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7~Balthasar

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Wie hatte es nur so weit kommen können?

Da saß Balthasar nun und besah sich die Bescherung. Seine schöne Wohnung! Noch vor einigen Tagen war hier alles luftig, sauber und ordentlich gewesen. An Möbeln hatte er bei seinem Einzug nur das Nötigste besorgt: Ein paar niedrige IKEA-Schränke hier und da, ein altes Klavier vom Sperrmüll, zwei Tische für Wohnzimmer und Küche, einen Sekretär, ein schlichtes Bett für das Schlafzimmer, einen Sessel und jeweils einen Stuhl für alle Räume, weil das einfach dazugehörte.

Und was war jetzt? In allen Ecken lagen halb offene Umzugskisten herum, das Wohnzimmer war zugestellt mit Hockern, Topfpflanzen, einer Kommode und diesem unsäglichen Erste-Hilfe-Koffer, der widerlich nach Medizin stank. Nicht einmal ins Badezimmer konnte man flüchten, denn wo früher blanke, weiße Kacheln strahlten, wimmelte es jetzt von Badetüchern, Wattepads und allerlei anderem gruseligen Frauenkram. Doch was Balthasar mit Abstand am meisten entsetzte, war der anderthalb Meter hohe Katzenkratzbaum mitten im Flur. Als Kadence und ihre furchterregende schwarz gewandete Freundin den anschleppten, hatten sie Balthasar beinahe soweit, dass er Einspruch erhob. Doch Kadence und ihr treuherziger Meerwasserblick machten ihm einen Strich durch die Rechnung.

„Das alles ist nicht nur für mich, es ist auch für Sie“, erklärte sie. „Mir ist schon vor einer Weile aufgefallen, dass Sie nur ganz dürftig eingerichtet sind. Womit haben Sie sich denn bisher abgetrocknet?“

Balthasar schwieg darüber, dass er jahrelang geglaubt hatte, zum Abtrocknen benutze man heutzutage Küchenpapier. Als er dann herausfand, dass dem nicht so war, hatte er sich schon zu sehr daran gewöhnt, um auf Handtücher umzusteigen. Das viel brisantere Thema war jedoch:

„Sagen Sie, Kadence, diese eigenartige Skulptur … brauchen wir die denn unbedingt?“

„Sie meinen den Kratzbaum? Den habe ich extra gekauft, um Ihre Möbel zu schützen.“

Balthasar dachte einen Moment darüber nach, begriff jedoch den Zusammenhang nicht.

Auf seine Nachfrage, wovor seine Möbel denn beschützt werden müssten, erklärte Kadence: „Na, vor Bert. Nicht, dass er bei mir jemals etwas kaputt gemacht hätte, meistens schläft er ja. Aber schaden kann es nicht.“

„So … Bert kommt also auch mit?“, hauchte Balthasar, einem gefühlten Schlaganfall nahe. Doch da war Kadence schon wieder durch die Wohnungstür gestürmt, gefolgt von Goth-Emilia, die noch kurz im Türrahmen stehen blieb.

„Sie wissen es vielleicht noch nicht, aber Sie haben ganz schön Glück mit unserer Kadence“, wollte sie Balthasar weismachen. „Die Kleine ist manchmal etwas anstrengend, aber sie hat das Herz am rechten Fleck … also, wenn Sie es wagen, sie irgendwie unsittlich oder sonst wie zu belästigen, kriegen Sie es mit mir zu tun. Kapiert?“

Balthasar war den Tränen nahe. Womit hatte er das bloß verdient? War das die Strafe, weil er das Mädchen in der Hoffnung bei sich aufgenommen hatte, endlich mal wieder ein kleines bisschen junges Blut zu schmecken? Wenn es denn wenigstens geklappt hätte! Aber nichts funktionierte, wie es sollte.

Ein Gutes hat die Angelegenheit, tröstete sich Balthasar. Schlimmer kann es jetzt wirklich nicht mehr kommen.

Wie auf Stichwort klopfte es an der Eingangstür – seltsam dumpf, als trete jemand mit der Schuhspitze dagegen. Nanu? Hatte Kadence nicht einen Wohnungsschlüssel? Verwundert lenkte Balthasar seinen Rollstuhl aus dem Wohnzimmer in den Flur. Dabei brauchte er länger als sonst, weil er im Slalom um Kadences Kisten herumfahren musste. Erneut klopfte es, diesmal wesentlich herrischer.

„Ist ja gut, ich komme ja schon! Wer ist da?“

„Mach auf, aber plötzlich!“, donnerte es hinter der Tür. Balthasar zuckte zusammen.

„Wer sind Sie und was wollen Sie? Gehen Sie weg! Ich habe eine Schrotflinte!“

„Na schön, wie du willst.“

Balthasar wollte etwas Einschüchterndes erwidern, aber da flogen ihm schon die Massiveichensplitter seiner ehemaligen Hochsicherheitstür um die Ohren.

Ohne dass Balthasar etwas dagegen tun konnte, sprang ein glatzköpfiger Riese in Jeans und Kapuzenpulli in seinen Flur – mit einer leblosen Frauengestalt, die er wie einen Sack Zement über der Schulter trug, und einem glänzenden schwarzen Straußenei in der Hand. Vervollständigt wurde das Bild von einer übergewichtigen grauen Katze, die mit ihren Krallen an den Hosenbeinen des Riesen klebte. Offenbar versuchte sie, den Stoff streifenweise abzukratzen; und die Haut darunter gleich mit.

„Gundelstein, du hast mich angelogen. – Verflixtes Biest, hau endlich ab!“ Der Riese schüttelte die Katze ab, worauf sie sich laut fauchend auf das andere Bein stürzte.

Plötzlich ging Balthasar ein Licht auf.

„Du …! Du warst neulich schon einmal hier!“

„Oh, der Herr erinnert sich endlich. Wunderbar! Und jetzt verrat mir, wo ich deine Pflegerin abladen soll.“ Der Mann drehte sich um, sodass Balthasar freien Blick auf den herabhängenden Oberkörper der Frau hatte.

„Kadence! Was hast du mit ihr gemacht? Ist sie tot?“

Der Hüne war offenbar nicht gewillt, Balthasar eine gesittete Antwort zu geben. „Zum Kuckuck noch mal! Wo ist das verflixte Bett?“

„Hinter der Tür neben dem … Katzenkratzbaum … Es liegen allerdings noch ein paar Sachen darauf …“

Knurrend verschwand der Riese mit Kadence und der Katze im Schlepptau hinter besagter Tür. Balthasar hörte lautes Geschepper, Gefluche und Gemaunze, ehe sein unwillkommener Besuch sich ohne Kadence – und ohne Katze – wieder im Flur blicken ließ, wo er sofort die Tür hinter sich schloss.

„So … und jetzt haben wir zwei ein Hühnchen miteinander zu rupfen.“

„Wer ist das? Mit wem sprichst du da?“, erklang eine fremde männliche Stimme. Balthasar brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie aus dem schwarzen Straußenei kam. Oh je, jetzt war es wirklich passiert: Er war senil geworden.

„Das ist Balthasar von Gundelstein, Herr und Meister der jungen Frau, die dich in diese Kapsel gesperrt hat.“

„Was? Ja, bist du denn wahnsinnig, sie hierher zurückzubringen?“

„Mir gefällt es auch nicht besonders“, knurrte der Bodybuilder. „Aber uns bleibt keine andere Wahl.“

„Wer sagt das? Papi?“

Der Hüne riss die Augen auf, dass man das Weiße um die Iris sah.

„Ein falsches Wort über den General, und ich schwöre dir …!“

„Ähem. Wenn ich die Herren kurz unterbrechen darf“, fiel Balthasar dazwischen. „Wer sind Sie eigentlich und was wollen Sie hier?“

Der Hüne hörte auf, mit dem Ei zu streiten und wandte sich mit verblüffter Miene Balthasar zu.

„Habe ich das noch nicht gesagt?“ Balthasar schüttelte den Kopf.

„Wo hast du nur deine Manieren?“, höhnte das Ei und kassierte sogleich einen Klaps auf den Deckel. „Au! Nicht so grob!“

„Mein Name ist Gregor, der Gesichtslose, Hauptmann der silvestrianischen Armee.“ Der Hüne schlug die Hacken zusammen und salutierte. „Und das hier ist Hauptmann Tassud, Schattengebieter der Armee Berglands.“

„Angenehm“, sagte das Ei. „Entschuldigung, dass ich Ihnen nicht die Hand geben kann, ich habe meinen Körper in Hamburg gelassen.“

„Hattest du es so eilig, mich umzubringen, dass du ihn vergessen hast?“, fragte der Riese spöttisch.

„Hätte ich denn warten sollen, bis du mit unserer Waffe abhaust?“

„Aaah, wie oft denn noch! Es ist nicht eure Waffe. Sie gehörte Arawin, unserem Weißen Wei …“

„Schluss jetzt!“ Balthasars Faust schmetterte gegen die Wand, dass der weiße Putz Risse bekam.

„Jetzt passt mal auf, ihr Verrückten: Das hier ist immer noch meine Wohnung! Entweder, ihr erklärt mir auf der Stelle, was das alles soll, oder ihr trollt euch!“

Hauptmann Gregors Miene verdüsterte sich, was bei seinem ausladenden Unterkiefer und den buschigen schwarzen Augenbrauen ziemlich beeindruckend aussah.

„Wie kannst du es wagen? Zuerst lügst du mich an, und jetzt willst du uns rausschmeißen?“

Balthasar hätte ihn am liebsten geohrfeigt. „Angelogen? Ich? Dich? Also das ist doch …“

Der Hauptmann bückte sich und piekte Balthasar mit einem fleischigen Zeigefinger in die Brust.

„’Ich weiß nichts von einer Waffe, ich habe nur einmal ein seltsames Vibrieren verspürt’“, äffte er Balthasar mit weinerlicher Stimme nach – völlig untreffend übrigens. „Komm schon! Hör endlich auf, dich so blöd zu stellen!“

„Das war die reine Wahrheit!“, raunzte Balthasar und verschränkte die Arme vor der Brust, um sich dem piekenden Finger zu entziehen.

„Du kannst mir nicht erzählen, dass du es nicht gewusst hast!“, brauste der Hauptmann auf. „Was für ein falsches Spiel spielst du hier eigentlich?“

„Was gewusst? Was?“

„Greg, ich glaube, er weiß es wirklich nicht“, meldete sich das Ei zu Wort. „Lass mich mal mit ihm reden.“

Der Hauptmann stöhnte. „Meinetwegen!“ Er warf Balthasar das Ei, dessen Gewicht einem gewöhnlichen alten Mann den Brustkorb gebrochen hätte, wie einen Football zu, und verschwand schmollend ins offene Bad. Das Ei räusperte sich.

„Also pass auf: Wie Greg dir vielleicht schon erzählt hat, ist er hier, weil er eine verschollene Waffe sucht, mit deren Hilfe die Silvestrianer den Krieg gegen uns gewinnen wollen.“

„Und werden!“, tönte es aus dem Bad. Das Ei ging kommentarlos darüber hinweg.

„Ich bin aus dem gleichen Grund hier. Nur, dass ich der Meinung bin, die Waffe gehört Bergland und nicht den Silvestrianern. In unseren Chroniken steht nämlich, dass Celia, die Mutter unserer derzeitigen Königin Esther, sie hier in Technika versteckt hat.“

„Und aus was für einer … Welt kommt ihr eigentlich?“, keuchte Balthasar, während er versuchte, das Ei von seinem Zwerchfell zu balancieren, ohne es fallen zu lassen.

„Hm, wie erkläre ich das jetzt am besten … ah: Stell dir vor, die Erde ist eine Scheibe.“

Balthasar fühlte sich genötigt, einzuwenden, dass dieses Weltbild etwas überholt sei.

„Das ist doch nur ein didaktisches Konstrukt“, seufzte das Ei. „Willst du es nun verstehen, oder nicht?“

Balthasar gab sich geschlagen: „Na schön, von mir aus. Also die Erde ist eine Scheibe.“

„So. Diese Scheibe nennen wir Spiegel. Wenn nun auf der einen Seite des Spiegels eure Welt, Technika, liegt, befindet sich auf der Gegenseite Itthona. Dort kommen wir her.“

Balthasar runzelte die Augenbrauen. „Aha.“

„Soweit klar? Und nun stell dir das Ganze dreidimensional vor.“ Jetzt musste Balthasar passen.

„Unsere Welt ist eurer einerseits sehr ähnlich, andererseits ist sie ganz anders“, fuhr das Ei fort. „Wir haben zwar Wälder, Meere, Flüsse, Berge, ähnlich wie ihr, aber bei uns ist die Artenvielfalt größer. Und wir haben keine Industrie. Bei uns gibt es weder Benzin noch Elektrizität.“

„Und woher bezieht ihr dann eure Energie?“

Das Ei druckste herum.

„Das … äh … darf ich nicht verraten. Wir haben unsere speziellen Quellen, die im Übrigen auch Gegenstand unseres Krieges sind.“

Aha! Balthasar hatte es schon immer gewusst: Egal wann, egal wo, egal wer: Menschen waren immer gleich.

„Und was hat das alles mit meiner Krankenschwester zu tun?“

Er deutete mit dem Kinn zur geschlossenen Tür.

Das Ei senkte die Stimme. „Das Mädchen, das hier bei dir wohnt, ist keine gewöhnliche Krankenschwester …“ Es machte eine lange rhetorische Pause, ehe es heiser fortfuhr:

„In unseren Chroniken gibt es eine Prophezeiung, dass unsere dreiundsechzigste Königin, somit wiederum Celia, ein Kind gebären würde, das die Macht hat, hundert silvestrianische Heere auszulöschen.“

„Was sagst du da?“ Hauptmann Gregor sprang mit tropfnassem Gesicht aus dem Bad. Er kannte den Trick mit den Handtüchern wohl auch noch nicht.

„Tassud! Laut unserer Prophezeiung wird einer unserer Weißen Weisen eine Tochter zeugen, die dazu bestimmt ist, hundert bergländische Heere auszu … oh!“

Gregors Augen weiteten sich. Auch das Ei schwieg betroffen. Balthasar hob die Augenbrauen.

„Lasst mich raten: Ihr haltet Kadence für die Tochter dieser Celia und des weißen Weisen.“

Das Ei schnaubte verächtlich. „Das ist … skandalös!“

Gregor ballte seine Fäuste. „Wie konnte Arawin nur?“

„Arawin? Wie konnte Celia nur? Ihr Volk zu verraten für einen stinkenden Silvestrianer! Wäre sie nicht vor Jahren verschwunden, hätte sie jetzt ein ganz schönes Problem.“

„Auszeit!“, rief Balthasar schnell, ehe noch irgendetwas von seiner Einrichtung in die Brüche ging.

„Bleiben wir doch bitte sachlich, meine Herren. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Kadence nicht nur aus eurer beider Länder abstammt, sondern … auch noch identisch ist mit der von euch gesuchten Waffe? Mit dem Ding, das euren Krieg entscheiden soll?“

Der Hauptmann starrte in die Luft und nickte, als würde er es selbst nicht glauben. Er war immer noch ganz blass um den Mund.

„Und ihr seid euch vollkommen sicher, dass da keine Verwechslung vorliegt?“, hakte Balthasar nach. „Ich meine, schaut sie euch doch mal an!“

Das Ei schnaubte abermals. „Schau lieber mich mal an. Denkst du, ich hocke zum Spaß hier drin?“

„Sie ist es, Gundelstein“, seufzte Gregor. „Sie ist unheimlich stark und sie hat einen weißen Raben als Schutzgeist, genau wie Arawin.“

„Und sie hat Celias Augen.“

„Aber wieso hat Esther euch nicht gesagt, dass ihr nach ihrer Schwester suchen müsst und nicht nach einem magischen Gegenstand?“, wunderte sich Gregor.

„Ich nehme an, sie weiß selbst nicht, dass sie eine Schwester hat“, mutmaßte das Ei. „Wahrscheinlich hält sie sich selbst für das Kind aus der Prophezeiung. Immerhin ist sie genauso Celias Tochter wie Kadence … Und in Bezug auf die Waffe ist in den Schriften nie von einem Mädchen die Rede.“

„Bei uns auch nicht … und das ist auch nicht verwunderlich. Schließlich wollten ihre Eltern nicht, dass sie gefunden wird.“

Gregor schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.

„Natürlich! Deshalb habe ich ihre magische Aura nie gespürt. Arawin und Celia haben sie hinter einem Tarnschild verborgen.“

Magische Aura? Tarnschild? Allmählich rauchte Balthasar der Kopf von all dem wirren Zeug, das diese Spinner erzählten.

„Wie auch immer“, sagte er schnell. „Das Wesentliche ist doch: Ihr habt jetzt, was ihr wolltet. Geht, nehmt eure Königstochter mit, werft meinetwegen eine Münze um sie.“

Gregor blickte verwundert auf. „Du meinst, du würdest sie widerstandslos aufgeben?“

Balthasar seufzte melodramatisch. „Schweren Herzens … aber wenn sie eine Art … Prinzessin ist, würde ich ihrem Glück doch niemals im Wege stehen. Wenn ihr wollt, könnt ihr sie gleich mitnehmen.“

„Ja, Greg, befrei mich, und dann werfen wir eine Münze“, begeisterte sich das Ei. „Komm schon, wie in den guten alten Zeiten.“

„Ich erinnere dich nur ungern daran, aber es ist keine Stunde her, da wolltest du mich töten“, knurrte der Hauptmann. „Das hat die guten alten Zeiten ein für alle Mal beendet! Außerdem können wir das nicht machen.“

„Was nicht machen?“ Balthasar hatte schon wieder eine dieser Vorahnungen …

„Sie unvorbereitet aus ihrer gewohnten Umgebung herausreißen. Ich habe mir die Sache überlegt: Ich werde mit meinem Vater, dem General, sprechen, und ihn bitten, im Palast alles für Kadences Ankunft vorbereiten zu lassen. Aber hinbringen werde ich sie erst, nachdem ich sie schonend auf ihr neues Leben vorbereitet habe. Damit wir auch ganz sicher sein können, dass sie nicht … außer Kontrolle gerät.“

Balthasar wagte kaum, zu fragen: „Und was bedeutet das für mich?“

„Dass ich bei dir einziehen werde, was sonst? Und Tassud auch, aber der nimmt ja nicht viel Platz weg.“

Während Balthasar das Gefühl überkam, in Ohnmacht zu fallen, schrie das Ei auf: „Was?“

„Aber … aber … Sie ist doch die Tochter eures großen weisen Weißen! Der möchte doch seine Tochter bestimmt so schnell wie möglich wiedersehen!“

„Ich kann hier nicht bleiben! Unmöglich!“, kreischte das Ei. „Lass mich mit Esther reden, Gregor! Bitte! Wir können uns bestimmt irgendwie einigen.“

„Arawin ist seit zwanzig Jahren verschollen, Gundelstein. Außerdem ist Kadences Herkunft ein weiterer Grund, nichts zu überstürzen … überlegt doch mal: Kadence ist die Tochter zweier der größten Magier unserer Geschichte. Sie ist vermutlich hundertmal stärker als wir drei zusammen … wobei ich immer noch nicht weiß, was du eigentlich bist, alter Mann.“

Gregor blickte Balthasar erwartungsvoll an.

„Ja, was bist du eigentlich?“, wollte nun auch das Ei wissen.

Balthasar fühlte sich in die Enge getrieben. Er spürte sie förmlich auf sich zurollen: Eine gewaltige Lawine schwerer Prüfungen, der er nicht mehr ausweichen konnte. Vielleicht verschaffte es ihm ja wenigstens ein bisschen Respekt, wenn er sich offenbarte? Schicksalsergeben zog er die Oberlippe hoch.

„Was ist denn? Was macht er?“

„Er zeigt mir seine Reißzähne“, erklärte Gregor dem Ei. „Er ist ein Vampir.“

Er sagte es sachlich, doch seine Schultern zuckten und er grunzte wie ein Ferkel bei der Fütterung. Frecher Bengel!

„Die gibt es noch?“, staunte das Ei. „Ich dachte, die wären seit der großen Vampirverfolgung vor dreihundert Jahren ausgestorben?“

„Offenbar nicht in Technika … eines sage ich dir, mein Freund, gebissen wird hier nicht, vor allem nicht die Prinzessin.“ Wieder piekte der Hauptmann Balthasar in die Brust – eine äußerst nervtötende Geste.

„Ihr Blut ist stark mit Magie geladen. Wenn du es zu dir nimmst, verwandelst du dich womöglich noch in eine Fledermaus in Godzilla-Format, und wir wollen doch kein Aufsehen erregen.“

Balthasar presste beleidigt die Lippen zusammen.

„Ich habe nicht vor, irgendjemanden zu beißen, junger Mann. Ich bin ein zivilisierter Vegetarier und kein Barbar!“

Mein rechter oberer Fangzahn wackelt seit 1776 und ich komme aus dem Rollstuhl sowieso nicht an Hälse heran, wäre die ehrlichere Antwort gewesen. Doch was ging das diese Strolche an?

„Wenn ihr es unbedingt wissen müsst: Ich ernähre mich von Rotkohl“, stellte er klar. „Es dämpft den Hunger, und durch den dauerhaften Blutverzicht bleibt meine Haut lichtunempfindlich.“ Dass es ihn außerdem aufblähte wie einen Jahrmarktballon, verschwieg er weise – was leider nichts nützte.

„Daher also der Gestank!“, erhellte sich Gregors Gesicht. „Welcher Gestank?“, fragte Tassud.

„Genug diskutiert!“, fauchte Balthasar. „Ihr wollt euch mir aufdrängen, oder nicht? Meinetwegen, wenn es nicht anders geht. Aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr es kurz macht, hinter euch aufräumt und niemals jemandem verratet, wer ich bin, was ich bin und wo ich lebe. Ist das ein Angebot?“

Er streckte Gregor die Hand entgegen. Dieser schlug ohne zu zögern ein. „So machen wir’s. Aber wenn du gestattest, würde ich dir anstelle des Kohls gerne ein anderes Blutersatzgemüse besorgen. Hast du es zum Beispiel schon mal mit roter Bete versucht? Oder, ganz klassisch, mit Tomatensaft?“

Itthona

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