Читать книгу Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter - Группа авторов - Страница 24

2.4 Diagnostik im Kindes- und Jugendalter

Оглавление

Im Kindes- und Jugendalter gibt es einen aktuellen einheitlichen, standardisierten und international anerkannten „Gold-Standard“ der Autismus-Diagnostik, der Screeningverfahren, das Autism Diagnostic Interview-Revised (ADI-R) und die Autism Diagnostic Observation Scale (ADOS-2) umfasst. In Kombination liefern diese Instrumente eine ausführliche und sehr zuverlässige Diagnose. Die Befragung von Bezugspersonen ist bei der Diagnostik autistischer Störungen sehr wichtig, da unter anderem viele relevante Entwicklungsdaten nur auf dem Weg der Fremdanamnese zugänglich sind. Zu den am häufigsten verwendeten und am besten abgesicherten Screeningverfahren zählt der Fragebogen zur Sozialen Kommunikation (FSK; in der deutschen Übersetzung von Bölte u. Poustka 2005). Als weiterer Fragebogen in deutscher Sprache ist die Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom (MBAS) (Kamp-Becker et al. 2005) zu nennen. Die Skala zur Erfassung sozialer Reaktivität (SRS; in der deutschen Übersetzung von Bölte u. Poustka 2008) bietet als einziger Fragebogen eine dimensionale Diagnostik der Symptomatik in allen drei Symptomkomplexen und eignet sich daher vor allem für die Evaluation von Therapien, zur Verlaufskontrolle und zum Einsatz in der Forschung. Sie bietet eine klinische Status- und Prozessdiagnostik sowie allgemeine Persönlichkeitsdiagnostik und eignet sich für Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 18 Jahren. Das ADI-R (Diagnostisches Interview für Autismus-Revidiert; in der deutschen Übersetzung von Bölte et al. 2006) wird als Interview mit der/den Bezugsperson/en durchgeführt. Der Auswertungsalgorithmus berücksichtigt Items, die auf ICD-10- und DSM-IV-Kriterien basieren und hauptsächlich auf das Alter zwischen vier und fünf Jahren Bezug nehmen. Die ADOS (Diagnostische Beobachtungsskala für autistische Störungen; seit 2015 in der überarbeiteten Version der ADOS-2, in der deutschen Übersetzung von Poustka et al. 2015) ist eine standardisierte Verhaltensbeobachtung, die aus vier verschiedenen Modulen (angepasst an Alter und Sprachentwicklung) und aus verschiedenen Aufgaben, Aktivitäten, Konversations- und Befragungselementen besteht. Die Bewertung ist mittlerweile an die DSM-5 Kriterien für ASS angepasst. Sie wird sowohl kategorial (mithilfe von klinischen Grenzwerten für Autismus-Spektrum oder Autismus) als auch dimensional mit Vergleichswerten (Symptomlevel) angegeben. Allerdings stellt man im klinischen Alltag oft fest, dass ältere Jugendliche – und insbesondere Erwachsene (s. Kap. I.3) – mit AS und guten kognitiven Fähigkeiten ihre Probleme in der sozialen Interaktion und Kommunikation so weit kompensieren, dass die ADOS-Diagnostik nur grenzwertig positiv wird oder gar negativ bleibt. Ein weiteres Problem stellt die Einschätzung der Autismus-spezifischen Symptomatik bei Kindern mit niedrigem Funktionsniveau dar. Um die ADOS-Bewertung besser an das kognitive und sprachliche Niveau der Kinder anzupassen und dadurch die spezifischen Defizite zuverlässiger zu erfassen, wurden in der letzten Zeit Vorschläge zur Verbesserung des Algorithmus für die Kodierung gemacht (Gotham et al. 2007; Kamp-Becker et al. 2011).

Bei der klinischen Beobachtung von Kindern mit Verdacht auf Autismus und allgemeiner Entwicklungsverzögerung sollte der diagnostische Blick insbesondere auf die qualitativen (und nicht nur quantitativen) Auffälligkeiten der sozial-emotionalen Entwicklung gerichtet werden. Beispiele dafür sind:

Orientierung an Objekten und deutlich weniger an Personen

Personen werden quasi als Werkzeuge „benutzt“

vorhandene sprachliche Fertigkeiten werden kaum kommunikativ eingesetzt

es fehlt eine Kompensierung durch nonverbale Kommunikationsmittel wie Mimik und Gestik

es fehlt ein Verständnis für „So-tun-als-ob“-Spiele

Besonders hochfunktionale Formen des Autismus sind als diagnostische Herausforderung oftmals bereits ab dem Kindesalter vor allem aber ab dem Jugendalter zu begreifen. Die Autismus-spezifische Symptomatik ist hier in der Regel milder, da die sozial-emotionale und kognitive Entwicklung durchaus abhängig voneinander sind. Diese Menschen verfügen über eine deutlich besser ausgeprägte soziale Kommunikationsfähigkeit und soziale Motivation als es bei Kindern mit frühkindlichem Autismus mit Defiziten im kognitiven Bereich der Fall ist. Das Verständnis für die soziale Bedeutung von sprachlichem Austausch und Interaktion ist meistens vorhanden. Für die klinische diagnostische Einschätzung von Kindern mit normaler intellektueller Leistungsfähigkeit ist es daher sehr wichtig, Verhaltensweisen in der sozialen Interaktion und emotionale Reaktionen speziell zu beachten, die qualitativ von denen Gleichaltriger abweichen und in deutlicher Diskrepanz zu ihrer sonstigen kognitiven Entwicklung stehen.

Psychiatrische Komorbiditäten treten häufig bei ASS auch im Kindes- und Jugendalter auf und sind stark bestimmend für Verlauf und Prognose. Deswegen ist es sehr wichtig, sie im diagnostischen Prozess zu erkennen. In den letzten Jahren wurde die Frage intensiv diskutiert, wann und in welchem Umfang psychopathologische Merkmale, die eine ASS oft begleiten, als eigenständige komorbide Störungen diagnostiziert werden sollen (Sinzig u. Lehmkuhl 2011). Eine besondere Problematik stellt die ADHS dar, weil diese laut ICD-10 und DSM-IV noch als Ausschluss-Diagnose gilt; d.h. im Falle von deutlichen autistischen und ADHS-Zügen sollen erstere als führende Symptomatik betrachtet werden. Diese Konstellation schließt damit eine eigenständige Diagnose der ADHS nach ICD-10 und DSM-IV aus, aber nicht mehr in DSM-5. Die klinische Beobachtung liefert in der Tat eindeutige Hinweise dafür, dass bei einigen Kindern und Jugendlichen die diagnostische Einschätzung zwischen ASS und ADHS unsicher bleibt, da sie sowohl ADHS- als auch ASS-Symptome aufweisen, die je nach Situation, Entwicklungsphase und auch therapeutischem Kontext mehr oder weniger in den Vordergrund treten können (Grzadzinski et al. 2011). Leyfer et al. (2006) haben die Frage der Komorbidität in einer klinischen Stichprobe von 109 Kindern und Jugendlichen mit ASS untersucht und festgestellt, dass sehr häufig die Kriterien für eine ADHS, für Angst- und Zwangsstörungen, für depressive Erkrankungen und für oppositionelle Störungen des Sozialverhaltens erfüllt sind. In einer populationsbasierten Studie von Simonoff et al. wurden 112 Kinder mit ASS im Alter zwischen 10 und 14 Jahren hinsichtlich komorbider Störungen untersucht (Simonoff et al. 2008). 70% der Kinder zeigten mindestens eine komorbide Störung, wobei ADHS und oppositionelle Störungen des Sozialverhaltens am häufigsten vorkamen.

Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter

Подняться наверх