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Kreuzzüge als Heilige Kriege

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Im frühen 13. Jahrhundert hielt der berühmte Prediger Jakob von Vitry eine Predigt vor Rittern des Templerordens. Wahrscheinlich tat er dies in der Hafenstadt Akkon an der Küste Palästinas, denn dort war er Bischof, und dort hatten die Templer ihr Hauptquartier in einer mächtigen Klosterfestung direkt am Meer. Zu Beginn seiner Predigt wies Jakob darauf hin, dass die Templer und ihre christlichen Waffenbrüder, wenn sie auch nicht mit jenen ersten „Soldaten Gottes“ – d.h. den Aposteln und Märtyrern der ersten christlichen Jahrhunderte – zu vergleichen seien oder mit jenen Seelen, die während der letzten Prüfung vor dem Jüngsten Gericht standhaft bleiben würden, sie aber immerhin die bedeutende Pflicht hätten, das Christentum gegen eine große Bedrohung durch den Satan und seine Schergen zu verteidigen: gegen Götzendiener, Heiden, Ketzer und jene Pazifisten, die versuchten, die Mission der Kreuzfahrer zu untergraben. Jakob rechtfertigte die Gewaltausübung im Namen des Christentums mit theologischen Argumenten, die er fast ausschließlich dem Decretum Gratiani entnahm, dem damaligen Standardwerk des Kirchenrechts. Das alles war seinen Zuhörern wohl zu hoch, schließlich waren die meisten Templer ungebildete Gesellen. Wenn sie überhaupt mitbekommen haben, dass der Bischof ein intellektuell anspruchsvolles Plädoyer für die Anwendung von Gewalt entwickelte, dann vermutlich nur in Ansätzen. Sie dürften erleichtert gewesen sein, als Jakob, einer alten Angewohnheit folgend, endlich zu ein paar saftigen Anekdoten überging. Eine dieser Geschichten handelte von einem Templer, „damals, als die Tempelritter arm und überaus eifrig im Glauben waren“ – ein typischer Seitenhieb in Richtung seiner Zuhörer. Die Predigt schließt mit der Ermahnung an die Ritter, dem Streben nach eigenem Ruhm zu entsagen und auf niemanden zu vertrauen als auf Gott allein.

Aus heutiger Sicht ist Jakobs Predigt alles andere als gut geschrieben. Der plötzliche Bruch zwischen den biblischen Anspielungen und Kirchenväterzitaten in den ersten drei Vierteln des Textes und den abschließenden Anekdoten veranschaulicht den tiefen Graben, der sich zu allen Zeiten zwischen den hochgeistigen Abstraktionen der Theologen und den Motiven einfacher Männer und Frauen aufgetan hat. Weder Predigern noch Päpsten ist es jemals geglückt, die von ihnen entworfene Theologie der Gewalt den einfachen Gläubigen in einer Sprache darzustellen, die diese auch verstehen konnten; nie ist es ihnen in befriedigendem Maße gelungen, Brücken über diese Kluft zu schlagen. Das ist ein Grund dafür, dass der Klerus, wie er noch feststellen sollte, die durch flammende Predigten angefachten Leidenschaften danach nur schwer im Zaum halten konnte. Man sollte jedoch von vornherein betonen, dass die Kreuzzugsbewegung wuchs und gedieh vor dem Hintergrund von Ideen über Gewalt, die den meisten Gebildeten völlig plausibel erschienen.

Innerhalb des Korpus der heiligen Schriften des Christentums – göttlich inspirierter Offenbarung nach Ansicht der Gläubigen – finden sich widersprüchliche Aussagen zur Frage der körperlichen Gewaltausübung, von angedrohter, unabsichtlicher oder willentlicher Tötung oder Körperverletzung. Auf dem Berg Sinai empfängt Moses das Gebot Gottes: „Du sollst nicht töten!“, aber was bei den Theologen des 4. Jahrhunderts fast noch größeren Eindruck hinterließ, war die Tatsache, dass dieses Gebot unmittelbar im Anschluss, im Verlauf der weiteren Ereignisse auf und um den Sinai, schon wieder abgewandelt und eingeschränkt wurde. In dem auf die Wiedergabe der Zehn Gebote folgenden und diese gewissermaßen kommentierenden Bundesbuch fordert Jahwe für eine ganze Reihe von Vergehen die Todesstrafe und verspricht außerdem, diejenigen Völker zu „vertilgen“ (Ex 23,23), die den Israeliten den Zugang zum Land der Verheißung versperren würden. Als Moses mit den Gesetzestafeln vom Sinai hinunterstieg und seine Getreuen mit der Anbetung eines goldenen Kalbs beschäftigt fand, genehmigte er, wie berichtet wird, die Tötung der Schuldigen.

Gleichermaßen wäre es ein Fehler, dem Neuen Testament einen umfassenden und unzweideutigen Gewaltverzicht zu unterstellen. Es stimmt schon: Jesus verlangte von seinen Jüngern, ihre Feinde zu lieben wie ihre Freunde (Mt 5,44); er predigte Sanftmut, Güte und Gewaltverzicht (Mt 26,52). Andererseits scheint er, ganz wie sein Vorläufer Johannes der Täufer, der Ansicht gewesen zu sein, dass es ganz ohne Soldaten auch nicht geht – so etwa, wenn er den Glauben eines römischen Zenturios, des „Hauptmanns von Kafarnaum“ nämlich, lobt, ohne dabei dessen Berufswahl infrage zu stellen (Mt 8,10), oder wenn er beim Letzten Abendmahl, Lukas zufolge, den Aposteln sagt:

Wer aber nichts hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert. Denn ich sage euch: Es muss noch das auch vollendet werden an mir, was geschrieben steht: „Er ist unter die Übeltäter gerechnet.“ […] Sie sprachen aber: „Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter.“ Er aber sprach zu ihnen: „Es ist genug.“ (Lk 22,36–38)

Auch später am Abend führten die Jünger Schwerter mit sich; vermutlich waren es die zuvor erwähnten. Mit einem dieser Schwerter muss es dann wohl passiert sein: „Einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab“ (Lk 22,50). Zwar wird dieser hitzige Jünger – der Parallelstelle bei Matthäus zufolge handelte es sich um Petrus – umgehend von Jesus gerügt. Aber, so fragten die gelehrten Theologen und Kriegstheoretiker späterer Jahrhunderte, wenn Christus prinzipiell gegen jegliche Form von Gewaltanwendung gewesen wäre, wie konnte es dann sein, dass der herausragende Jünger Petrus an der Seite des Messias ein Schwert bei sich führte, selbst wenn dies im Interesse der Schrifterfüllung geschah? Andere Schriften des Neuen Testaments, insbesondere jene, die vom Werdegang des Apostels Paulus berichten, sanktionieren in deutlichen Worten die Ausübung von Gewalt durch den Staat:

Denn sie [die „Obrigkeit“, wie Luther formuliert] ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: Sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.“ (Röm 13,4)

Die Moraltheologie der Gewaltanwendung entstand aus dem Versuch heraus, die offenkundigen Widersprüche der Heiligen Schrift miteinander zu versöhnen. Der Pazifismus hatte in der frühen Kirche eine gewisse, vielleicht sogar eine bedeutende Rolle gespielt, obwohl das Ausmaß mittlerweile infrage gestellt worden ist. In den folgenden Jahrhunderten überlebte er als Meinung einer Minderheit innerhalb des Christentums, aber immerhin sollten sich die Kreuzzugsprediger später genötigt sehen, auf seine radikalen Einwände zu reagieren. Doch für die Theologen des 4. Jahrhunderts stellten sich ganz andere Probleme: Sie mussten ihre Position zur Frage der Gewaltausübung dringend klären, schließlich wurden ihre Glaubensgenossen immer zahlreicher, gelangten in höhere militärische Ränge des römischen Heeres, auf Justizposten, auf denen man nicht selten über schwere Strafen zu entscheiden hatte, und letztlich sogar auf den Kaiserthron selbst. Es half diesen Theoretikern wenig, den Alten Bund vom Neuen zu unterscheiden – nicht nur, weil die Aussagen des Neuen Testaments in dieser Frage selbst reichlich widersprüchlich waren, sondern auch, weil es, wenn Gott in einem Zeitalter die Gewaltausübung erlaubt und in einem anderen verboten hatte, keinerlei Gewähr dafür gab, dass er sie nicht, wenn die Umstände hienieden es erforderten, zu gegebener Zeit auch wieder genehmigen würde.

In einem christlichen Kontext wurde die in der Gesetzgebung der Römischen Republik wurzelnde Überzeugung, jegliche Gewaltausübung – ob als Krieg, bewaffneter Aufstand oder innerstaatliche Sanktion – müsse gewisse Kriterien erfüllen, um legitim zu sein, zuerst von Augustinus (354–430) entwickelt, dem größten unter den frühen christlichen Theoretikern. Gewalt dürfe, so Augustinus, nicht leichtfertig angewandt werden, nicht zur Selbsterhöhung, sondern nur aus juristisch einwandfreien Gründen, die ihm zufolge immer nur in der Reaktion auf eine Aggression bestehen durften. Jegliche Gewaltausübung musste zudem durch eine entsprechend legitimierte Autorität offiziell genehmigt werden. Und sie musste gerecht sein. Augustinus definierte dasjenige Vergehen, durch welches eine gewaltsame Reaktion ihren gerechten Grund erhielt, als unerträgliches Unrecht, das üblicherweise die Form von Angriff oder Unterdrückung habe. Er unterschied zwei Formen legitimer Autorität und folgte Paulus, wenn er sämtliche Herrscher (selbst die heidnischen) als Stellvertreter Gottes auf Erden bezeichnete – wobei er allerdings den christlichen römischen Kaisern eine herausragende Stellung einräumte, schließlich hatten diese sich selbst und die weltliche Macht des von ihnen beherrschten Reiches ganz und gar in den Dienst der Kirche gestellt und sich deren Verteidigung zur Aufgabe gemacht. Aber Augustinus glaubte auch, dass Gott höchstpersönlich den Befehl zur Gewaltausübung geben könne; diese sei dann „zweifellos gerecht“. Auf Gottes Wort hin hatte Abraham sich bereitgemacht, seinen Sohn Isaak zu opfern, und Moses hatte Kriegszüge befehligt. Wenn Gott die Anwendung von Gewalt befahl, so tat er dies nicht aus Grausamkeit, sondern als gerechte Strafe. Augustinus war darauf gefasst, dass auch im Zeitalter des Neuen Bundes direkte Befehle Gottes an seine Geschöpfe ergehen konnten; in zwei seiner späteren Schriften spricht er von der Möglichkeit, dass dies noch zu seinen eigenen Lebzeiten geschehen könne.

Am positivsten äußert sich Augustinus, wenn er über die „rechte Absicht“ schreibt, die er von all jenen verlangt, die Gewalt entweder anordnen oder selbst ausüben wollen. Ihre Motivation müsse in Liebe gründen, dann werde sich die Gewaltanwendung auf das notewendige Maß beschränken. Daraus folgte, dass die Verantwortlichen, die über die Anwendung von Gewalt zu entscheiden hatten, diese derart einzuschränken hatten, dass Unschuldige so wenig wie möglich betroffen sein würden und dass keinesfalls stärkere Gewalt ausgeübt wurde, als zum Erreichen der angestrebten Ziele vernünftigerweise nötig war. Augustinus’ Erörterung der „rechten Absicht“ legte das Fundament für die spätere Lehre von der Verhältnismäßigkeit des gerechten Krieges.

Augustinus’ Ansichten zu diesem Thema sind über ein umfangreiches Lebenswerk verteilt, das über mehrere Jahrzehnte hinweg und zuweilen widersprüchlich ist. Erst im 11. Jahrhundert, als die Päpste sich an Gelehrte wandten, um Gewaltausübung im Namen der Kirche zu rechtfertigen, wurden die entsprechenden Passagen aus den augustinischen Schriften zu einem zweckdienlichen Kompendium kompiliert – wobei die Widersprüche geglättet wurden. Zwei Prämissen, die für Augustinus’ Verhältnis zur Gewaltfrage grundlegend waren, standen im Vordergrund. Das war zunächst sein Insistieren auf Gott oder Christus als oberste Autorität in dieser Welt. Die zweite Prämisse bildete seine Überzeugung, dass Gewalt an sich sittlich neutral sei. Es war die Absicht der Gewalttäter, die ihr erst ihre moralische Dimension verlieh: in vielen Fällen eine verwerfliche, aber in etlichen auch eine segensreiche, und das führte Augustinus dazu, eine Theorie der gerechtfertigten Verfolgung zu entwickeln, die das Christentum bis ins 19. Jahrhundert heimgesucht hat.

Die augustinische Denktradition erscheint uns heute so fremd, weil sie von einem anderen Denksystem verdrängt wurde – und das ist noch nicht so lange her, wie wir vielleicht glauben würden. Die moderne Lehre vom gerechten Krieg setzt voraus, dass Gewalt zweifellos von Übel ist, dass aber Chaos und Anarchie womöglich die größeren Übel wären. Gewaltanwendung kann so zur Notwendigkeit werden: wenn nämlich ein Staat oder eine andere Gemeinschaft sich einer Situation gegenübersieht, in der Gewaltanwendung – als einziges Mittel zum Schutz oder zur Wiederherstellung der allgemeinen Ordnung – das kleinere Übel darstellt. Unter diesen speziellen Umständen kann die Anwendung von Gewalt vor Gott bestehen, und diejenigen, die sie ausüben, laden keine Schuld auf sich. Die Ursprünge dieser Denkweise finden sich im Mittelalter, in einer Zeit, in der es Theologen und Kirchenrechtler immer schwerer fiel, auf die Rechtshilfeersuchen verschiedener Konfliktparteien einzugehen, deren jeweilige Auseinandersetzungen sich mit keinem der traditionellen Legitimierungsmodelle deckten. Dennoch konnte die neue Theorie sich erst durchsetzen, als eine ausreichend große Mehrheit die augustinischen Prämissen aufgegeben hatte. Entscheidend für das Verblassen der alten Gewissheiten über die Gewaltausübung im Namen Christi waren Berichte von spanischen Gräueltaten gegen die Ureinwohner der Neuen Welt, die im Europa der 1530er-Jahre kursierten, sowie die kritische Reaktion darauf seitens des spanischen Dominikaners Francisco de Vitoria. In den Augen Vitorias und seiner Anhänger – namentlich Francisco Suarez’ und Felipe Ayalas – konnte die letztgültige Rechtfertigung von Gewalt nicht der Verweis auf irgendeinen göttlichen Plan erbringen, sondern einzig und allein auf das „Gemeinwohl“ (bonum commune), ein aristotelisches Konzept, das sich in einzelnen Zügen schon in den Schriften des Theologen Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert findet. Für Vitoria, Suarez und Ayala war die Verteidigung des Gemeinwohls – die das gute Recht einer jeden Gemeinschaft war – die einzige legitime Rechtfertigung für die Ausübung von Gewalt.

Die Debatten über die Bellum-Iustum-Theorie verlagerten sich bald von der geistlichen in die weltliche Sphäre, von der Moraltheologie hin zum Völkerrecht. Diese Entwicklung im Verlauf nur weniger Jahrzehnte war das Verdienst der protestantischen Rechtsgelehrten Alberico Gentili und Hugo Grotius. Gott wurde aus der Gleichung gestrichen, und der gerechte Krieg verlor den Glanz göttlicher Billigung, aber dennoch unternahm vorerst niemand jenen zweiten Schritt, der zur umfassenden Herausbildung der modernen Lehre vom gerechten Krieg noch fehlte: die Übernahme der pazifistischen Überzeugung, dass Gewalt zwar etwas wesenhaft Schlechtes, unter gewissen Umständen aber dennoch – als das geringere Übel – zu befürworten sei. Auf diesem Gebiet ist noch einiges an Forschungsarbeit zu leisten, aber es scheint durchaus möglich, dass dieser überaus bedeutsame gedankliche Schwenk auf eine umfassende Friedensbewegung zurückgeht, die sich nach den Napoleonischen Kriegen in Europa und Amerika ausbreitete, um sich dann in den 1830er-Jahren in einen radikalpazifistischen und einen gemäßigten Flügel aufzuspalten.

In jedem Fall lässt sich das Konzept des „Heiligen Krieges“, wie er in der Geschichte des Christentums immer wieder aufgefasst wurde, als eine Form des bewaffneten Konflikts definieren, der – direkt oder indirekt – im Auftrag Gottes (oder Christi) geführt wird, um, wie man glaubt, göttliche Absichten zu verwirklichen. Die Kreuzzüge waren zwar besonders theatralische Umsetzungen dieses Konzepts; aber auch sie mussten den üblichen Bedingungen des gerechten Grundes, der legitimen Autorität und der rechten Absicht genügen. Jakob von Vitry fasste in seiner Predigt den gerechten Grund der Kreuzzüge als ein Abwehren (ungerechtfertigter) Gewalt oder Schädigung sowie ein Zur-Rechenschaft-Ziehen der daran beteiligten Missetäter. Mit anderen Worten: Die Kreuzzüge mussten – wie alle christlichen Kriege – Verteidigungskriege sein. Sie durften niemals Angriffskriege zur Bekehrung von Heiden sein, denn dies war nach dem Kirchenrecht verboten. Das wiederum scheint allerdings den Teilnehmern an solchen Kriegen nicht immer ganz klar gewesen zu sein; außerdem segelten Päpste und Prediger bisweilen hart am Wind, wenn es darum ging, Teilnehmer für Kriegs- und Missionierungszüge im Baltikum zu gewinnen, wo das Christentum sich als durchaus kämpferische Macht präsentierte. Selbst Feldzüge gegen Ketzer wurden mitunter als Defensivkriege gerechtfertigt, denn sie hatten es ja vorgezogen, gegen Christi Einsetzung der Kirche als Hüterin der von ihnen einst akzeptierten Wahrheiten zu rebellieren.

Der gerechte Grund war für die Rechtfertigung eines Kreuzzuges deshalb besonders wichtig, weil ein solcher Krieg nicht von Kämpfern, die ihren Lehnspflichten nachkamen, oder von sonstigen Wehrpflichtigen geführt wurde (wenn auch in den Kreuzfahrerheeren Wehrpflichtige keine Seltenheit waren), sondern von Freiwilligen. Was Kreuzfahrer überhaupt erst zu Kreuzfahrern machte, waren, wie wir gesehen haben, die Gelübde, die sie ablegten, und ein Gelübde musste laut Kirchenrecht eine freiwillig vollzogene Handlung sein. Wenn also ein Papst zum Kreuzzug aufrief, dann konnte er lediglich an das Gewissen aller Christenmenschen appellieren, sich dem Heerzug aus freien Stücken anzuschließen. Zwar mochte er ihnen ewige Höllenqualen androhen, wenn sie seinem Aufruf nicht folgten; aber er durfte sie nicht zum Ablegen des Kreuzzugsgelübdes zwingen oder sie für ihre Renitenz bestrafen – und es hat tatsächlich Fälle gegeben, in denen alle Rekrutierungsversuche vergebens waren.

Ein überzeugender Grund für den Kreuzzug war also unabdingbar. Feldzüge in die Levante, nach Nordafrika oder auf die Iberische Halbinsel konnten als Antwort auf bestehende muslimische Aggressionen begründet werden oder als berechtigte Versuche, christliche Territorien zurückzuerobern, die in der Vergangenheit unrechtmäßigerweise in Besitz genommen worden waren. Die Notwendigkeit, Jerusalem zurückzuerobern und zu halten, erwies sich als ein zugkräftiger Anreiz – schließlich befanden sich in Jerusalem die zwei heiligsten Stätten des Christentums: der Kalvarienberg, auf dem Jesus gekreuzigt, und das Heilige Grab, in dem er vor seiner Auferstehung bestattet worden war. Das Ziel Jerusalem ließ sich sogar zur Begründung von Kreuzzügen auf der Iberischen Halbinsel heranziehen, denn die Spanier redeten sich ein, der schnellste Weg ins Heilige Land führe über Spanien und Nordafrika. Die Kampagnen im Baltikum wurden als Reaktionen auf die Bedrohung christlicher Siedlungen durch die heidnischen Balten und Litauer dargestellt – oftmals auf recht fadenscheiniger Grundlage. Kriege gegen Häretiker und politische Gegner des Papsttums hingegen rief man aus zur Verteidigung der Einheit des Christentums oder zur Sicherung der Kirche gegen umtriebige Feinde in ihrem Inneren. Petrus Venerabilis, der bedeutende Abt des Klosters Cluny im 12. Jahrhundert, war der Ansicht, die Anwendung von Gewalt gegen Mitchristen sei sogar noch berechtigter als gegen Ungläubige.

Die Kreuzzüge

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