Читать книгу Still - Zoran Drvenkar - Страница 20

ICH 1

Оглавление

Es gibt keine sicheren Orte. Wir geben uns Mühe. Wir errichten Wände, wir schließen Türen und Vorhänge. In den Nächten lauschen wir auf jedes Geräusch, am Tag wagen wir uns vor die Tür und schauen nach links und rechts, bevor wir die Straße überqueren. Wir sind mißtrauisch, wir sind vorsichtig, wir wissen es nicht anders, denn es gibt keine sicheren Orte. Es gibt aber Waffen und Wut, es gibt Gier und Lust, es gibt die Ungerechtigkeit und das Schicksal, das uns verlacht. Kein Ort ist sicher, und kein Zuhause bietet wirklich Schutz. Auch kein Bungalow mit einer hellblauen Eingangstür und einer funktionierenden Alarmanlage. Auf dem Klingelschild steht:

Achim & Rosa

Stefan & Marcel

Nach hinten raus liegt ein verschneiter Garten mit Schuppen und gemauertem Grill, die Büsche sind ordentlich gestutzt, alle Jalousien im Erdgeschoß runtergelassen.

Der Bewegungsmelder reagiert, als ich mich der Tür nähere, und ein Licht geht an.

Achim öffnet nach dem zweiten Klingeln. Er trägt einen Norwegerpullover, Jeans und Socken, er hat sich eine Schürze umgebunden und die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgeschoben. Franco hat nicht übertrieben, Achim hat es am schwersten. Er ist immerwährend müde und erschöpft, als würde sein Gewissen bis in die Träume hineinreichen und ihn nicht ruhen lassen.

– Ich nehm dir das mal ab, sagt er.

Ich reiche ihm mein Notebook, er klemmt es sich unter den Arm.

Achim ist der Kundschafter. Ohne ihn würden sich die anderen nicht orientieren können. Achim macht den ersten Schritt. Mit seiner handfesten Art und seinem Gespür für Schwäche. Sein Beruf ist ideal dafür. Satellitenanlagen sind gefragt, und Solartechnik wird immer erschwinglicher. Achim ist ein guter Berater, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht glaubt. Er taut nur zögerlich auf, aber dann hält er einem die Treue und honoriert, daß man sich mit ihm die Mühe gemacht hat. Ich gebe mir Mühe und lächle. Achim bittet mich rein.

Seine Söhne sind sechs und neun. Er spricht nie über sie. Ihre Photos hängen im Flur. Zahnlücke und Sommersprossen. Sie übernachten heute bei Freunden, seine Frau ist bei ihrer Schwester.

– Wir haben sturmfreie Bude, sagt Achim und schließt die Haustür hinter mir ab.

Ich hänge meinen Mantel auf und streife die Stiefel ab. Es riecht nach Braten und Sauerkraut. Der Tisch im Wohnzimmer ist gedeckt.

– Setz dich doch.

Achim verschwindet in der Küche. Töpfe klappern, die Herdklappe geht auf, die Herdklappe geht zu, das Klimpern von Flaschen. Achim kommt zurück und reicht mir ein gekühltes Schnapsglas. Er setzt sich nicht, also stehe ich wieder auf.

– Prost, Mika!

– Prost, Achim!

Wir stoßen an. Der Wodka geht runter wie Öl. Der Schlag trifft mich so überraschend, daß mein Kopf zur Seite schnellt und mir Speichel und Wodka in einer glitzernden Bahn aus dem Mund fliegen. Das Glas rollt über den Boden. Meine Wange steht in Flammen. Bevor ich reagieren kann, hat mich Achim am Hemd gepackt und zu sich herangezogen. Ich bin zehn Zentimeter größer als er und schaue auf ihn runter. Die Worte kommen gepreßt zwischen seinen Zähnen hervor.

– Jetzt reden wir mal Tacheles. Wie hast du uns gefunden?

– Ich … Zufall …

Er macht drei Schritte nach vorne und trägt mich vor sich her, als hätte ich kein Gewicht, dann rammt er meinen Rücken gegen die Wand. Einmal, zweimal. Mein Kinn trifft auf seinen kahlen Schädel, meine Zähne knirschen aufeinander, die Bulldogge schüttelt mich durch.

– Ich frag dich nochmal: Wie hast du uns gefunden?!

– Ich sagte doch …

Seine Hände lösen sich von meinem Hemd, für eine Sekunde denke ich, ich habe es überstanden, da hämmert er mir auch schon in den Magen, eine Kombination von vier Schlägen, rechts, links, rechts, links. Achim hat in seiner Jugend geboxt. Amateurliga. Aber seine Knochen waren zu fein, hat er uns erklärt und dabei bedauernd auf seine Hände runtergeschaut, als hätten sie ihn verraten. Jetzt fühlen sich seine Fäuste an, als wären sie aus Granit. Mein Solarplexus implodiert, mir wird schwarz vor Augen. Ehe ich zusammensacken kann, hat er mich wieder gegen die Wand gedrückt. Es sind keine fünf Sekunden vergangen, ich schmecke Galle, ich muß würgen und schnappe nach Luft.

– Mika, sprich mit mir.

– Ich …

Er wartet, ich atme, er wartet, ich erzähle es ihm.

Still

Подняться наверх