich in den Gesichtern, sein Gemeinsinn begrenzte die Wirkkraft, seine Strenge machte ihn zu einem Teil unserer Welt! Groß war er, niemand vermochte ihn zu beherrschen; verbunden fühlte er sich, durch Liebe fand er Anschluss; zerstreut war er, dass er vergaß, was er sagte. Er betrachtete Strafen als etwas, das den Körper betrifft; Riten als etwas Beflügelndes, Wissen als etwas, das an die Zeit gebunden ist, Wirkkraft als etwas, das Orientierung gibt.

Indem er Strafen auf den Körper bezog, war er großherzig, wenn er töten sollte; indem er Riten als etwas Beflügelndes betrachtete, kam er in der Welt zurecht; indem er Wissen als zeitlich gebunden ansah, nutzte er das Unaufschiebbare für seine Angelegenheiten; indem er sich an der Wirkkraft orientierte, sprach er sich dafür aus, zu Fuß Höhen zu erklimmen – und die Menschen schätzten ihn als jemanden, der etwas bewegt. Daher war er in dem, was er mochte, eins mit sich und war in dem, was er nicht mochte, eins mit sich. Er war eins, womit er eins war, und war eins, womit er nicht eins war. Er war eins mit sich, wenn er der Natur folgte; er war uneins mit sich, wenn er den Menschen folgte; indem er die Natur und die Menschen dazu brachte, nicht gegeneinander zu kämpfen, war er ein wahrhaftiger Mensch.

Zhuangzi spricht sich hier für eine Art zweiwertige Logik aus, um das menschliche Wissen auszuloten. Diese Passagen dienten zudem als Referenz für Atemtechniken und meditative Reisen sowie für spirituelle Techniken im Buddhismus und religiösen Daoismus.

Zhuangzi. Das Buch der daoistischen Weisheit. Gesamttext

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