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1.4.1 Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) nach DSM-5

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In der seit Mai 2013 gültigen fünften Version des DSM (DSM-5) ergeben sich – teilweise in Weiterentwicklung und teilweise in Abkehr vom bisherigen Autismus-Verständnis – folgende Entwicklungen (APA 2013, 2015):

Das Konzept der neuronalen Entwicklungsstörungen wird konsequent weiterentwickelt und neu geordnet

Im DSM-5 werden folgende Störungsbilder unter der Kategorie „neuronale Entwicklungsstörungen“ zusammengefasst: i. Intelligenzminderung, ii. Kommunikationsstörungen inklusive Sprachstörungen und Störung der sozialen (pragmatischen) Kommunikation, iii. Autismus-Spektrum-Störung, iv. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, v. spezifische Lernstörungen, vi. Störungen der Motorik inklusive Tic-Störungen und Tourette-Syndrom. Hier wird also der frühe Beginn eines klar identifizierbaren symptomatischen Musters in der ersten Dekade als gemeinsames Merkmal der genannten Störungsbilder konsequent zur Definition der Störungsgruppe herangezogen.

Das Konzept kategorialer autistischer Subtypen wird zugunsten eines Spektrums-Konzepts aufgegeben

Da sich die beiden autistischen Hauptkategorien „Frühkindlicher Autismus“ und „Asperger-Syndrom“ aufgrund von wissenschaftlichen Untersuchungen nicht valide voneinander trennen ließen (Lord et al. 2012), wurde im DSM-5 der seit Langem erkennbare Trend aufgegriffen, diese kategoriale Unterscheidung zugunsten eines dimensionalen Ansatzes fallen zu lassen (APA 2013, 2015; http://www.dsm5.org). Dieses Vorgehen wurde unterstützt durch die klinische Beobachtung fließender Übergänge zwischen den bisherigen Unterkategorien des Autismus, zwischen den verschiedenen neuronalen Entwicklungsstörungen, zwischen typischer und atypischer Entwicklung und schlussendlich auch zwischen (sogenannter) psychischer Gesundheit und psychiatrischer Erkrankung (Rutter 2011, Tebartz van Elst 2018, 2022). So konnte, was Kanner schon in den 1940er-Jahren beobachtet hatte, empirisch nachgewiesen werden, dass nicht erkrankte Verwandte autistischer Patienten ähnliche aber weniger stark ausgeprägte autistische Persönlichkeitsmerkmale aufwiesen (Constantino 2011). Dies ist wahrscheinlich einer gemeinsamen, komplexen genetischen Prägung für „autistische Persönlichkeitsmerkmale“ von Gesunden ebenso wie von Erkrankten geschuldet (Robinson et al. 2011). Zur Abgrenzung von nicht krankheitswertigen Zuständen dienen im DSM-5 die Kriterien C (Symptome müssen seit früher Kindheit vorhanden sein – aber können erst dann offensichtlich werden, wenn soziale Anforderungen die Kompensationsmöglichkeiten überschreiten) – und D (Symptome begrenzen und beeinträchtigen insgesamt das alltägliche Funktionieren) (s. Tab. 3).

Die autistische Kernsymptomatik der sozialen Interaktions- und Kommunikationsstörungen wird in einem Kriterium („A-Kriterium“) zusammengefasst

Da sich die beiden Hauptkriterien der ICD-10, soziale Interaktion und Kommunikation, nicht valide voneinander trennen ließen, wurden die beiden zu einem Kriterium „fusioniert“. Dieses wird wie folgt definiert: „Andauernde Defizite der Kommunikation und sozialen Interaktion in mehreren Kontexten, die aktuell oder anamnestisch vorhanden sind und nicht durch eine generelle Entwicklungsverzögerung besser erklärt werden können.“

Das Kriterium der begrenzten, repetitiven und stereotypen Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten wird als „B-Kriterium“ aufgewertet und ausgeweitet

Unter dem neuen B-Kriterium werden nicht nur die klassischen repetitiven und stereotypen Verhaltensweisen und Interessenmuster geführt, sondern auch sensorische Besonderheiten wie etwa eine Empfindlichkeit gegenüber Reizüberflutung, welche im alten Autismus-Konzept gemäß DSM-IV noch unberücksichtigt blieben (s. Tab. 3). Im Sinne einer Verschärfung der Diagnosekriterien werden nun allerdings mindestens zwei Symptome (und nicht nur ein einziges Symptom) aus diesem Bereich gefordert, um die Diagnose stellen zu können.

Eine Diversifizierung der Diagnose wird über Komorbiditäten möglich

Der Unterschiedlichkeit der individuellen Fälle im klinischen Alltag kann nach DSM-5 dadurch besser Rechnung getragen werden, dass eine größere Breite von Zusatzdiagnosen zugelassen wird. Dies trifft insbesondere für eine ADHS-Diagnose zu, die nach DSM-IV und ICD-10 bei Autismus bislang ausgeschlossen war (Rommelse et al. 2011). Insbesondere für den kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich ist dies sehr zu begrüßen, da der wechselseitige Ausschluss beider Diagnosen in der Vergangenheit bei Kindern mit Autismus und ADHD häufig zu Problemen führte.

Tab. 3 Kriterien der Autismus-Spektrum-Störung nach DSM-5 (APA 2013, 2015)

A. Andauernde Defizite der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion in allen Kontexten, die nicht durch generelle Entwicklungsverzögerungen erklärt werden und sich in allen folgenden Bereichen manifestieren:
1. Defizite der sozial-emotionalen Gegenseitigkeit (z.B. Probleme Sozialkontakte aufzunehmen, eine Small-Talk-Konversation zu führen, auf emotionale Reize angemessen zu reagieren etc.)
2. Defizite im nonverbalen kommunikativen Verhalten in der sozialen Interaktion (z.B. Probleme mit dem Blickkontakt, Mimik, Gestik, situative Kommunikation etc.)
3. Defizite beim Eingehen und Aufrechterhalten von Beziehungen, entsprechend dem Entwicklungsstand (ausgenommen solcher zu Bezugspersonen) (z.B. altersentsprechende Fähigkeit zu Mitschülern, Mitstudenten, Kollegen, Freunden Beziehungen aufzubauen oder zu halten)
B. Restriktive, repetitive Verhaltensmuster, Interessenmuster, oder Aktivitätsmuster, die sich in wenigstens zwei der folgenden Bereiche manifestieren:
1. Stereotype/s/r oder repetitive/s/r Sprechen, Bewegungen, oder Gebrauch von Objekten (wie z.B. einfache motorische Stereotypien, Echolalie, repetitiver Gebrauch von Objekten, oder idiosynkratische Phrasen).
2. Exzessives Festhalten an Routinen, ritualisierte Muster verbalen oder nonverbalen Verhaltens, oder exzessiver Widerstand gegen Veränderung (wie z.B. behaviorale Rituale, Bestehen auf gleicher Wegstrecke, gleiches Essen, repetitive Fragen oder extremer Stress durch kleine Änderungen, detailliertes Vorausplanen von Tagesabläufen, rigides Festhalten an immer gleichen Tagesabläufen).
3. Hochgradig eingegrenzte, fixierte Interessen, die unnormal in Hinblick auf Intensität oder Thema sind (wie z.B. starke Bindung an oder Beschäftigung mit ungewöhnlichen Objekten, exzessive eingeengte oder perseverierende Interessen).
4. Hyper- oder hypo-Reaktivität auf sensorischen Input oder ungewöhnliches Interesse an sensorischen Aspekten der Umgebung (wie z.B. offensichtliche Unempfindlichkeit gegenüber Schmerz/Hitze/Kälte, starke überempfindliche Reaktion auf spezifische Geräusche oder Texturen, exzessives Riechen oder Berühren von Objekten, Faszination von Lichtern oder sich bewegenden Objekten).
C. Symptome müssen seit früher Kindheit vorhanden sein (aber können erst dann offensichtlich werden, wenn soziale Anforderungen die Kompensationsmöglichkeiten überschreiten)
D. Symptome begrenzen und beeinträchtigen insgesamt das alltägliche Funktionieren
E. Die Symptome können nicht besser durch andere Krankheiten oder eine Intelligenzminderung erklärt werden.

Der Schweregrad wird operationalisiert

Dem Konzept eines dimensionalen Krankheitsmodells folgend wurde die diagnostische Einordnung um eine Einteilung in Schweregrade erweitert (s. Tab. 4), was in den kategorialen Konzepten weitgehend fehlte.

Tab. 4 Schweregrad der ASS (modifiziert nach APA 2013, 2015)

SchweregradSoziale KommunikationRestriktive, repetitive Verhaltensweisen
Stufe 3 „Sehr umfangreiche Unterstützung erforderlich“Starke Einschränkungen der verbalen und nonverbalen sozialen Kommunikationsfähigkeit verursachen beträchtliche Beeinträchtigungen im Funktionsniveau; minimale Fähigkeit zur Initiierung sozialer Interaktionen und minimale Reaktion auf soziale Angebote im Umfeld.Inflexibilität des Verhaltens. Extreme Schwierigkeiten im Umgang mit Veränderungen oder andere repetitive, restriktive Verhaltensweisen mit ausgeprägter Funktionsbeeinträchtigung in allen Bereichen. Großes Unbehagen bzw. große Schwierigkeiten, den Fokus oder die Handlung zu verändern.
Stufe 2 „Umfangreiche Unterstützung erforderlich“Ausgeprägte Einschränkungen in der verbalen und nonverbalen sozialen Kommunikationsfähigkeit. Soziale Beeinträchtigungen auch mit Unterstützung deutlich erkennbar; reduzierte Initiierung sozialer Interaktionen oder abnormale Reaktionen auf soziale Angebote von anderen.Inflexibilität des Verhaltens. Schwierigkeiten im Umgang mit Veränderungen oder andere repetitive, restriktive Verhaltensweisen treten häufig genug auf, um auch für den ungeschulten Beobachter offensichtlich zu sein. Funktionsbeeinträchtigung in einer Vielzahl von Kontexten. Unbehagen bzw. Schwierigkeiten, den Fokus oder die Handlung zu verändern.
Stufe 1 „Unterstützung erforderlich“Die Einschränkungen in der sozialen Kommunikation verursachen ohne Unterstützung bemerkbare Beeinträchtigungen. Schwierigkeiten bei der Initiierung sozialer Interaktionen sowie einzelne deutliche Beispiele für unübliche oder erfolglose Reaktionen auf soziale Kontaktangebote anderer. Scheinbar vermindertes Interesse an sozialen Interaktionen.Inflexibilität des Verhaltens führt zu Funktionsbeeinträchtigungen in einem oder mehreren Bereichen. Schwierigkeiten, zwischen Aktivitäten zu wechseln. Probleme in der Organisation und Planung beeinträchtigen die Selbständigkeit.

Das Konzept einer von den ASS separierten sozialen (pragmatischen) Kommunikationsstörung (social communication disorder) wird eingeführt

Die Diagnose einer sozialen Kommunikationsstörung (social [pragmatic] communication disorder) wurde als neue Kategorie eingeführt (s. Tab. 5). Sie ist weitgehend in Analogie zum A-, C- und D-Kriterium der ASS konzipiert, wobei Symptome im Sinne des B-Kriteriums nicht gefordert werden und eine ASS ausgeschlossen sein soll. Diese Kategorie soll möglicherweise die Option eröffnen, auch Menschen mit subsyndromalen autistischen Zügen eine Diagnose zu eröffnen, sofern diese zu psychosozialen Beeinträchtigungen führen.

Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter

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