Читать книгу Itthona - Zsóka Schwab - Страница 8

3~Gregor

Оглавление

Es war zum aus der Haut fahren!

Seit drei Wochen steckte Gregor, der Gesichtslose, in dieser Einöde fest und konnte noch immer keine Erfolge verzeichnen.

Dabei hatte er gleich in der Nacht seiner Ankunft ein Suchsignal ausgesandt – ein prächtiges Suchsignal, das dieses lausige Homburg ordentlich durchschüttelte: Die Wälder erzitterten, die Fensterläden klapperten und verdatterte Tauben flatterten inmitten der Nacht durch die Straßen. Nur die menschlichen Einheimischen merkten nichts, weder am Anfang, als das Signal am stärksten war, noch während der darauffolgenden Wochen, in denen es nach und nach verhallte. Inzwischen war nur noch ein müdes Hüsteln davon übrig, das keinen großen Effekt mehr versprach.

Nur einmal, ein einziges Mal zu Beginn, hatte Gregor geglaubt, eine leise Resonanz zu fühlen – nämlich als dieser alte Kauz im Rollstuhl beinahe von der Erde verschlungen worden wäre.

Aber er hatte sich getäuscht. Wer würde auch ausgerechnet so einem alten Zausel etwas derart Wertvolles wie Es anvertrauen? Wobei der Alte dennoch eindeutig eine magische Aura ausstrahlte – vermischt mit einem beinahe schon kriminellen Geruch nach modrigem Kohl.

Vielleicht ist er eine Art vegetarischer Ghul, überlegte Gregor, der solche Gestalten von Zuhause kannte. Einer, der statt Leichen verrottetes Gemüse frisst und den Rollstuhl als Tarnung nutzt, um seine Eselsbeine zu verbergen … womöglich ist er aus Itthona geflohen und hat sich in dieser Welt eingenistet … Gregor würde ihn auf jeden Fall im Auge behalten, soviel stand fest. Und seine junge Pflegerin ebenfalls. An ihr schien zwar nichts außergewöhnlich zu sein, aber vielleicht täuschte der erste Eindruck. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sich hinter einem vermeintlich harmlosen Wesen ein zwölfäugiges, sabberndes Monster mit Harpunenzähnen und schleimigen Tentakeln verbarg.

Also postierte sich Gregor jede Nacht vor dem Haus des Alten und wartete, ob sich etwas rührte. Leider rührte sich nie etwas, woraus Gregor schloss, dass der Alte entweder verflixt gerissen war oder tatsächlich die Nächte durchschlief. Tagsüber flog Gregor hin und wieder in Gestalt einer Elster auf sein Fensterbrett und linste in die Küche hinein. Er konnte sich fast darauf verlassen, dort das Mädchen vorzufinden.

Manchmal saß sie am Küchentisch und schälte Kartoffeln für den alten Ghul oder schnitt ihm Gemüse klein. Meist stand sie jedoch in einer gepunkteten Küchenschürze am Herd und rührte emsig in einem dampfenden Kessel herum. Ein herziger Anblick, doch leider nutzlos. Da Gregors sonstige Streifzüge durch die Stadt aber weiterhin erfolglos blieben, kehrte er immer wieder zum Haus des alten Ghuls zurück. Immerhin schien er schon seit Längerem in dieser Stadt zu leben, vielleicht wusste er ja doch etwas über Es. Das hieß zwar noch nicht, dass er freiwillig mit dieser Information herausrücken würde. Aber wenn er sich bockig zeigte, hatte Gregor immer noch seine Mittel, um nachzuhelfen.

So wartete er an einem Freitagabend, bis das Mädchen um halb sechs die Wohnung verließ, und schlich sich als rotweiß gestreifter Kater durch die Eingangstür. Im zweiten Stock sprang er auf magischem Weg durch die Wohnungstür und suchte den Hausherrn.

Der Ghul, dick verpackt in einen geschmacklosen roten Morgenmantel, thronte auf seinem Rollstuhl im Wohnzimmer und sah äußerst unzufrieden aus. Auf dem niedrigen Wohnzimmertisch neben ihm stand eine Schüssel mit Salat. Gregor schnupperte: Kleingeschnittene Paprika, Gurken, Karotten, Zwiebeln, Pilze und Basilikumsoße. Lecker! Er verstand gar nicht, weshalb der Ghul ein so saures Gesicht machte. Kurzerhand beschloss er, ihn anzusprechen.

„Na, Kumpel? Unter die Vegetarier gegangen?“

Die Überraschung gelang: Der Ghul erschrak nicht einfach bloß, er fuhr so heftig zusammen, dass seine Knie gegen die Tischplatte stießen. Die Gemüsestückchen flogen durch die Luft wie Konfetti.

„Wer ist das? Wer spricht da?“

Gregor schüttelte missbilligend sein rundes Köpfchen.

„Jetzt hast du dein Festmahl zerstört … andererseits, wenn das Zeug übers Wochenende da liegen bleibt, schmeckt es dir am Montag bestimmt besser.“

Der Ghul riss seinen Rollstuhl herum und glotzte Gregor an, als hätte er noch nie eine sprechende Katze gesehen.

„Wer bist du? Und wie kommst du hier rein?“

Gregor setzte sich gemächlich auf den Perserteppich und putzte seinen Katzenbart.

„Also wirklich, was ist mit deinen Instinkten los? Ich beobachte dich schon seit fast einem Monat.“

Der Alte biss die Zähne aufeinander. Offenbar war das wirklich eine Neuigkeit für ihn.

„Was willst du von mir? Ich habe niemandem etwas getan! Ich lebe friedlich unter den Menschen!“

Gregor seufzte, erhob sich majestätisch vom Boden und schlenderte vor die Füße des Ghuls.

„Es ist mir völlig egal, was du hier machst oder wen du auffrisst. Ich bin nicht vom AMO.“

„AMO?“

Gregor stutzte. „Du kennst das Amt für magische Ordnung nicht? Was für ein Ghul bist du eigentlich?“

Der Alte schnappte nach Luft. „Na, jetzt schlägt’s aber dreizehn! Ich bin überhaupt kein Ghul!“

„Und was bist du dann?“

„Sag ich nicht.“

„Dann verrate ich dir auch nicht, was ich bin“, fauchte Gregor etwas patzig. Zu seiner Verärgerung lachte der Alte schallend auf.

„Wie kommst du darauf, dass mich das interessiert?“

So, wir werden also frech? Gregor beschloss, sich ein wenig Respekt zu verschaffen, und nahm die Gestalt eines Hünen in schwarzem Lederoutfit an. Um den Effekt zu verstärken, verpasste er sich zudem eine Punkfrisur in Regenbogenfarben sowie eine beachtliche Reihe Augenbrauenpiercings. Er stemmte die kindskopfgroßen Fäuste in die Hüften.

„So, und jetzt hör mir zu, Freundchen!“, dröhnte er in tiefem Bass und Dolby-Surround-Sound. „Ich habe zwar gesagt, dass ich nicht vom AMO bin, aber der Hohe Orden stellt, wie schon der Name verrät, eine höhere Instanz dar. Ich kann dir durchaus Schwierigkeiten bereiten, wenn du nicht kooperierst.“

Der Alte legte den Kopf schief und blinzelte wie eine Eule.

„Hoher Orden? Nie davon gehört.“

Gregor rutschte die Sonnenbrille von der Nase. „Du kennst nicht den Hohen Ord…? Hör zu, ich habe weder Zeit noch Lust dir hier Nachhilfeunterricht zu geben. Es ist ganz einfach: Ich habe eine Frage an dich und ich erwarte, dass du sie nach bestem Wissen und Gewissen beantwortest!“

Der Alte zuckte mit den Schultern. „Wenn es sich nicht vermeiden lässt.“

Gregor nahm auf einem Sessel Platz, der für seinen muskulösen Hintern eigentlich zu eng war, und beugte sich vor.

„Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber es liegt Ärger in der Luft: Silvestria steht an der Schwelle zum Krieg mit Bergland, und wenn wir nicht aufpassen, wird Technika mitreingezogen.“

„Technika?“

„Diese Welt hier!“, raunzte Gregor ungeduldig. „Die nicht magische Welt. Im Gegensatz zu unserer Welt Itthona jenseits des Spiegels … sag mal, weißt du denn überhaupt irgendetwas?“

Der Alte murmelte etwas Beleidigtes in seinen nicht vorhandenen Bart.

„Der Punkt ist“, fuhr Gregor fort, „hier in Homburg befindet sich eine mächtige Waffe, die uns Silvestrianern gehört. Wie sie aussieht oder woraus sie besteht, weiß niemand. Aber es steht in unseren Chroniken, dass einst Arawin, der mächtigste Weiße Weise Silvestrias, sie vor über zwanzig Jahren hier versteckt hat. Meine Frage an dich lautet nun: Ist dir, seitdem du hier lebst, irgendetwas Bemerkenswertes aufgefallen? Etwas, das auf den Aufenthaltsort unserer Waffe hindeuten könnte? Es geht um das Leben tausender Unschuldiger!“

Der Alte schluckte hörbar.

„Ich … habe vor einigen Wochen eine Art Vibrieren verspürt.“

Gregor nickte.

„Als ich hier ankam, habe ich ein Suchsignal ausgesendet. Ist Es irgendwo in der Nähe, interferiert Seine Aura – das ist eine permanente Schwingung, die alle magischen Dinge und Wesen aussenden – mit dem Signal und wird verstärkt.“

Der Alte brauchte eine Weile, um das zu verdauen. Er tupfte sich mit einem Stofftaschentuch über die faltige, staubtrockene Stirn.

„Aber, wenn das so gut funktioniert, wieso machst du es dann nicht einfach noch einmal? Dieses Signal aussenden?“

Gregor knurrte. „Leider kostet es sehr viel Energie. Ich kann es nur einmal alle zwei Monate machen …“

„Und du hast keinen Kollegen, der dir bei der Suche hilft?“

„Meine Schwester ist Mitglied der königlichen Leibgarde und muss daher im Palast bleiben“, murrte Gregor, der sich allmählich wirklich im Stich gelassen fühlte.

Der Alte schnalzte mit der Zunge. „Dann würde ich an deiner Stelle deine Energie nicht bei mir vergeuden. Ich habe nichts, und wie du selbst schon bemerkt hast weiß ich auch nichts.“

„Nichts da!“ Die Gemüsestückchen machten wieder Luftsprünge, als Gregor mit der Faust auf den Wohnzimmertisch schlug. „Irgendeine hilfreiche Fähigkeit wirst doch wohl selbst du haben! Oder willst du mir allen Ernstes erzählen, du sitzt hier nur herum und lässt dich durchfüttern?“

„Mein Lebensstil ist alleine meine Angelegenheit“, erwiderte der Alte frostig und zog den Morgenmantel enger um seinen Körper. „Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mich ab jetzt mit deinem Unsinn in Ruhe lassen würdest. Ich habe schon genug Kriege überlebt, um zu wissen, dass man völlig von Sinnen sein muss, um bei einem solchen Blödsinn mitzumachen. Da ich weder dein Silvestria noch dieses Bergland kenne, fühle ich mich auch nicht versucht, etwas an dieser Einstellung zu ändern.“

Gregor war, als würde ein riesiger Ballon in ihm anschwellen und seine Brust jeden Moment zum Platzen bringen. Was für ein sturer alter Narr!

„Also schön, wie du willst!“, versetzte er, während er aufstand. „Aber eines lass dir gesagt sein: Ich mag der Erste sein, der gekommen ist, aber ich bin bestimmt nicht der Letzte! Früher oder später werden die Bergländer über dich stolpern, und mit diesen Typen ist nicht gut Kirschen essen … am allerwenigsten mit ihrer Königin!“

„Danke für die Warnung, ich kann auf mich aufpassen.“

„Schön!“

Gregor war so wütend, dass er sich nicht die Mühe machte, zur Tür zu gehen. Er stieß einfach das Fenster auf und sprang hinunter, ohne sich noch einmal nach dem Greis umzudrehen.

Federnd fing er seinen Fall ab und erschreckte ein Großmütterchen, das auf der anderen Straßenseite ihren Dackel Gassi führte, halb zu Tode. Es war ihm egal. Er war bedient.

Wenn der General wollte, dass er Erfolg hatte, sollte er ihm eine Einheit schicken, die dieses verflixte Homburg von oben bis unten durchkämmte. Wenn ich doch wenigstens wüsste, wonach ich suche! Es half alles nichts, er musste sich beruhigen, den Kopf freibekommen. Vor allem aber musste er aus dieser fremden Gestalt raus. Er war schon viel zu lange nicht mehr er selbst gewesen …

Itthona

Подняться наверх