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Erfahrungen der Lernenden und Kompetenzen

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Grundsätzlich ist aus entwicklungspsychologischer Perspektive zu bedenken, dass J. Fowler das zweite Stadium der Glaubensentwicklung als ‚mythisch-wörtlichen‘ Glauben bezeichnet.[13] Dies bedeutet, dass Kinder Gen 1 wortwörtlich als Welt- und Lebensentstehungsberichte auffassen – und dies nicht einfach als defizitäres und möglichst rasch zu überwindendes Glaubensstadium zu beurteilen ist. Das kindliche Denken und Gen 1 entsprechen einander, weil Kinder ein artifizialistisches Schöpfungsverständnis besitzen, in dem „alles auf personal-lebendige Wirkmächte“[14] zurückgeführt wird. Der Schöpfergott wird von Kindern als ein überelterliches, anthropomorphes Wesen verstanden, der alles herstellt, was Menschen nicht selbst machen können.

Unterbleiben gezielte Impulse zur Weiterentwicklung dieser kindlichen Schöpfungsvorstellungen, dann grenzen sich Jugendliche schließlich vom biblischen ‚Schöpfungsbericht‘ als kindlich und als von der Naturwissenschaft |123|widerlegt ab. So verdrängt das über den sozialen Kontext aufgenommene naturwissenschaftliche Denken nach und nach artifizialistische und anthropomorphe Schöpfungsvorstellungen. Mit dem im Jugendalter sich etablierenden mittelreflektierten Denken, also der Reflexion über die Mittel des Denkens selbst, setzt ein tiefgreifender Transformationsprozess ein, in dem das kindliche Weltbild grundlegend umgestaltet wird und schließlich der artifizialistische und anthropomorphe Kinderglaube als eine obsolete Stufe erscheint. Am Ende dieses Prozesses gelten insbesondere die naturwissenschaftliche Urknall- und Evolutionstheorie „als die rationale und unanfechtbare Basis der Welterklärung überhaupt (…). Gottesglaube und Welterklärung trennen sich“.[15]

Mit guten Gründen haben vor dem Hintergrund dieser Problematik die entwicklungspsychologischen Studien von F. Oser und K.H. Reich zum Denken in Komplementarität[16] eine vielfältige Beachtung im religionspädagogischen Diskurs gefunden. Verstehensprobleme von Jugendlichen hinsichtlich des Verhältnisses von biblischem Schöpfungsverständnis und naturwissenschaftlichen Theorien lösen sich nämlich erst, wenn das vierte Niveau der ‚reflektierten Komplementarität‘ erreicht wird, auf dem die Theorien A und B bewusst als komplementär aufgefasst werden und ihr gegenseitiges Verhältnis reflektiert wird.

Inhaltlich betrachtet besitzt im Blick auf das kritische Bewusstsein Jugendlicher die historisch-kritische Methode ein besonderes Potenzial. Mit allem Nachdruck sind aus diesem Grund die zwei biblischen Schöpfungserzählungen historisch-kritisch auszulegen. Hier zeigt sich zum einen, dass die biblischen Schöpfungsgeschichten ‚naturwissenschaftliche‘ Weltbilder früherer Zeiten enthalten. Auf diesem Hintergrund wird zum Ausdruck gebracht, dass Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde ist. Für Jugendliche ist es nachvollziehbar, dass das Bekenntnis von Gott als Schöpfer vor ca. 2500 Jahren nicht mit der Urknall- bzw. Evolutionstheorie erläutert werden konnte. Zum anderen ist zu betonen, dass die biblischen Schöpfungserzählungen im Kontext der Heilsgeschichte zu verstehen sind. Des Weiteren ist die kritische Haltung Jugendlicher auch im Blick auf die Grenzen und Tragweite naturwissenschaftlicher Theorien zu schärfen. Für Jugendliche am Ende der Sekundarstufe I legen sich somit folgende schöpfungstheologischen Kompetenzen nahe:

(1) Die jeweilige Eigenart der Schöpfungserzählungen nach Gen 1,1–2,4aGen 1,10096>2,4a und Gen 2,4b–3,24Gen 2,4b0096>3,24 form- und traditionsgeschichtlich darlegen können, ihre Unterschiedenheit von einem historischen Tatsachenbericht verstehen und ihre Bezugnahme auf naturkundliches Wissen der damaligen Zeit sowie ihre Auseinandersetzung mit fremdreligiösen Vorstellungen (‚Sterne als Reflektoren‘) erkennen;

|124|(2) die Unterschiedenheit der Weltzugänge von Naturwissenschaft und Theologie verstehen und auf diesem Hintergrund sowohl kreationistische wie szientistische Einstellungen kritisieren können;

(3) „Schöpfungspsalmen als Ausdrucksmöglichkeiten des Staunens und der Freude an Gottes Schöpfung erkennen“[17] und gestalten;

(4) „die Folgen von Geschöpflichkeit für Lebensverständnis und Lebensgestaltung erkunden und bedenken (Mann und Frau; Schöpfungsauftrag; Ebenbild Gottes)“;[18]

(5) die Gefährdung der Schöpfung wahrnehmen und „ein Projekt zur ‚Bewahrung‘ der Schöpfung vorbereiten und durchführen“[19] können.

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