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12~Gregor

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Kadence führte etwas im Schilde.

Gregor merkte es während der gesamten restlichen Woche, welche ziemlich ereignislos verstrich – und das aus dem einfachen Grund, dass er kaum Gelegenheit hatte, mit ihr alleine zu sein.

Morgens, wenn Gregor aufstand, war sie meist schon aus dem Haus, um einzukaufen, die Zeitung zu holen und sonstige Dinge für den alten Blutsauger zu erledigen. Wenn sie nach Hause kam, huschte sie in die Küche, um Frühstück zu machen, das sie dann gemeinsam am Wohnzimmertisch verspeisten.

Entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten unterließ es der Vampir, anschließend mit melodramatischer Weltuntergangsmiene vor dem Fenster vor sich hinzubrüten. Eines Tages beauftragte er Kadence sogar damit, in die Stadt zu fahren und einen Fernseher zu kaufen.

„Warte, Kady, ich komme mit und helfe dir beim Aussuchen“, bot Gregor an, während Kadence sich die Schuhe anzog. Doch sie lächelte bloß und zerzauste ihm die Haare.

„Das ist lieb von dir, aber ich habe schon Millie gebeten, mir zu helfen. Sie hat ein Auto, weißt du. Bleib du lieber hier und unterhalte dich ein bisschen mit deinem Großvater.“

Es war ein deprimierender Vormittag. Statt ein bisschen Rücksicht auf die Nerven seiner Mitmenschen zu nehmen, klimperte der Alte stundenlang den Flohwalzer auf seinem verstimmten Klavier, wahrscheinlich nur zu dem Zweck, Gregor aus der Welt zu vertreiben.

Gregor blieb nichts anderes übrig, als sich im Badezimmer einzuschließen und sich Toilettenpapier in die Ohren zu stopfen. Wäre ihm nicht zumindest das Vergnügen zuteilgeworden, dem Alten jeden Tag dabei zuzusehen, wie er mit tränenden Augen Kadences nicht vampirgerechte Gerichte hinunterwürgte, hätte er es wahrscheinlich gar nicht ausgehalten.

„So schlimm ist er gar nicht, Greg“, versuchte Tassud zwischen ihnen zu vermitteln. „Er ist eben sehr alt, und wir sind hier eingedrungen und stören seinen gewohnten Lebensrhythmus. Versuch, ein bisschen Verständnis zu haben.“

Gregor hatte aber keine Lust, verständnisvoll zu sein, schließlich war Gundelstein auch nicht verständnisvoll ihm gegenüber. Vielmehr hatte er das Gefühl, dass der Vampir gezielt versuchte, ihn von Kadence wegzulotsen.

„Ah, ich glaube, draußen klingelt der Eiswagen. Hättest du nicht Lust, dir ein paar Kugeln zu kaufen, mein Schatz?“, fragte er Gregor an einem Nachmittag, wofür er von Kadence einen beifälligen Blick erntete.

„Ich glaube, da hast du dich verhört, Opilein“, antwortete Gregor. „Das ist die Schulglocke.“

„Vielleicht ist es ja doch ein Eiswagen. Willst du nicht schnell nachsehen?“

„Lieb von dir, dass du mir so gern ein Eis kaufen willst. Aber es ist wirklich, wirklich die Schulglocke“, zischte Gregor mit verbissenem Lächeln.

„Wisst ihr was, bleibt einfach sitzen, ich gehe schnell nachsehen“, erbot sich Kadence, und ehe jemand einen Einwand erheben konnte, war sie schon aufgestanden und aus dem Raum geflitzt.

„Klares Unentschieden“, stellte Tassud – hilfreich wie immer – fest, während Gregor und Gundelstein einander aus schmalen Augen fixierten.

Als sie dann den Fernseher hatten, wurde es noch schlimmer: Den ganzen Nachmittag hockten Kadence und Gundelstein vor der Mattscheibe und sahen sich irgendwelche dämlichen Gerichtssendungen oder Ärzteserien an – und zu wirklich allem hatte der Alte seinen Senf abzugeben:

„Paragraph 222 StGB, ist doch klar. Das bedeutet Freiheitsstrafe bis fünf Jahre oder Geldstrafe. Aufgrund der mittleren Schwere der Fahrlässigkeit würde ich auf drei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung plädieren.“

Oder:

„Amputation? Ja, ist dieser Hanswurst verrückt? Kolikartige Bauchschmerzen und lichtgetriggerte Hautblasen sind Zeichen einer akuten Porphyrie!“

Oder: „Oίδα ουκ ειδώς, das stammt aus Platons Apologie des Sokrates. ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß …’ Obwohl es wörtlich übersetzt eigentlich nicht und nicht nichts heißen müsste …“

Gregor konnte es kaum noch hören, dennoch setzte er sich immer dazu, weil er Kadence mit dem Alten nicht alleine lassen wollte. Vielleicht ergab sich doch noch irgendwann eine Gelegenheit, wieder unter vier Augen mit ihr zu sprechen.

Er musste bis zum nächsten Sonntag warten. An diesem Morgen hüpfte Kadence mit strahlendem Lächeln ins Wohnzimmer.

„Leute, ich habe eine Idee! Das Wetter ist so wunderschön, wollen wir nicht ein Picknick machen?“

Die Frage war natürlich rhetorisch, denn wenn sie in dieser Hochstimmung war, konnte keine Naturgewalt der Welt Kadence bremsen. So gut kannte Gregor sie inzwischen schon.

Gregor musste ihr dann auch helfen, all die Schränke, die sie erst eine Woche zuvor eingeräumt hatte, nach einem großen Flechtkorb und einer alten Schottendecke durchzuwühlen. Anschließend rief sie Millie an, um sich ihr Auto auszuleihen, schmierte gut gelaunt etwa zwei Dutzend Brote, füllte Tee und Saft in Flaschen und machte Obstsalat.

Wenige Stunden später hockte die ganze Truppe in Emilias altem Ford Sierra Kombi: Kadence hinter dem Steuer, Bert in der Katzenbox auf dem Beifahrersitz und der Rest auf der Rückbank.

Diese Sitzordnung hatte natürlich Kadence arrangiert. Zum Zeichen, dass er noch einen letzten Rest Autonomie besaß, platzierte Gregor Tassud als plüschige Barriere zwischen sich und Gundelstein. Danach fühlte er sich ein wenig besser.

„Seid ihr alle angeschnallt? Kann’s losgehen?“

„Ich nicht!“, trötete Tassud, der Witzbold.

Wenige Minuten später hatten sie den Parkplatz des Stadtparks erreicht.

Kadence holte Gundelsteins Rollstuhl aus dem Kofferraum, und sie durften sich damit abquälen, den Alten, der sehr viel schwerer war, als er aussah, aus dem Auto zu heben.

Nach einer für den Vampir ziemlich holprigen Fahrt über den schotterigen Parkplatz und dem todesmutigen Überqueren einer Hauptverkehrsstraße waren die größten Hindernisse gemeistert. Wie Trödler auf dem Weg zum Jahrmarkt marschierten (respektive rollten) sie über den von üppigem Grün umsäumten Spaziergängerweg Richtung Stadtpark: Kadence mit der fusseligen Decke in der einen und dem Korb in der anderen Hand, Gregor mit der Katzenbox inklusive fauchendem Bert am ausgestreckten Arm und Gundelstein mit Tassud auf dem Schoß.

Der Park umfasste ein relativ großes wiesenbedecktes Gelände, das durch schmale Dickicht- und Bauminseln, einen See und einen kleinen Bach unterteilt wurde. Es gab einen Spielplatz, eine niedrige Kletterwand und, ein wenig abgelegen, einen Hügel mit einem winzigen, offenen Grillhäuschen.

Gegenüber diesem Hügel breitete Kadence die Schottendecke aus und legte den Picknickkorb darauf. Gundelstein schob sie hinter das Deckenviereck und wendete seinen Rollstuhl so, dass er Blick auf den Hügel hatte.

„Ist es nicht herrlich hier?“

Mit einem glücklichen Seufzen ließ sie den Blick über den Park wandern.

Wenn dir das schon gefällt, müsstest du erst mal die große Lichtung im Wald von Liobee sehen, dachte Gregor wehmütig. Doch er musste zugeben, dass sie ein hübsches Fleckchen ausgesucht hatte: Ein duftender Gänseblümchen-Teppich bedeckte die grüne Wiese, und irgendwo in den Bäumen zwitscherten zwei Amseln so stimmgewaltig, als wollten sie sich gegenseitig von den Ästen singen.

Gregor setzte Bert neben dem Picknickkorb ab, hockte sich im Schneidersitz auf die Decke und ließ die Natur auf sich wirken. Tatsächlich fühlte er sich beinahe an zu Hause erinnert. Gut, der gedämpfte Verkehrslärm und der milde Brauereigeruch störten etwas. Doch davon abgesehen war ihm der Garten seiner Mutter früher ganz ähnlich erschienen …

Gregor seufzte. Werd jetzt bloß nicht sentimental! Er musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren, aus Kadence eine gnadenlose Tötungsmaschine zu machen, gegen die Bergland nicht den Hauch einer …

„Magst du O-Saft?“

Ein Pappbecher schwebte vor Gregors Nase. Kadence, die ihn hielt, lächelte ermutigend, bis Gregor ihn nahm. Den Alten hatte sie bereits mit seinem Assam-Tee versorgt. Nun holte sie Bert aus der Box und legte ihn sich auf den Schoß. Der Kater schnurrte wohlig und rieb seinen Körper an ihrem angezogenen Bein.

„Schauen Sie, er markiert Sie mit seinen Suprakaudaldrüsen.“

Gregor verdrehte die Augen. Ging das schon wieder los.

„Sie kennen sich aber in vielen Dingen aus, Herr von Gundelstein“, lobte Kadence. „Was haben Sie denn früher beruflich gemacht?“

Gundelstein tippte sich nachdenklich an die Unterlippe.

„Ich glaube, ich war Hufschmied … ja, richtig. Auch mein Vater war das.“

„Hatten Sie Geschwister?“

Wieder überlegte der Vampir.

„Acht. Drei Brüder und fünf Schwestern. Ich war der Zweitälteste … aber wieso fragen Sie mich all das?“

„Weil Sie von alleine nie von sich erzählen“, lächelte Kadence. Zu Gregors Überraschung legte sie plötzlich den Arm um seine Schulter und zog Gregor so nah an sich heran, dass er ihr Jasmin-Parfum riechen konnte. Dass Bert in ihrem Schoß ungnädig fauchte, ignorierte sie.

„Kommen Sie, erzählen Sie uns von früher. Was für ein Mensch waren Sie?“

Auf Gundelsteins faltigem Gesicht erschien ein schiefes Lächeln. „Nun, das ist sehr lange her … Aber ich war groß, muskulös, breitschultrig, und hatte langes, schwarzes Haar.“

„Uiuiui!“, machte Tassud, der an einem der Rollstuhlräder lehnte, und fügte noch einen anzüglichen Pfiff hinzu. Gregor war auf einmal übel.

„Aber wirklich!“, lachte Kadence nach einem kurzen, irritierten Blick auf den Bären. „Sie waren bestimmt ein großer Herzensbrecher!“

„Nun ja …“, der Alte räusperte sich verlegen. „Ich war nicht gerade hässlich. Aber es gab auch welche, die erfolgreicher waren … nicht viele natürlich …“

An diesem Punkt war Gregors Schmerzgrenze erreicht. Er rückte von Kadence ab und stand auf.

„Was ist denn? Wo willst du hin?“, fragte sie verwundert. Gregor zeigte auf eine längliche Baumgruppe, die vom Fuße des Hügels ausging.

„Ich hab da hinten einen Ameisenhügel gesehen, den will ich mir aus der Nähe angucken.“

„Wenn du noch etwas weitergehst, findest du jenseits der Brücke auch noch einen Spielplatz, Kleines“, bemerkte Gundelstein, der gerissene alte Mistkerl. Die Rolle des liebenden Großpapas hatte er wirklich zur Vollendung gebracht.

„Geh aber nicht weiter als bis zum Spielplatz, ja?“, ergänzte Kadence, die auf wirklich alles hereinfiel. Um sich nicht durch einen pampigen Tonfall zu verraten, beschränkte sich Gregor auf ein knappes Nicken und stampfte zum Spazierweg, ohne zurückzublicken. Er hatte sowieso noch etwas zu erledigen.

Zwischen den herunterhängenden Zweigen zweier hellgrüner Pappeln hatte er einen Trampelpfad im Dickicht entdeckt, der zu einem von trockenem Schilf umsäumten Bachufer führte. Mit einem Kopfschütteln stellte er fest, dass das Wasser des Baches schmutzig braun war. Ob es so wohl funktionieren würde?

Sorgfältig krempelte er sich beide Hosenbeine hoch und ging in die Hocke, um seinen Pappbecher auszuwaschen. Anschließend füllte er ihn mit Wasser.

Misstrauisch blickte er über die Schulter, doch außer den Vögeln schien ihn niemand zu beobachten. Gut. Mit einer raschen Bewegung zog Gregor einen faustgroßen smaragdgrünen Samtsack aus der Hosentasche – seinen wertvollsten Besitz.

Er löste den Knoten, der den Sack verschloss, griff mit Daumen und Zeigefinger in die Öffnung und zog vorsichtig eine Prise eines schwarzgrünen Pulvers heraus – reinstes Aljuvitpulver. Unter feinem Reiben ließ er es in den Becher rieseln. Auf der Stelle leuchtete das schmutzig braune Wasser darin goldgelb auf und wurde kristallklar.

Gregor legte den Zopf, den Kadence ihm am Morgen geflochten hatte, hinter seine Schulter, beugte sich über das Wasser und schloss die Augen. Vater!

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

- Lang lebe König Randolf!

- Lang lebe König Silvestria!, beendete Gregor den üblichen Gruß.

- Du hast lange nichts von dir hören lassen!, knurrte der General vorwurfsvoll. Seine Stimme klang durch die Verzerrung des Spiegels, der allgegenwärtigen Barriere, die Technika von seiner Heimat trennte, noch tiefer und strenger als sonst.

- Ich habe es versucht, aber ich konnte nicht. Und ob Gregor es versucht hatte. Eine ganze Prise seines Aljuvitpulvers hatte er verloren, als Kadence ihn drei Tage zuvor mit dem Gesicht über dem Waschbecken erwischte. In seiner Panik hatte er sofort den Stöpsel gezogen, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Außer Tassud kannte niemand im Haushalt diese Methode der Kommunikation, und Tassud wäre wohl der Letzte gewesen, dem Kadence von Klein-Gretas merkwürdigem Glitzerwasser erzählt hätte. So hatte er seinen Vater zuletzt in der Nacht vor seinem Einzug in Gundelsteins Wohnung gesprochen.

- Wie steht es um unsere Waffe? Machst du Fortschritte mit dem Mädchen?

Gregor wackelte mit dem Kopf.

- Ich arbeite daran. Immerhin habe ich sie schon so weit gebracht, dass sie ihre Fähigkeiten aktiv eingesetzt hat.

Und wie sie das getan hatte. Gregor war von Kadences Geschick mit der Taube immer noch unheimlich beeindruckt. Normalerweise ließ man Anfänger Telekinese an leblosen Gegenständen wie Steinen oder Besteck erlernen. Lebewesen sind ungleich schwieriger zu lenken, weil sie einen eigenen Willen haben, den man umgehen muss, ohne ihn zu zerstören. Geübten Magiern gelang dies vielleicht bei Insekten. Von Wirbeltieren konnten die Allermeisten nur träumen.

- Sie ist unglaublich talentiert, Vater. Aber sie braucht noch Zeit.

- Wir haben aber keine Zeit mehr!, donnerte der General, dass es Gregor in den Ohren pfiff.

- Hör mir zu, Junge! Wir brauchen dieses Mädchen. Vor allem aber können wir es nicht gebrauchen, dass Bergland sie in seine Finger bekommt.

- Niemand wird sie in die Finger bekommen, Vater. Ich bin da und passe auf.

- Du unterschätzt die Lage, Gregor! Ich habe mich umgehört, Esther weiß über ihre Schwester Bescheid.

Gregor erschrak für einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf.

- Vater, das kann nicht sein. Wie hätte sie das herausfinden sollen? Tassud ist der Einzige, der es ihr erzählt haben könnte, aber ich halte ihn immer noch hier gefangen … Da fällt mir ein: Habt Ihr seinen Körper inzwischen gefunden?

- Ich habe fünf Männer nach Hamburg geschickt, die alle größeren Hotels nach ihm durchsucht haben, wie du es beim letzten Mal vorgeschlagen hast.

- Und? Haben sie ihn aufgespürt?

- Ja, haben sie. Wir haben seinen Körper ins Bregauer Lazarett gebracht, er wird dort versorgt. Du hast recht, er kann uns als Geisel von großem Nutzen sein. Ein guter Schachzug.

- Danke, Vater.

- Und was das Mädchen betrifft, Gregor, ich will, dass du dieses unsinnige Unterfangen abbrichst, ihren Schutzgeist blockierst und sie sofort herbringst!

Gregor presste die Zähne aufeinander. Hadeskapseln … Natürlich hatte er auch schon daran gedacht. Es wäre so einfach, Kadence eine davon ins Glas zu schmuggeln …

- Vater, Ihr wisst doch, weshalb das nicht geht, sagte er gequält.

- Weil es sie den Verstand kosten könnte? Das ist nicht gewiss.

- Es wäre das Risiko nicht wert. Bitte vertraut mir, ich bekomme Kadence auf meine Weise soweit, dass sie uns hilft.

- Du hast leicht reden, Gregor. Du bist schon eine Woche nicht mehr hier gewesen …

Die Stimme des Generals hatte sich verändert. Es war nur eine winzige Nuance, aber Gregor kannte ihn zu gut, um es zu überhören.

- Weshalb sagt Ihr das?, fragte er mit trockenem Mund. Was ist geschehen?

- Anfangs war es nur ein Gerücht, aber mittlerweile hat es sich bestätigt: Esther hortet weitere Waffen, mächtigere als je zuvor.

- Aber … wie denn das? Haben sie etwa begonnen, im Perlenmeer zu schürfen?

Der General machte eine lange Pause, ehe er fortfuhr.

- Es sind keine Waffen von hier. Sie importieren …

Gregor brauchte einen Moment, um zu begreifen, worauf sein Vater anspielte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Keulenschlag.

- Was für Waffen genau?, würgte er hervor, während er Halt suchend nach einem Baumstamm tastete.

- Gewehre, Granaten, Bomben … an Schlimmeres wollen wir noch nicht denken.

- Und wie reagiert Randolf darauf?

Die Frage war eigentlich überflüssig.

- Natürlich ist er besorgt. Und so sehr es ihm und uns allen zuwider ist, wir werden wohl oder übel nachziehen müssen.

- Aber das ist nicht möglich … der Einsatz technikanischer Waffen ist gegen das Gesetz!

Gregor schrie inzwischen fast. Tränen schossen in seine Augen, er blinzelte sie weg.

- Ein Gesetz, das Bergland zuerst gebrochen hat. Was sollen wir machen?

- Gebt mir noch zwei Wochen! Nur zwei Wochen!, flehte Gregor. Ihr dürft das nicht zulassen, Vater!

- Gregor!, bellte der General streng. Du vergisst dich! Ein guter Soldat verliert nie die Kontrolle über sich.

- Jawohl, mein General, murmelte Gregor kleinlaut, fügte jedoch hoffnungsvoll hinzu: Gebt Ihr mir die zwei Wochen?

Sein Vater seufzte tief und atmete lang aus.

- Das habe nicht ich allein zu entscheiden. Ich werde mich mit dem Hohen Orden und den fünf Weisen beraten. Falls wir deinen Vorschlag annehmen, werden wir damit vor den König treten.

Erleichtert sackte Gregor in sich zusammen.

- Danke, Vater!

- Eines aber sage ich dir: Falls dein Vorhaben misslingt, zählt das Leben Tausender immer noch mehr als das eines Einzelnen, selbst wenn es sich um Arawins Tochter handelt. Das Mädchen ist ebenso Bergländerin wie Silvestrianerin, und ich schwöre dir bei unseren Ahnen, dass Esther bereits ihre Krallen nach ihr ausgestreckt hat.

Gregor nickte.

- Ich habe verstanden. Von nun an werde ich Kadence nicht mehr aus den Augen lassen.

Nachdem er sich von seinem Vater verabschiedet hatte, legte Gregor die Handfläche über den Becher und brachte das Wasser zum Verdampfen. Das trockene Aljuvitpulver, das nun am Boden haftete, sammelte er sorgfältig ein und streute es in das Samtsäckchen zurück. All dies tat er völlig automatisch, benommen, wie er war. Hätte ihm jemand dabei zugesehen, hätte er es wahrscheinlich nicht einmal gemerkt.

Bomben über Silvestria … die Vorstellung war zu schrecklich, um sie überhaupt nur zuzulassen …

Als er den Samtsack wieder sicher in seiner Jeanstasche verstaut hatte, machte er sich mit sorgenumwölkter Stirn auf den Rückweg. Er rechnete damit, Kadence bei dem Alten auf der Decke zu finden – umso überraschter war er, sie vom anderen Ende des Trampelpfades auf sich zukommen zu sehen. Als sie ihn entdeckte, erhellte sich ihr Gesicht.

„Greta! Ein Glück, da bist du ja! Ich habe vorhin einen Schrei gehört und dachte, du wärst vielleicht in den See gefallen. Ist alles in Ordnung?“

Gregor steckte beide Hände in die Hosentaschen und nickte stumm, obwohl das natürlich nicht stimmte. Nichts war in Ordnung, gar nichts. Kadence strich ihm über das Haar.

„Komm, lass uns zurückgehen, dein Großvater macht sich bestimmt auch schon Sorgen.“

Da riss Gregor der Geduldsfaden.

„Ach, hör doch auf, Kadence!“, fuhr er sie an, nicht mehr im Mindesten bemüht, wie ein kleines Mädchen zu klingen. Kadences Hand zuckte zurück. „Womit soll ich aufhören?“

„Na damit! Mich mit ihm zusammenbringen zu wollen. Er kann mich nicht leiden, und ich ihn noch viel weniger. Wieso kannst du das nicht akzeptieren?“

Kadence öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Ihr Gesicht war aschfahl geworden.

„Aber … ihr seid die letzten Blutsverwandten eurer Familie … ich dachte, wenn ihr ein bisschen Zeit miteinander verbringt …“

„Genau. Du dachtest! Aber du dachtest falsch.“ Gregor kam jetzt richtig in Fahrt. „Das ist dein Problem, Kadence. Du denkst immer für andere. Und du glaubst, du weißt, was für sie am besten ist. Aber ich sage dir etwas: Du weißt gar nichts! Du weißt nichts über ihn, du weißt nichts über mich. Und am allerwenigsten weißt du über dich selbst Bescheid. Also hör auf, die barmherzige Samariterin zu spielen, und LASS – MICH – IN – RUHE!“

Jetzt war es raus. Gregors Atem ging schwer. Mit geballten Fäusten starrte er Kadence ins Gesicht. Sie schaute schweigend zurück. Ihre blauen Augen waren glasig. Ihr ganzer Körper zitterte. Was würde sie jetzt wohl tun? Losheulen? Zurückschreien? Ihn in einem riesigen weißen Feuerball rösten?

Kadence senkte den Blick. „Du hast recht“, sagte sie schlicht.

Gregor stutzte. „Was?“

„Es war anmaßend von mir, mich in eure Angelegenheiten einzumischen. Ich bin schließlich nicht deine Mutter. Und für Herrn von Gundelstein bin ich auch bloß eine Angestellte …“

Gregor blieb der Mund offenstehen. Sein Zorn verschwand so schnell wie die Luft aus einem zerplatzten Luftballon.

„Nun, äh … also ganz so ist es jetzt auch wieder n …“

„Kein aber. Es war mein Fehler. Bitte entschuldige.“

Sie wandte sich ab und ließ Gregor zwischen den Pappeln stehen.

Itthona

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