Читать книгу Still - Zoran Drvenkar - Страница 17

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Im Radio wird vor Blitzeis gewarnt, die Straßen glänzen, die Autos fahren im Schrittempo, und ich könnte wetten, daß Edmont heute nicht mit dem Motorrad unterwegs ist.

Es ist, als hätten sie mich erwartet.

Ich betrete den Pub, der Blickkontakt ist sofort da, sie winken mich zu sich. Meine Unsicherheit legt sich, und an ihre Stelle tritt eine nervöse Erwartung. Fleetwood Mac singt Go Your Own Way. Ich ignoriere den Rat und bleibe am Tisch stehen. Franco schiebt mir einen Stuhl zu. Ich setze mich.

– Na, hast du dich erholt? fragt Achim.

Ich nicke. Hagen schnuppert.

– Geduscht hat er auch.

Ich lächle, Edmont lächelt zurück.

– Schön, daß du wieder da bist.

– Danke.

Achim ruft nach der Kellnerin. Franco erklärt, die nächste Runde gehe auf seine Rechnung, dann tippt er mit dem Zeigefinger auf den Tisch.

– Wir wollen mal über die Regeln reden.

– Was für Regeln? frage ich.

– Unsere Regeln, Mika.

Sie sagen, sie gehörten keiner Organisation an, sie sagen, sie hielten sich von Vereinen fern, und mit Politik dürfe man ihnen gar nicht kommen. Keiner von ihnen wäre vorbestraft, sie lebten unter dem Radar und fielen nicht auf. Das Internet wäre tabu. Keine Foren, keine Chats. Sie blieben der Szene fern.

– Kannst du uns soweit folgen?

– Ich kann.

Franco erklärt, daß es eine Frage der Selbstbeherrschung ist. Wie lange man sich im Zaum halten kann. Was man tut, wenn der Hunger zu groß wird. Franco weiß das alles, er ist nicht umsonst ihr Anführer. Als er vor dreißig Jahren nach Berlin kam, hatte er keine Ahnung, was seine Berufung war, er wußte nur, daß er nie wieder in einem Restaurant arbeiten wollte. Anfangs half er einem Cousin aus, dem ein Kurierdienst gehörte. Es dauerte nicht lange, und Franco machte sich mit seinem eigenen Kurierdienst selbständig. Dann traf er seine Frau. Es folgte ein Sohn, eine gemeinsame Wohnung und eine Affäre mit einer Redakteurin vom RIAS, die ihm seinen ersten Sprecherjob verschafft hatte. Franco besitzt eine markante Stimme, und er ist ein guter Zuhörer, der wortgewandt von einem Thema zum anderen wechseln kann, ohne dabei den Faden zu verlieren. Seine Gedankengänge schließen sich immer, und er hinterläßt beim Hörer ein Gefühl von Gesamtheit – als hätte er alles im Griff, als würde jede Frage eine Antwort verdienen. Das Radio ist sein Medium. Er moderiert zwei Sendungen in der Woche. Jeden Dienstag und Freitag gibt es spät in der Nacht Francos Special Delight. Er lebt nicht mehr mit der Mutter seines Sohnes zusammen, er sieht den Jungen nur an den Wochenenden. Alles in allem ist Franco sehr zufrieden mit seinem Leben, und er will, daß ich das verstehe.

– Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben, Mika, und bevor ich dir von unseren Regeln erzähle, will ich, daß du weißt, wie sehr uns deine Unzufriedenheit stört. Schau dir Hagen an.

Ich sehe zu Hagen hinüber.

– Dieser Junge ist der lebende Sonnenschein, spricht Franco weiter, Er geht seinen Weg und steht mit beiden Füßen im Leben. Und jetzt schau dir Edmont an.

Franco packt Edmont an der Schulter und schüttelt ihn ein wenig. Edmont grinst.

– Dieser Mann saugt dem Tag die verschissene Seele aus dem Leib, weil er alles will, aber auch wirklich alles, was dieses Leben zu bieten hat, verstehst du? Er fährt sein Motorrad …

– Cruiser, sagt Edmont.

– … bei jedem Wetter und geht keine Kompromisse ein. Kompromisse wirst du bei ihm nie erleben. Kompromisse sind das Gift des Lebens. Alles oder nichts, Mika, das ist unser Motto. Und jetzt sieh dir Achim an.

Achim begegnet meinem Blick, kein Blinzeln, es ist so, als würde ich auf eine Wand schauen.

– Unser Achim findet keinen Schlaf. Einmal in der Woche glaubt er, er wäre sterbenskrank, aber ganz tief in seinem Inneren ist auch Achim zufrieden mit seinem Leben. Ist doch so, Achim?

– Das ist so.

– Er weiß, um was es geht, und ein wenig Leiden gehört eben dazu. Du bist überrascht? Du dachtest, es geht ohne Leiden? Mika, was ist das hier?

Franco macht eine Geste in den Raum.

– Siehst du, was ich sehe? Wir leben im Zeitalter des Egoismus, mach dir das bewußt. Jeder Arsch steht nur für sich ein. Das Ich hat das sagen. Frag Apple. iPod, iPhone, iArsch. Frag diese Egomanen, die auf ihrer Facebookseite jede Minute ihres öden Daseins festhalten, damit man ja nicht vergißt, daß sie existieren. Das iLife ist gefragt. Und natürlich gehört Leiden dazu. Das Ego leidet furchtbar gerne, denn das Leiden macht uns interessanter. Erst wenn wir Schwächen zeigen, beachtet man uns. Ohne das Leiden würden wir in Höhlen hausen und einander die Würmer aus dem Arsch fummeln. Leiden ist Religion, Leiden treibt uns an, Leiden sagt uns, das wir am Leben sind, Mika. Wie Liebe und Hass.

Die anderen nicken. Franco trinkt von seinem Wein, seine eigenen Worte erregen ihn.

– Aber das ist ein Thema, das wir ein anderes Mal diskutieren können. Heute geht es um die Regeln und deine Unzufriedenheit, mach dir das bitte bewußt, denn ohne Zufriedenheit kannst du hier nicht mehr herkommen. Deswegen will ich, daß du mir jetzt gut zuhörst. Die Regeln sind simpel und klar. Sie sind dein Weg zum Glück. Sie müssen sich dir einbrennen, und es darf dabei keine Mißverständnisse geben.

Er hält vier Finger hoch, vier Regeln, vier Männer sprechen:

– Wir sind ein Kreis, sagt Edmont, Und der Kreis ist geschlossen.

– Wir sind ein Team, sagt Achim, Es gibt keine Soloprojekte.

– Wir tun alles, sagt Hagen, Um unsichtbar zu bleiben.

– Wir lösen jedes Problem gemeinsam, sagt Franco, Nie allein.

Sie sehen mich erwartungsvoll an. Auch wenn ich weiß, daß es nicht so ist, fühlt es sich an, als hätten sie das nur für mich eingeübt.

– Eine Regel fehlt, sage ich.

Sie lachen nicht, sie warten.

– Und die wäre? fragt Achim.

– Es gibt nur einen Gott, und der hat das Sagen.

Hagen grinst, Achim runzelt die Stirn, weil er den Zusammenhang nicht versteht, Edmont lacht los und stößt Franco an, der abwehrend die Hände hebt, als würde er sich ergeben. Ich kann sehen, er ist zufrieden mit mir.

– Willkommen in unserem Kreis! sagt er.

– Auf Gott! sagt Hagen und hebt sein Glas.

– Auf die Scheißreligion! sagt Edmont.

– Auf uns! sagt Achim.

Wir stoßen an. Unsere Gesichter glühen.

Gemeinschaft. Spannung. Lust.

Aus den vier Männern sind jetzt fünf geworden.

Fünf Wege, die zu einem Ziel führen.

Vier Regeln und eine Regel dazu.

Den Rest des Abends verlieren wir kein Wort mehr darüber. Wir sprechen über die Krise bei der Deutschen Bahn, über die Querelen in der Politik und andere Belanglosigkeiten dieser Welt, die in der nächsten Woche schon wieder andere sein werden. Als wir vor dem Pub stehen, will Franco wissen, was für einen Computer ich habe.

– Notebook.

– Und warst du …

– … nur in den Foren, antworte ich schnell.

Er wartet.

– Ein paar Downloads bei Usenet, füge ich hinzu und werde rot, Meistens Photos, aber auch ein paar Filme.

Franco holt einen Geldclip heraus. Er hält nichts von EC- oder Kreditkarten. Er will nicht, daß man jeden seiner Schritte verfolgt. Sein Geldclip erinnert an ein gut belegtes Sandwich.

– Was hat dein Notebook gekostet?

Ich sage es ihm. Er gibt mir siebenhundert Euro.

– Kauf ein neues.

– Aber …

– Du brauchst keine Downloads mehr, du bist jetzt im wahren Leben angekommen, verstehst du?

Ich könnte protestieren, ich könnte sagen, daß ich mir selbst ein neues Notebook leisten kann, aber darum geht es nicht. Regeln sind wichtig, und Franco hat das Sagen. Ich lerne, keine Widerworte zu geben, und stecke das Geld ein. Achim räuspert sich wie jemand, der am Bühnenrand steht und vergessen wurde. Wir sehen ihn an, er wendet sich nur an mich.

– Komm Samstag zu mir. Und bring dein altes Notebook mit. So gegen acht.

Ich bin überrascht und verberge es nicht. Ich sage, daß mir acht passen würde. Achim gibt mir seine Adresse. Edmont steigt auf seinen Cruiser und fährt davon. Hagen vergräbt die Hände in den Hosentaschen, stellt sich an die Straße und hält Ausschau nach einem Taxi. Franco klappt sein Handy auf und fragt, wie er mich erreichen kann. Bisher hat keiner seine Nummer preisgegeben oder gefragt, ob er mich anrufen kann. Wir finden uns im Pub.

Ich sage ihm meine Nummer. Franco tippt. Sekunden später klingelt es in meiner Jackentasche. Franco klappt sein Handy wieder zu. Ein Taxi hält. Erst als sie weg sind, schaue ich auf mein Handy und speichere Francos Nummer unter GOTT ab. Ich schließe den Mantel bis zum Hals und mache mich auf den Weg nach Hause. Ich komme keine zehn Schritte weit, als ich die ersten Schneeflocken im Scheinwerferlicht der Autos schweben sehe. Ich muß stehenbleiben. Die Erinnerung schmerzt, sie schmerzt so sehr, daß mir schwindelig wird. Für eine Weile hocke ich mich in einen Hauseingang und betrachte den nadelfeinen Schneefall. Erst als keine Tränen mehr kommen, setze ich meinen Heimweg fort.

Still

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