Читать книгу Itthona - Zsóka Schwab - Страница 15
9~Gregor
ОглавлениеGregor hatte lange überlegt, in welcher Gestalt er sich Kadence präsentieren sollte. Es musste etwas sein, das auf Frauen vertrauenserweckend und harmlos wirkte – also am besten eine Frau. Da Frauen jedoch bekanntlich auch dazu neigten, miteinander zu konkurrieren, bestand die Gefahr, dass Kadence eine Abneigung gegen ihn entwickelte … es sei denn, er gab sich als Gundelsteins buckelige ältere Schwester aus. Dies war jedoch seiner Eitelkeit zuwider, außerdem hatte er keine Lust, sich einen Bandscheibenschaden zu holen, weil er einen Monat lang wie Quasimodo herumlief. Nein, er musste weiblich, nett, niedlich und einnehmend aussehen. Und was wirkte einnehmender auf junge Frauen als kleine Kinder?
Nachdem das also beschlossen war, spazierte Gregor an mehreren Schaufenstern vorbei, um sich in Sachen technikanischer Kindermode Inspiration zu holen. Auf die Honeybunny-Lackschuhe war er besonders stolz, ebenso auf den Einfall, Tassud in den Bauch eines Teddybären zu stecken. Das war einfach brillant!
Tassud hatte die Idee natürlich nicht so gut gefallen – er fand sie unter seiner Würde. Aber so erging es eben Männern, die versuchten, Gregor, den Gesichtslosen, um die Ecke zu bringen: Sie mussten die Dinge nehmen, wie sie kamen.
Bald jedoch drängte sich auch Gregor die Frage auf, ob die Idee, sich als kleines Mädchen zu tarnen, wirklich so klug gewesen war. Da er eine jüngere Schwester hatte, auf die er als Kind aufpassen musste, war er sich sicher, gut vorbereitet zu sein. Er hatte jedoch nicht bedacht, dass eine Rolle, die so sehr von seinem üblichen Repertoire abwich, unweigerlich gewisse Tücken beinhalten musste.
Kindsfremde Ausdrücke, die ihm in unachtsamen Momenten herausrutschten, waren noch sein geringstes Problem.
Als Kadence den Vorschlag machte, mit Gundelstein draußen spazieren zu gehen, hatte Gregor nichts dagegen – im Gegenteil. Er hatte vor, viel mit Kadence zu unternehmen, eine richtig dicke Frauenfreundschaft mit ihr zu knüpfen. Da war ein Spaziergang doch ein guter Anfang.
So schnappten sie sich den alten Blutsauger, setzten Tassud auf seinen Schoß und schlugen den Weg entlang der Lindenreihe in Richtung Waldstadion ein.
Das Erste, was Kadence tat, war Gregors Hand zu nehmen – und das, obwohl weit und breit nirgends Autos zu sehen waren, worauf Gregor sie deutlich hinwies – umsonst.
„Du hast recht, aber mir ist trotzdem wohler dabei“, meinte sie. „Man kann nie wissen, wann ein Radfahrer um die Ecke düst. Ich wäre auch schon mal fast von einem überfahren worden.“
Ja, du vielleicht, dachte Gregor, sprach es aber natürlich nicht aus. „Macht es dir etwas aus?“, fragte Kadence.
Gregor zuckte mit den Schultern. „Nicht besonders. Aber wer schiebt denn dann Opa an?“
„Mich braucht überhaupt niemand anzuschieben“, grantelte Gundelstein, die alte Mimose.
So schlenderten und rollten sie zu dritt nebeneinander her, wie eine glückliche Familie: Links Kadence, in der Mitte Gregor und rechts der Vampir mit dem Bären.
Soweit lief alles nach Plan. Kadence genoss den Spaziergang sichtlich: Sie hatte beim Gehen die Augen geschlossen und ließ sich lächelnd die durch die Äste brechenden Sonnenstrahlen auf die Nase scheinen. Gregor musste sie mehrmals von Schlaglöchern oder Hecken wegziehen, in die sie hineinzumarschieren drohte. Und so was wollte auf ihn aufpassen.
Was Gregor anging, ihm war die Freude an dem Spaziergang bald vergangen: Er war außer Atem, weil er für jeden Schritt, den Kadence machte, zweieinhalb machen musste. Die Honeybunny-Lackschuhe zwickten am linken kleinen Zeh. Bei jedem Windstoß musste er mit der freien Hand das dämliche Blümchenkleid davon abhalten, freien Blick auf sein Unterhöschen zu gewähren. Und die bei jedem Schritt hin- und her gondelnden Locken nervten kolossal. Doch das alles wäre noch halb so schlimm gewesen, hätte der alte Blutsauger sich nicht mit Gregors Erzfeind verbrüdert: Den halben Weg über flüsterten und tuschelten er und der Plüschbär miteinander, gerade so laut, dass nur Gregor es hören konnte:
„Und er hat wirklich eine Schleife im Haar? Wie sieht sie denn aus?“
„Seidig und rosa, passend zum Kleid … Wer von euch beiden ist eigentlich auf diese vorsintflutliche Idee gekommen?“
„Wer wohl? Ich habe Greg ja gesagt, er soll sich als Hausmeister verkleiden. Aber er hat eben seine Vorlieben …“
„Vorlieben? Was denn für Vorlieben?“
„Nun jaaa … Als wir fünfzehn waren, hat er sich mal einen BH angezogen und …“
„Das war an Fasching, du Idiot!“, platzte Gregor der Kragen. Kaum hatte er es ausgesprochen, bereute er es schon bitter. Er spürte Kadences verwunderten Blick auf sich. „G…Greta …?“
Gregors Gesicht wurde heiß wie eine Herdplatte. Unter größter Selbstbeherrschung ignorierte er das unterdrückte Gekicher zu seiner Rechten und blickte zu Kadence hinauf.
„Äh, also ich … das war …“ Plötzlich nahm er hinter ihr eine Bewegung wahr.
„Vorsicht!“
Gregor riss an Kadences Hand und machte einen Satz zurück. Seine Schulter prallte gegen den harten Bürgersteig. Ein röhrendes Motorgeräusch vibrierte in seinen Ohren und verebbte abrupt. Was zum …?
Verspätet schoss eine heftige Adrenalinwelle durch seinen Kindskörper. Verdammt, das war knapp!
„Greta! Greta! Bist du verletzt?“
Gregor fühlte sich überhaupt nicht angesprochen, so wütend war er. Er wollte aufspringen und diesem Verkehrsrowdy ein paar gepfefferte Flüche an den Hals jagen, da stieß er mit dem Kopf gegen etwas Hartes: Kadences Schädel.
„Aua!“, riefen beide gleichzeitig. Kadence, die sich zu ihm hinabgebeugt hatte, rieb sich die Stirn. „Alles in Ordnung?“ Eine lange, rotbraune Haarsträhne fiel über ihre Schulter und kitzelte Gregors Schläfe. Er nickte benommen.
„Bist du dir sicher?“
Gregor nickte wieder. Kadence schmunzelte: „Ich habe es dir ja gesagt …“
„Was meinst du?“
„Es ist definitiv sicherer, wenn du in meiner Nähe bist – zumindest für mich.“
Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. Gregor ergriff sie und ließ sich auf die Beine ziehen. Kadence musterte ihn von Kopf bis Fuß. Dann staubte sie sein Kleid ab.
„Ist schon gut … es geht schon …“ Gregor schielte peinlich berührt zu Gundelstein. Doch der Alte lachte nicht. Mit Augen so groß wie Untertassen guckte er abwechselnd von Kadence zu ihm und wieder zurück. Er reagierte nicht einmal auf Tassuds fragende „Pssst“s.
„Das ist eine ganz schön komische Situation für mich …“, murmelte Kadence fahrig, während sie immer noch an Gregors Kleid herumklopfte und -zupfte. „Eigentlich sollte ich dich doch beschützen und nicht umgekehrt …“ Sie schenkte Gregor ein sanftes Lächeln und streichelte seine Wange. „Danke …“
Gregor fühlte, wie er schon wieder bis zu den Haarwurzeln rot anlief. Ein weiterer Punkt auf seiner Nachteile-ein-kleines-Mädchen-zu-sein-Liste.
„Da war ein Stein“, murmelte er. „Ich bin einfach gestolpert.“