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6.5
ОглавлениеMeister Si (Großer Totenpriester), Meister Yu (Großer Wagenlenker), Meister Li (Großer Ackermann) und Meister Lai (Große Ankunft) unterhielten sich: »Wer das Nichtseiende als Kopf, das Leben als Rücken, das Sterben als Steiß zu betrachten vermag, Leben und Tod, Bestehen und Untergehen in einem Körper zu vereinen weiß, mit dem schließen wir Freundschaft.«
Die vier Männer blickten einander an und lächelten; keiner widerstrebte in seinem Herz-Geist, daher wurden sie miteinander Freunde.
Kurz darauf wurde Meister Yu krank, und Meister Si kam, sich nach ihm zu erkundigen. Meister Yu sprach: »Großartig ist die schöpferische [Natur], die mich als Lebewesen hervorgebracht hat, sie verschafft mir nun diese Einschränkung.« Sein Rücken war krumm gebeugt, die fünf inneren Organe hingen nach außen, das Kinn reichte bis zum Nabel, die Schultern ragten über den Kopf hinaus, der Haarschopf wuchs bis zum Himmel. Der Atem stockte zwischen Ein- und Ausatmen (Yin und Yang), doch sein Herz-Geist war entspannt und unbelastet von Geschäftigkeit; auf schwieligen Füßen schleppte er sich zu einem Brunnen, betrachtete sein Spiegelbild und seufzte: »Ach, die schöpferische [Natur], die mich als Lebewesen hervorgebracht hat, hat auch das gewollt und mir diese Einschränkung verschafft.«
Meister Si fragte: »Verachtest du diesen Zustand?«
Meister Yu erwiderte: »Wenn ich etwas verliere, warum sollte ich es verachten? Angenommen, es ginge weiter damit und es würde sich mein linker Arm in einen Hahn verwandeln, dann würde ich damit die Nachtzeit ausrufen; angenommen, es ginge weiter damit und es würde sich mein rechter Arm in eine Steinschleuder verwandeln, ich würde eine Eule zum Braten schießen; angenommen, es ginge weiter damit und es würde sich mein Steiß in eine Kutsche und mein Geist in ein Pferd verwandeln, ich würde fahren damit, wozu sollte ich ein anderes Gefährt besteigen? Wir empfangen [das Leben], wenn die Zeit heran ist, und wir verlieren es, wenn sie vorüber ist; ruhe in der Zeit und richte dich ein in der Ordnung, dann bemächtigen sich deiner weder Trauer noch Freude. Dies nannten die Alten ›Lösen von Bindungen‹, und wer sich nicht zu lösen vermag, der bleibt an die äußeren Dinge gebunden. Seit jeher kann kein Lebewesen die Natur überwinden, was sollte ich daran verachten?«
Kurze Zeit später wurde Meister Lai krank; er rang nach Atem, als würde er sterben, seine Frau und seine Kinder versammelten sich und weinten um ihn. Meister Li ging zu ihm und rief: »Nun lasst ihn und geht wieder, stört ihn nicht bei der Verwandlung!«
Er lehnte sich an die Tür und sprach: »Wunderbar ist die schöpferische [Natur], die die Lebewesen hervorbringt! Was wird aus dir werden? Wohin geht deine Reise? Wirst du dich in die Leber einer Ratte verwandeln? Oder in das Beinchen eines Insekts?«
Meister Lai sprach: »Das Kind geht dorthin, wohin es Vater und Mutter rufen, sei es Osten, Westen, Süden oder Norden. Yin und Yang beflügeln den Menschen viel mehr noch als Vater und Mutter. Sie geleiten mich nun in den Tod, und wenn ich jetzt nicht auf sie höre, sondern dagegen aufbegehre – wäre das nicht ein Fehler? Die Große Erde schenkt uns den Körper, die Mühen des Lebens, die Muße im Alter, ein Ruhebett, wenn wir sterben. Daher ist das, was gut für uns ist, solange wir leben, auch gut für uns, wenn wir sterben. Nun: Wenn ein großartiger Schmied Eisen schmilzt und das Eisen dabei aufspringt und sagt: ›Ich will unbedingt [das berühmte Schwert] Mo Ye werden!‹, dann würde der großartige Schmied sicher davon ausgehen, dass dieses Eisen kein Glück verheißt. Nun: Würde die zum Menschsein verdammte Leibesfrucht im Mutterbauch rufen: ›Ein Mensch [will ich werden], ein Mensch!‹, dann würde die schöpferische und verwandelnde [Natur] sicher davon ausgehen, dass diesem Menschen kein Glück beschieden ist. Nun: Wer Himmel und Erde als großen Schmelzofen betrachtet und die schöpferische und verwandelnde [Natur] als den großartigen Schmied, wohin sollte es dann unmöglich sein, ihnen zu folgen? Ich werde [wenn ich mein Leben vollende und mich verwandle] tief schlafen und erfrischt aufwachen.«
In diesem Abschnitt wird das Thema der Wandlung, das im Schmetterlingstraum (Abschnitt 2.14) bereits anklang, wieder aufgegriffen und fortgeführt.