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9

馬蹄 (mǎ tí)
Pferdehufe

In diesem Kapitel wird die Frage, was natürlich sei, vom einzelnen Lebewesen auf die Lebenswelt ausgeweitet, die zu ihm passt: Wem es vergönnt ist, an dem Ort und unter den Umständen zu leben, die seiner natürlichen Bestimmung entsprechen, hat alle Voraussetzungen, um glücklich und unbeschwert zu sein. Wer dagegen Lebensformen anstrebt, die seinem Naturell nicht entsprechen, lebt in Sorge und hat Anlass zum Klagen, so ehrenwert seine Ziele auch erscheinen mögen.

9.1

Pferde können mit den Hufen durch Schnee und Frost laufen, sich mit dem Fell vor Wind und Kälte schützen, sie fressen Gras und saufen Wasser, heben den Fuß und galoppieren davon. Darin besteht die ursprüngliche Natur der Pferde. Auch wenn sie Terrassen und passable Schlafzimmer zur Verfügung hätten, würden sie diese nicht benutzen.

Dann erschien [der Pferdegutachter] Bo Le (Onkel Wonne) und sprach: »Ich weiß gut mit Pferden umzugehen.« Er sengte und scherte ihnen das Fell ab; schnitt ihnen die Mähne, band sie zusammen mit Zaumzeug und Zügel, fesselte sie, damit sie im dunklen Stall stehen blieben; zwei oder drei von zehn Pferden starben dabei; er ließ sie hungern und dürsten, ließ sie galoppieren und traben in geordneter Formation, vorne an ein fürchterliches Joch gebunden, von hinten mit einer Peitsche angetrieben, und dabei starb mehr als die Hälfte der Pferde.

Der Töpfer sprach: »Ich weiß gut mit Ton umzugehen, für runde Waren verwende ich die Scheibe, für eckige den Winkel.«

Der Zimmermann sprach: »Ich weiß gut mit Holz umzugehen; um es zu biegen, benutze ich Haken, um es geradezustrecken, benutze ich Seile.«

Entspricht es der Natur von Ton oder von Holz, mit Scheibe, Winkel, Haken und Seil bearbeitet zu werden? So wird seit Generationen behauptet: »Bo Le ist ein guter Pferdebändiger, der Töpfer ein Meister im Umgang mit Ton, der Zimmermann ein Meister im Umgang mit Holz.« Dies ist der Fehler, den auch die Herrschenden unterm Himmel begehen.

9.2

Ich denke, wer den Staat gut regiert, handelt nicht so. Die Menschen folgen ihrer beständigen Natur: Sie weben, um sich zu kleiden; ackern, um zu essen – dies heißt verbindende Lebenskraft, darin sind sie eins und entzweien sich nicht voneinander – so zu leben, entspricht dem Freiraum, in den uns die Natur entlässt.

Daher: Wenn die Lebenskraft vollkommen ist, geht man gemächlich und sieht sich aufmerksam um. In dieser Zeit kennen die Berge keine Wege und Tunnel, kennen die Seen keine Boote und Brücken; die zahllosen Lebewesen leben in Gruppen, jede Art an ihrem natürlichen Ort; Vögel und wilde Tiere vermehren sich; Gräser und Bäume gedeihen. Es ist möglich, Vögel und wilde Tiere spazieren zu führen, und man kann zu einem Elsternest hochklettern, um hineinzuschauen. Wenn die Lebenskraft vollkommen ist, wohnen die Menschen gemeinsam mit Vögeln und wilden Tieren, zusammen mit den zehntausend Lebewesen – was wissen sie dann vom Unterschied zwischen Edelmann und kleinen Leuten? Vereint in Unwissenheit, kommt ihnen die Lebenskraft nicht abhanden; vereint in Wunschlosigkeit, befinden sie sich im Zustand ursprünglicher Einfachheit. Im Zustand ursprünglicher Einfachheit finden die Menschen zu ihrer Natur.

Dann erscheint der Weise und verkündet: Verletzte und Hinkefüße verdienen Menschlichkeit; sich auf Zehenspitzen zu stellen, gilt als Rechtschaffenheit – und zum ersten Mal erscheint unterm Himmel der Zweifel; plätscherndes Wasser dient als Musik; das Besondere zu suchen, wird zum Ritual – und zum ersten Mal werden unterm Himmel Unterschiede gemacht. Wenn man, was sich im ursprünglichen Zustand befindet, nicht bearbeitet, wie kann man dann Opfergefäße fertigen? Wenn man reine Jade nicht bricht, wie kann man daraus Zepter und Medaillen fertigen? Wenn das Dao und die Lebenskraft nicht fallengelassen werden, wozu brauchte man dann Menschlichkeit und Rechtschaffenheit? Wenn der natürliche Zustand unzerteilt erhalten bleibt, wozu braucht man dann Rituale und Musik? Wenn die fünf Farben keine Verwirrung stiften, wer fertigt dann schöne Ornamente? Wenn die fünf Töne keine Verwirrung stiften, wer hielte sich dann an die sechs Harmonien? Das ursprünglich Gegebene zu bearbeiten, um daraus Waren zu fertigen, ist der Fehler des Handwerkers; das Dao und die Lebenskraft fallenzulassen, um dann Menschlichkeit und Rechtschaffenheit zu fordern, ist der Fehler des Weisen.

9.3

Pferde, die frei in der Ebene leben, fressen Gras, saufen Wasser; wenn sie glücklich sind, reiben sie die Hälse und erfreuen sich aneinander; wenn sie sich ärgern, drehen sie sich das Hinterteil zu und treten einander mit den Hufen. Den Pferden genügt es, dies zu wissen. Weiter reicht ihr Wissen nicht.

Doch werden sie an die Deichsel gespannt und wird ihnen ein halbmondförmiger Kopfschmuck angelegt, dann lernen die Pferde, sich gegen das Einspannen zu wehren; sie bäumen sich auf, spucken wild um sich und reißen sich vom Zaumzeug los. Die Pferde so weit zu bringen, dass sie lernen, Unheil zu stiften – das ist der Fehler von Bo Le.

Zur Zeit des [Königs] Hexu blieb das Volk zu Hause und wusste nicht, was zu tun ist, es lief herum und wusste nicht, wohin; es aß, was es zwischen die Zähne bekam und war zufrieden, es füllte sich den Bauch und spazierte umher – dazu war es fähig, und das war genug. Dann erschienen die Weisen, um mit Ritualen und Musik alles unterm Himmel zurechtzubiegen und zurechtzurücken; sie ließen dem Land Menschlichkeit und Rechtschaffenheit angedeihen, um den Herz-Geist von allen unterm Himmel zu beruhigen – und das Volk begann, sich auf die Zehenspitzen zu stellen in seiner Gier nach Wissen, es wetteiferte im Erzielen von Gewinn und konnte damit nicht mehr aufhören. Das ist der Fehler der Weisen.

Zhuangzi. Das Buch der daoistischen Weisheit. Gesamttext

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