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4~Balthasar

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Was für ein unverschämter Bengel!

Noch nie in seinem Leben war Balthasar derart beleidigt worden. Da bricht der Kerl einfach mir nichts, dir nichts in seine Wohnung ein und lässt ihn wie einen Idioten dastehen.

„Silvestria, Bergland, Krieg. Pah!“

Die ganze Nacht saß Balthasar in seinem Rollstuhl, starrte durch das offene Fenster auf die blasse Mondsichel und grübelte über seinen magischen Besuch. Ob diese Bergländer tatsächlich kommen und ihn mit ihrem Unsinn belästigen würden? Was waren das eigentlich für Leute? Balthasar fröstelte bei dem Gedanken, dass irgendwelche haarigen Ungeheuer bei ihm eindringen und Erklärungen fordern könnten, die er – trotz seiner großen Weisheit – zu geben nicht imstande war.

Als die Morgensonne über den Horizont lugte, hockte Balthasar immer noch am Fenster und grübelte. Irgendetwas musste geschehen. Er konnte zum Beispiel versuchen, dafür zu sorgen, dass der Katzenbengel wiederkam, und ihm ein Tauschgeschäft anbieten: Seine, Balthasars, wertvolle Hilfe bei der Suche nach seinem Dingsbums gegen Information über diese andere, magische Welt. Wie er seinen Teil des Geschäftes erfüllen sollte, war Balthasar zwar schleierhaft, aber Bereitschaft zeigen konnte er allemal. Oder er entschied sich für die Alternative …

Ein letztes Mal sog Balthasar die taufrische Morgenluft tief in seine Lungen. Dann wendete er seinen Rollstuhl und fuhr geschwind in die Küche. Wie sollte er es diesmal anstellen? Sich erdolchen? Er öffnete eine Schublade und zog ein langes Fleischmesser heraus. Die ersten Sonnenstrahlen ließen die scharfe Klinge goldgelb funkeln.

Es war eine Möglichkeit. Andererseits würde es ohne Blut sehr unglaubwürdig wirken. Also vielleicht doch der gute alte Schlaganfall?

„Herr von Gundelstein, Sie sind schon auf?“

Hätte Balthasars Herz noch geschlagen, hätte es in diesem Moment ausgesetzt. Unwillkürlich presste er die Hand auf die Brust. „Kadence! Wie können Sie mich so erschrecken?“

Das Mädchen riss die Augen auf. „Oh, das tut mir leid! Ich habe mich nur gewundert, dass Sie … ooh!“

„Was ist denn?“

„Sie … Sie haben da ein M…M…Messer … in Ihrer B…B…Brust. Nicht bewegen! Ich rufe den Notarzt!“

Sie wirbelte herum und stürmte mit wehenden Haaren aus der Küche. Verdutzt blickte Balthasar an sich hinunter. Tatsächlich, das Fleischmesser steckte gut fünf Zentimeter tief in seiner Brust – und zwar genau auf Herzhöhe. Ups.

„Kadence, warten Sie, keine Polizei! Ich meine, keinen Arzt, bitte, mir geht es gut!“ Mit einem beherzten Ruck zog Balthasar das Messer heraus. Wenn ihm jetzt nichts wirklich Gutes einfiel, war er erledigt.

„Schauen Sie her, da steckt kein Messer!“, rief er Kadence hinterher. „Ich hatte es mir nur unter den Arm geklemmt, um mir … äh … die Achseln zu rasieren.“

Kadences kleine, sommersprossige Nase erschien im Türrahmen. „Sie wollten … was rasieren?“

Balthasar winkte sie zu sich.

„Kommen Sie her. Setzen Sie sich.“

Kadence zögerte einen Moment, dann trat sie näher und setzte sich ihm schüchtern gegenüber. „Aber … es sah wirklich so aus, als ob …“

Sie trug immer noch ihre beigefarbene Frühlingsjacke, darunter Jeans und hohe Stiefel, die ihre schlanken Fesseln betonten. Sie sah im wahrsten Sinne des Wortes zum Anbeißen aus, aber davon durfte Balthasar sich nicht ablenken lassen. Was jetzt anstand, war:

„Schauen Sie mir in die Augen.“

Kadence schaute.

„Sehe ich so aus, als ob ich fähig wäre, mir ein Messer in die Brust zu rammen? Schon allein physisch.“

Kadence zögerte wieder, schüttelte dann aber den Kopf.

„Irgendwann werde ich sterben. So will es die Natur“, verkündete Balthasar pathetisch. Es war nur fair, sie darauf vorzubereiten. „Und wahrscheinlich wird es bald sein … Aber das ist schon in Ordnung, denn wissen Sie, ich habe sowieso keine Angehörigen mehr, und ich habe mein Leben gelebt. Es wird also Zeit, dass …“

„Nein!“, platzte Kadence heraus und legte ihre Hand auf seinen Unterarm. „So dürfen Sie nicht denken. Ich weiß, Sie sitzen in diesem Rollstuhl fest und glauben, das Leben hätte nichts mehr zu bieten … Sie haben keine Ahnung, wie oft ich das in der Klinik erlebt habe. Zuerst reden sie nur darüber und am Ende … am Ende …“

Zu Balthasars großem Erstaunen wurden ihre Augen feucht. Sie weinte. Wegen ihm! Aber wieso? Sie war doch nicht etwa in ihn …?

„Kadence … Sie machen sich wirklich Sorgen um mich?“

Während sie ihn seelenvoll ansah, wanderten Balthasars Augen auf die runden Erhebungen, die sich unter ihrer Jacke abzeichneten.

Nein!, rief er sich zur Ordnung. Dafür hatte er keine Zeit. Er musste schleunigst sterben, bevor diese ominösen Bergländer kamen und ihn womöglich wirklich abmurksten.

Andererseits, in der nächsten Viertelstunde würden die ja wohl kaum hier auftauchen. So viel Zeit blieb also noch, um eventuell …

„Natürlich mache ich mir Sorgen um Sie!“, rief Kadence leidenschaftlich. „Seit dem Tag unserer Begegnung sind Sie wie ein Großvater für mich. Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich es gewagt habe, in der Klinik zu kündigen. Seitdem ich Sie kenne, fühle ich mich wieder wie ein Mensch und nicht wie ein kompletter Vollidiot! Schauen Sie …“

Sie erhob ihre schmalen Hände und hielt sie dem verdutzten Balthasar vor die Nase.

„Wie oft haben Sie mich in den letzten Wochen gebeten, für Sie Gemüse kleinzuschneiden? Anfangs hatte ich Angst, weil ich mich an scharfen Gegenständen grundsätzlich immer schneide. Aber diesmal dachte ich daran, dass Sie so dringend ein wenig zunehmen müssten und blutbesudeltes Essen Ihnen dabei kaum helfen würde – und siehe da, ich habe mich kein einziges Mal geschnitten.“

Balthasar versuchte sich an einem begeisterten Lächeln – es fiel wohl recht dünn aus.

„Das freut mich wirklich ganz … außerordentlich …“

Kadence strahlte ihn an.

„Sehen Sie, Sie tun mir gut. Und jetzt will ich Ihnen auch etwas Gutes tun!“

Balthasar schluckte. Ihn beschlich die Ahnung, dass das, was nun folgen würde, ihm nicht gefallen würde. „Sie tun doch schon genug für mich …“, murmelte er, doch Kadence fiel ihm ins Wort:

„Ich sage Ihnen, was ich tun werde: Ich ziehe bei Ihnen ein.“

„Was?“

„Das hatten Sie ja schon zu Beginn angesprochen, aber ich dachte, dass es unpassend wäre, weil wir uns ja gar nicht kannten. Aber jetzt glaube ich, ein wenig Gesellschaft würde uns beiden guttun. Sie sind schon viel zu lange alleine gewesen.“

Balthasar wollte etwas erwidern, aber ihm fiel beim besten Willen nichts ein. Er war schlicht sprachlos.

„Keine Sorge, ich lasse Sie nicht im Stich.“ Kadence tätschelte seine Hand. „Meine beste Freundin hat morgen frei. Wenn ich sie lieb bitte, hilft sie mir bestimmt beim Umzug. Und wenn alles gut läuft, kann ich morgen Abend schon hier übernachten … ich glaube, am besten rufe ich Millie gleich an.“

Ohne seine Antwort abzuwarten, sprang sie auf und flitzte aus der Küche. Balthasar blieb zurück, unfähig, sich zu rühren.

Diesmal steckte er wirklich im Schlamassel.

Itthona

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