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13~Balthasar

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Etwas war faul im Staate Dänemark.

Balthasar merkte es gleich, als Kadence von ihrer Suche nach Gregor zurückkehrte, denn sie lächelte ihn nicht an wie sonst, sondern setzte sich bloß schweigend auf die Schottendecke. Dann zog sie die Knie an das Kinn und starrte mit ernster Miene Löcher in die Luft. Balthasar, der dieses Verhalten von anderen als sich selbst nicht kannte, war darüber ziemlich beunruhigt. Und er hatte sofort Gregor im Verdacht.

Der Bengel tauchte einige Minuten nach Kadence auf und hockte sich auf das andere Ende der Decke, wo er ebenfalls mit verschränkten Armen vor sich hinbrütete.

Da nun weder Kadence noch Gregor noch Tassud noch Bert noch er selbst etwas sagten, wäre der Rest des Nachmittags ziemlich still verlaufen – wäre da nicht der gute alte Hans Tannemann gewesen. Hans, Balthasars Supermarktbekanntschaft. Hans, Balthasars einziger Beinahefreund und Schachpartner. Hans, der Mann mit dem miesesten Timing der Welt …

Just in dem Moment, als Balthasar – endlich von Gregors lästiger Anwesenheit befreit – die Hand ausgestreckt hatte, um unauffällig eine schwarze Kapsel in Kadences Apfelsaftschorle zu versenken, war aus der Ferne ein enthusiastisches „Hallooo!“ ertönt.

Ein Hallo, das Kadence derart erschreckte, dass sie prompt ihren Becher samt Saft in ein Grasbüschel beförderte – und dabei Balthasar die Kapsel aus der Hand schlug.

Hans merkte nicht einmal, was er angerichtet hatte. Geschwind kam er mit seinem Rollator herüber gehumpelt und ließ sich ungefragt auf Gregors ehemaligen Platz plumpsen.

„Balthie, altes Haus! Dich habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen … und oh, wie ich sehe, bist du in reizender Gesellschaft! Enchanté, Mademoiselle!“

„Guten Tag!“, grüßte Kadence, wie immer freundlich zu jedermann, und sei er noch so unwillkommen. Balthasar blieb nichts anderes übrig, als sie einander vorzustellen.

„Sehe ich richtig, ihr macht hier ein Picknick?“, erkundigte sich Hans.

„Ja, genau!“, rief Kadence fröhlich. „Wir haben noch Obstsalat und ein paar belegte Brote übrig. Möchten Sie vielleicht etwas davon haben?“

Hans’ Schweinchenaugen funkelten auf. Er rieb sich die kleinen Patschehände.

„Ach, also wenn ihr es wirklich nicht mehr braucht …“

„Hans!“, schritt Balthasar warnend ein. „Denk an deinen Cholesterinspiegel!“

Hans machte ein Gesicht, das zwischen Schuldbewusstsein und Enttäuschung schwankte.

„Ja, Balthie, du hast ja recht. Ich sollte mehr auf mich achten. Meine Zuckerwerte sind in letzter Zeit auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Du wirst es nicht glauben, aber der letzte HbA1c war 10,6! Glaubst du das? Und neulich, als ich beim Rheumatologen war…“

So nahm also das Schicksal seinen grausamen Lauf. Hans erzählte und erzählte, und dabei aß er und aß er, bis nichts mehr übrig war. Danach erzählte er weiter, ohne zu essen, erzählte weiter, als Kadence ging, um nach Gregor zu sehen, und erzählte weiter, als Kadence zurückkam. Und als auch Gregor wieder da war und sie alle gemeinsam auf der Schottendecke hockten, war Hans immer noch nicht fertig.

Gott sei Dank brauten sich gegen fünf Uhr dunkle Wolken zusammen und brachten einen erlösenden Frühlingsschauer, den Hans nicht mochte, sodass er sich sehr bald verabschiedete. Ohne etwas zu sagen, stand auch Kadence auf, steckte den nassen Bert in seine Box, sammelte die leeren Alufolien ein und rollte die Decke zusammen. Gregor half ihr schweigend dabei. Balthasar merkte genau, dass er hin und wieder verstohlen zu ihr hinüberschielte, und damit war die Sache für ihn klar: Der gute Hauptmann hatte sich auf irgendeine Weise in die Nesseln gesetzt.

Balthasar konnte es kaum erwarten, bis sie wieder zu Hause waren und er die Angelegenheit mit Tassud besprechen konnte. Tassud seinerseits hatte zwar nichts gesehen, doch die negativen Schwingungen waren auch bei ihm angekommen und er brannte darauf zu erfahren, was geschehen war.

Nachdem sie, während Kadence duschte, im Wohnzimmer über alles beratschlagt hatten, setzten sie sich zu Gregor in die Küche.

„Also raus damit, was hast du angestellt?“, begann Tassud das Verhör.

Gregor verschränkte die Arme vor der Brust und starrte stur zur Seite. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Komm schon, Kadence ist sauer auf dich, das sieht doch ein Blinder!“, half Balthasar nach.

Gregors Augenbrauen zuckten, doch er weigerte sich weiterhin, mit der Sprache herauszurücken.

„Ich glaube, du hast irgendetwas Blödes zu ihr gesagt“, mutmaßte Tassud. Gregor knurrte.

„Ich kenne dich, Greg, und …“

Da knallte Gregors Faust auf den Tisch.

„Wage es bloß nicht, so zu tun, als wärst du mein Freund!“, zischte er. Die Adern an seinen Schläfen pochten, und seine grünen Augen sprühten regelrecht Funken. So war er wirklich ein hässliches kleines Mädchen.

„Denkt ihr, ich weiß nicht, was hier gespielt wird? Ihr beide – sehr wahrscheinlich auch der Kater – habt euch gegen mich verbündet und führt etwas im Schilde!“

Unwillkürlich blickte Balthasar zu Tassud, was er sogleich bereute. Gregors Mundwinkel zuckte ironisch.

„Tut mir leid, aber ich bin nicht ganz so blöd, wie ihr denkt. Und eines sage ich euch: Ich werde Kadence keine Sekunde mehr aus den Augen lassen!“

„Das würde dir bestimmt leichter fallen, wenn du sie nicht von uns vertreiben würdest“, erwiderte Tassud ernst.

„Und im Übrigen verbündet sich hier niemand gegen dich“, fügte Balthasar hinzu. Das war nicht einmal gelogen, denn es ging hier ja um Kadences Wohl und nicht darum, Gregor persönlich eins auszuwischen. Sie waren schließlich nicht mehr im Kindergarten.

„Es stimmt, ich mag dich nicht besonders …“

„Danke, gleichfalls!“

„Aber“, fuhr Balthasar unbeirrt fort, „es ist ja nicht für die Ewigkeit. Ihr werdet bald fortgehen und dann sind wir einander endgültig los.“ Ein Zustand, den Balthasar aus tiefstem Herzen herbeisehnte.

„Es ist doch so, Gregor: Wir leben jetzt hier zu viert – meinetwegen zu fünft – zusammen und müssen irgendwie miteinander auskommen“, sagte Tassud. „Dabei hat mich niemand gefragt, ob ich das will, Kadence nicht, Bert nicht und Balthasar eigentlich auch nicht. Du hast es so entschieden. Also lebe damit.“

Gregor brummte etwas Unverständliches, unterließ es jedoch, weiter auf Balthasars Mobiliar einzuprügeln, was Anlass zur Hoffnung gab, dass die Vernunft vielleicht langsam zu seinem Hirn durchdrang.

Mit einem schlecht gelaunten „Ich gehe jetzt ins Bett“ ließ er Balthasar und Tassud in der Küche zurück, um sich und seinen Dickschädel ins Wohnzimmer zu schleifen.

„Ich werde die Schutzzauber um Kadence verstärken“, knurrte es von dort. „Und sobald sie schläft, lege ich mich vor ihre Tür. Also kommt nicht auf dumme Gedanken!“

Balthasar hörte Tassud in seinem Schoß seufzen. „Oje, das kann ja was werden.“

„Woher kennt ihr beiden euch eigentlich?“, wollte Balthasar wissen.

„Schule“, sagte Tassud trocken. „Wir sind einmal beide in Hamburg zur Schule gegangen … haben eine Art Auslandsjahr gemacht, um eure Welt kennenzulernen. Deshalb wurde ich ja für die Mission ausgewählt, nach der Waffe zu suchen, als alle noch dachten, dass sie in Hamburg wäre. Bei Greg war es sicher ähnlich …“ Er lachte freudlos. „Ist das zu fassen? Könnten unsere dusseligen Spione ein „a“ von einem „o“ unterscheiden, hätten wir einander wohl nie wiedergesehen …“

„Willst du mir nicht erzählen, was zwischen euch vorgefallen ist?“, bohrte Balthasar weiter. „Ich meine, abgesehen davon, dass du ihn vergangene Woche umbringen wolltest?“

Tassud seufzte erneut, diesmal tiefer und länger.

„Er wird nicht müde, darauf herumzureiten, richtig? Ich erzähle dir unsere Geschichte irgendwann, Balthasar. Jetzt haben wir andere Sorgen …“

Itthona

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