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5~Kadence

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„Ich kann dich ja irgendwo verstehen …“ Millie ließ ihre langen, bestiefelten Beine von der Mauer baumeln, zog an ihrer Zigarette und blies eine Rauchwolke in die Nachtluft.

„Martin benimmt sich wie der letzte Arsch und du brauchst einen Tapetenwechsel. Klar. Aber musst du deshalb gleich bei irgendeinem wildfremden Opa einziehen?“

Kadence seufzte und rieb sich fröstelnd über die Oberarme. Obwohl offiziell Frühling war, kühlte die Luft nachts ganz schön ab, besonders hier oben auf dem Schlossberg – dies wurde aber durch die Aussicht auf die Stadt wieder wettgemacht. Wenn sie nichts zu tun hatten, kamen Kadence und Millie gerne hierher, um sich auf die Mauer der alten Festungsruine zu setzen und tiefsinnige Gespräche zu führen. Gespräche, die Kadence stets aufzumuntern pflegten – normalerweise …

„Ich weiß ja, dass es verrückt klingt …“, murmelte sie, „aber … keine Ahnung, mein Gefühl sagt mir, dass es richtig ist. Herr von Gundelstein ist so ein netter Mann.“

„Und vor allem kann er nicht davonlaufen wie die anderen Männer, die bisher mit deinem Helfersyndrom beglückt wurden.“

Diese Bemerkung versetzte Kadence einen Stich, doch sie schwieg.

„Du bist wirklich zu gut für diese Welt, Kady. Wäre das Leben gerecht, wären die Leute dir für deine Hilfsbereitschaft dankbar, aber so funktioniert das leider nicht. Menschen, und speziell die meisten Männer, respektieren einen nur, wenn man ihnen mindestens einmal richtig in die Weichteile tritt.“

„Ich kann nicht glauben, dass alle so sind“, brummte Kadence. „Herr von Gundelstein ist ein freundlicher alter Gentleman, aber er ist eindeutig selbstmordgefährdet und außerdem …“

„… ganz genauso wie alle anderen, glaub mir. Hast du nicht sein Gesicht gesehen, als wir vorhin beim Einräumen deinen monströsen Erste-Hilfe-Koffer angeschleppt haben?“

Millie machte die Stirn kraus, wie Herr von Gundelstein es öfter tat, und zog eine Schnute, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Obwohl Kadence ein wenig verärgert war, prustete sie los, weil sie seinen Gesichtsausdruck so gut traf.

„Ich glaube nicht, dass ihm der Gedanke gefällt, von dir wiederbelebt zu werden … zumindest nicht auf diese Weise.“

Millie grinste anzüglich, und Kadence verdrehte die Augen. Mochte ja sein, dass andere Männer so dachten. Aber doch nicht Herr von Gundelstein!

„Mir ist kalt“, murrte sie unwirsch. „Lass uns gehen.“

Die beiden verließen die Mauer, setzten sich in Millies alten schwarzen Ford Sierra und fuhren über eine Straße, die sich durch den Wald den Berg hinabschlängelte, in die Stadt zurück.

Millie setzte Kadence vor dem Schwesternwohnheim neben dem Uni-Campus ab.

„So, jetzt sind nur noch dein narkoleptischer Kater und das Fahrrad übrig. Meinst du, du packst das alleine?“

Kadence nickte. „Das ist kein Problem. Vielen Dank für deine Hilfe. Und jetzt fahr, sonst macht dein Freund sich noch Sorgen.“

Sie schlug die Tür hinter sich zu und wartete, bis die Rücklichter des Wagens hinter einer Kurve verschwunden waren. Dann schleppte sie sich zu Fuß in den fünften Stock hinauf.

Bert, ein prächtiger Kartäuser Kater, schlief wie gewohnt friedlich eingerollt auf dem Fensterbrett. Kadence hob ihn vorsichtig in die Höhe, steckte ihn in eine Katzenbox und verließ zum letzten Mal ihr ungewohnt leeres Apparment. Mit Bert auf dem Gepäckträger schlug sie den Weg Richtung Krautstraße ein.

Ob Herr von Gundelstein wohl schon zu Abend gegessen hatte? Wahrscheinlich saß er wieder vor seinem Fenster und brütete vor sich hin. Kadence hatte oft beobachtet, wie er das tat, und sich genauso oft gefragt, was den alten Herrn wohl so beschäftigte.

Auf einmal zwang eine Weggabelung sie, anzuhalten. Sie setzte einen Fuß auf den Boden und sah sich um. Sie befand sich an der Grenze zum Gelände der Uniklinik, direkt gegenüber der Pathologie. Rechts war die Schranke zum Campus, nach links führte der Weg durch waldiges Gebiet zur Hauptstraße.

Kadence warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Erst zwanzig nach neun. Wie in Homburg um diese Zeit üblich, befand sich keine Menschenseele auf der Straße. Dafür war die Stadt jedoch berühmt für ihre niedrige Kriminalitätsrate: Nie las man von Morden oder Überfällen in der Zeitung.

„Wie sieht’s aus, Dicker, sollen wir die Abkürzung nehmen?“, fragte Kadence über ihre Schulter. Sie erhielt keine Antwort, doch wer schwieg, stimmte ja bekanntlich zu.

„Na gut, auf deine Verantwortung.“

Sie trat in die Pedale und lenkte ihr klappriges Rad in den Wald hinein. Die Straßenbeleuchtung war selbst für Homburger Verhältnisse bescheiden, doch Kadence hatte kein bisschen Angst. Schließlich war alles wie immer: Die schwarzen, eng stehenden Bäume, das leise Geflüster ihrer Äste im Wind, das zehnstöckige Gebäude der HNO, das zwischen ihnen aufragte wie ein quadratischer Betonriese, das schlecht beleuchtete Wartehäuschen der Bushaltestelle, direkt daneben die Bodenwelle … Moment, seit wann gibt es hier eine Bodenwelle?

Itthona

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