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2. Die Geburt der Kreuzzugsbewegung: Der Aufruf zum Ersten Kreuzzug

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In der ersten Märzwoche 1095 trat eine Gesandtschaft des byzantinischen Kaisers Alexios I. vor einer Synode im oberitalienischen Piacenza auf, bei der Papst Urban II. höchstpersönlich den Vorsitz führte. Die Byzantiner waren gekommen, um Unterstützung gegen die seldschukischen Türken zu erbitten, deren rasanter Vormarsch durch Kleinasien sie gefährlich nahe vor die Tore von Konstantinopel geführt hatte. Dieses Hilfegesuch brachte eine Folge von Ereignissen ins Rollen, die zum Ersten Kreuzzug führten.

Dreieinhalb Jahrhunderte zuvor hatten die Christen Nordafrika, Palästina, Syrien und einen großen Teil Spaniens an muslimische Angreifer verloren. Die Frontlinie zwischen Christentum und Islam hatte sich in der Folge stabilisiert – solange jedenfalls, bis die byzantinisch-griechischen Kaiser, die von Konstantinopel aus die Reste des oströmischen Reiches regierten, in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts ihrerseits zum Angriff übergegangen waren. Es war ihnen gelungen, die antiken Städte Tarsus und Antiochia (Antakya) zurückzuerobern und die Grenze des Byzantinischen Reiches bis nach Nordsyrien hinein zu verschieben. In der ganzen islamischen Welt waren diese Ereignisse als ein Schock wahrgenommen worden, der nach einer Antwort verlangte: Im Jahr 963 trafen in Mossul 600 Kriegsfreiwillige aus der 2000 Kilometer entfernten Region von Chorasan ein; diesen folgten drei Jahre später 20.000 weitere Kämpfer.

Ungefähr zeitgleich mit den christlichen Erfolgen auf dem Schlachtfeld hatten sich innerislamische Wandlungsprozesse ereignet, die zu einer Umgestaltung der ganzen Westhälfte des islamischen Kulturraums führen sollten. Die Autorität der sunnitischen Abbasidenkalifen von Bagdad war geschwunden, und sie selbst waren unter die Kontrolle schiitischer Fürsten geraten, welche von den Sunniten als Häretiker betrachtet wurden. Im Jahr 969 war Ägypten fast ohne Gegenwehr von den Mitgliedern einer anderen schiitischen Dynastie erobert worden, nämlich den Fatimiden, die dort ihrerseits ein (Gegen-) Kalifat errichten konnten. Die Fatimiden hatten versucht, den Abbasiden die Kontrolle über Palästina und Syrien zu entreißen, aber in den 1060er- und 1070er-Jahren mussten sie sich der neu herandrängenden Macht der türkischen Seldschuken beugen, die (unter Ausnutzung einer siebzehnjährigen Periode innerer Unruhen in Ägypten) die Fatimiden aus dem größten Teil ihrer syrischen Besitzungen verdrängten und ihnen lediglich einen unsicheren Anspruch auf Teile Palästinas ließen. Es waren die Türken, die zur gleichen Zeit das muslimische Kriegsglück an der Grenze zur byzantinisch-christlichen Welt zurückgewannen.

Weit im Osten an den Rändern der großen Steppe östlich des Aralsees, bei den nomadischen Turkmenenstämmen, die im 10. Jahrhundert zum Islam konvertiert waren, lebte eine große Gruppe unter einem Anführer namens Seldschuk. Nachdem Seldschuk und seine Leute als Söldner in das von Muslimen besiedelte Gebiet gekommen waren, hatten sie bis zum Jahr 1037 die Region von Chorasan unter ihre Kontrolle gebracht; ihr Sieg in der Schlacht von Dandanqan 1040 öffnete ihnen das Tor zu Iran. Neun Jahre später, 1049, drang Seldschuks Enkel Tughrul mit kaum lenkbaren turkmenischen Nomaden sowie „reguläreren“ Truppen nach Armenien vor. Im Jahr 1055 zog Tughrul in Bagdad ein und hatte bis 1059 das Gebiet des heutigen Irak bis in die Grenzgebiete Syriens und des Byzantinischen Reiches hinein unter seine Kontrolle gebracht. Im Namen des Abbasidenkalifen in Bagdad errichtete Tughrul ein Sultanat, dessen Herrschaftsbereich Iran, den Irak und Syrien umfasste. Mit ihrem Übertritt zum Islam hatten die seldschukischen Türken die strenge und aggressive Variante dieser Religion angenommen, wie sie wohl in Grenzgebieten häufig zu finden war. Ihren Vormarsch nach Westen rechtfertigten sie als eine Kampagne gegen die Verderbtheit des Islam, die sich für sie etwa darin ausdrückte, dass das orthodoxe sunnitische Kalifat nun schon seit über einem Jahrhundert unter der Herrschaft schiitischer Machthaber gestanden hatte. Ihr nächstes Ziel nach dem Fall Bagdads war das in ihren Augen häretische Kalifat in Ägypten.

Sunniten und Schiiten

Sunnitische Muslime glauben, dass die religiöse Autorität des Islam im Wesentlichen auf einem grundlegenden Pfeiler ruht: einem Konsens aller Muslime hinsichtlich des heiligen Gesetzes, der Schariʿa, wie es einerseits im Koran enthalten ist, andererseits aber auch in der Sunna, dem Brauch des Propheten, der in Überlieferungen von dessen Worten und Taten tradiert wird. Die Durchsetzung dieses Rechtskanons (im Gegensatz zu seiner Interpretation) war die Aufgabe des sunnitischen Abbasidenkalifen von Bagdad bzw. derer, die in seinem Namen die Regierung führten. Die schiitischen Muslime hingegen glauben, dass die oberste religiöse Autorität nach dem Tod des Propheten auf dessen Vetter und Schwiegersohn Ali, den vierten Kalifen, übergegangen ist, der sie an seine Nachfahren in direkter Linie vererbte. Die meisten heutigen Schiiten vertreten die Auffassung, diese Reihe von Imamen sei bereits im Jahr 874 mit der übernatürlichen Entrückung („Verborgenheit“) des zwölften Imams an ihr Ende gelangt und die oberste religiöse Autorität werde seither in seinem Namen von Rechtsgelehrten ausgeübt. Andererseits nahmen auch die Fatimidenkalifen von Kairo für sich in Anspruch, von Ali abzustammen. Als Alis Nachfolger bemächtigten sie sich der höchsten Entscheidungsgewalt nicht nur in Sachen der Schariʿa, sondern auch hinsichtlich der verborgenen Bedeutungen von Mohammeds Offenbarung. Ihre Nachfolge haben drei verschiedene Sekten angetreten: die Drusen, für die der fatimidische Kalif al-Hakim (gest. 1021) der Verborgene Imam ist; die Nizariten (zur Zeit der Kreuzzüge als „Assassinen“ berüchtigt), deren Genealogie von Imamen mit dem ermordeten Fatimidenprinzen Nizar (gest. 1096) beginnt; und die Tayyibiten, welche die Linie eines minderjährigen Sohnes des ebenfalls ermordeten Fatimidenkalifen al-Amir (gest. 1130) anerkennen, der sich nach ihrer Überzeugung noch heute an einem unbekannten Ort auf dieser Erde aufh ält.

Die ersten Aktionen der Seldschuken gegen christliche Territorien erfolgten zufällig und ohne Plan. Seit den späten 1050er-Jahren stießen Trupps plündernder Nomaden bis tief in das byzantinisch kontrollierte Armenien vor; ab den späten 1060er-Jahren tauchten sie auch in Kilikien und im inneren Anatolien auf. Bei ihren Beutezügen jenseits der Grenze verließen sie auch den Einflussbereich von Tughruls Neffen und Nachfolger Alp Arslan, der sich deshalb zum Eingreifen gezwungen sah. Dies wiederum provozierte eine militärische Antwort der Byzantiner. Im Jahr 1071 unternahm Alp Arslan einen Feldzug, der – obwohl es in seinem Verlauf auch zur Eroberung einiger christlicher Städte zwecks Grenzkonsolidierung kam – vor allem die (muslimische) Stadt Aleppo gefügig machen sollte. Aleppo fiel auch tatsächlich an Alp Arslan, doch dann hörte dieser, der byzantinische Kaiser Romanos IV. Diogenes plane eine Offensive. Alp Arslan stellte sich den Byzantinern entgegen, fügte ihnen in der Schlacht von Manzikert eine vernichtende Niederlage zu und nahm ihren Kaiser gefangen.

Die militärische Stärke der Byzantiner war schon lange im Niedergang begriffen gewesen, doch erst die Schlacht von Manzikert öffnete den turkmenischen Nomaden das Tor zum Byzantinischen Reich – beschleunigt wurde diese Entwicklung durch das unüberlegte Handeln einiger byzantinischer Generäle, die sich um den Kaiserthron stritten. Sie heuerten türkische Söldner an und ermöglichten es diesen so, im Inneren des Reiches Fuß zu fassen. Schnell entglitt das Kleinasien der byzantinischen Kontrolle. Dies war die Situation, in der sich der byzantinische Kaiser 1095 entschloss, den Westen um Hilfe zu bitten.

Die Kreuzzüge

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