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Was ist Ruhe? Was ist Stille?

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Als Gegenstück zu Lärm werden sowohl „Ruhe“ als auch „Stille“ genannt. Unter Ruhe verstehen wir die Abwesenheit störender Geräusche, unter Stille die Abwesenheit (nahezu) aller Geräusche. In Räumen und Situationen, in denen wir Ruhe finden, können durchaus Geräusche auftreten, mitunter auch laute Geräusche. Aber es handelt sich um Geräusche, die ihren Ursprung in Bewegungen haben, von denen wir keine Gefahr erwarten und die nicht mit unseren Tätigkeiten und Bedürfnissen interferieren. Denken wir beispielsweise an das Wandern entlang eines tosenden Gebirgsbaches oder an das Brandungsrauschen am Strand. Geräusche, die uns signalisieren, dass kein Grund zur „Beunruhigung“ besteht, tragen zur Entspannung bei. Die Aufmerksamkeit kann frei flottieren und muss nicht unter Energieaufwand fokussiert werden. Dies reduziert Stress und tut gut.

„Es gibt vielerlei Lärme. Aber es gibt nur eine Stille“. Und wo finden wir die von Kurt TUCHOLSKY 1925 in der „Weltbühne“ als „die eine“ apostrophierte Stille? Kann man Stille wahrnehmen? Ein kalter Wintermorgen, ein zugefrorener See, abseits von Häusern und Straßen. Kein Vogel zu hören. Die Schritte lassen den harschen Schnee knirschen. Dieses Knirschen macht die Stille hörbar. Noch beeindruckender sind die Beschreibungen des norwegischen Abenteurers Erling KAGGE, der den Mount Everest bestieg und die Antarktis durchwanderte und dort die „Macht der Stille“ erfuhr (KAGGE, 2017). Stille als Abwesenheit von Geräuschen fördert die innere Versenkung, aber auch die Konzentration auf eine geistige Aufgabe und das schulische Lernen. Die Stillarbeit, bei der Schüler für sich Lernstoff einüben, ist eine wichtige Methode des individuellen Lernens.

In den Religionen hat Stille eine große Bedeutung. Wie beeindruckend ist es, wenn wir in der Großstadt eine Kathedrale betreten und aus dem Wirbel und dem Lärm kommend die dort herrschende Stille wahrnehmen! Die Stille und die Größe des Raumes machen den Menschen klein und lassen ihn eine Macht erahnen, die keiner Lautstärke bedarf, um ihre Größe zu demonstrieren. Auch während der Liturgie spielen Momente der Stille und des Schweigens eine wichtige Rolle, für das Zwiegespräch mit Gott oder für das Gebet. Dies gilt nicht nur für die christlichen Kirchen, sondern für alle Religionen, die meditative Elemente enthalten. Wenn die äußere Welt schweigt, spricht umso intensiver die innere.

Stille, die wir nicht bewusst aufgesucht haben, sondern die uns umfängt, kann jedoch auch ängstigen und in Erwartung von schlimmen Ereignissen Anspannung erzeugen. Der Ausdruck „Die Stille vor dem Sturm“ steht für dieses Gefühl der Erwartungsangst. Wenn der Luftdruck extrem fällt, die Luft sich wie Watte anfühlt und sich ein gewaltiger Sturm ankündigt, schweigt auch der letzte Vogel und es wird bedrückend still. Die Angst, die wir im stillen Wald oder dunklen Keller empfinden, versuchen wir durch lautes Pfeifen zu vertreiben. Stille verweist auf ein Umfeld, in dem keine Bewegungen stattfinden – und kein Leben existiert. Dort, wo kein Leben ist, herrscht bedrohliche „Totenstille“.

Stille kann in sogenannten schalltoten, genauer schallarmen Kammern (denn „schalltot“ gibt es auf Erden nicht) künstlich erzeugt werden. Solche Räume, die man aus wissenschaftlichen Gründen und für genaue standardisierte akustische Messzwecke benötigt, werden auch manchmal als „Camera silens“ bezeichnet. Eine solche Kammer ist rundum, auch oben und unten, mit Schallabsorbern ausgekleidet, porösem Material, meist Steinwolle, das den Schall möglichst gut „schluckt“ (▸ Absorber). Der „Fußboden“ besteht aus einem Drahtgeflecht, das über den Bodenabsorbern aufgespannt ist. In einer solchen Kammer können nicht nur störende Außengeräusche abgeschottet werden, sie weist auch kaum noch messbare Schallreflexionen auf. Drinnen fühlt sich der Mensch in der Regel jedoch unwohl und unsicher. Wir fühlen uns verloren, wenn unsere Bewegungen und Äußerungen ohne Resonanz bleiben.

Auch Stille, keine Stimulation des Gehörs, wird als eine Methode der berührungsfreien Folter und der „Gehirnwäsche“ eingesetzt. Auf Dauer kann diese Art der sensorischen Deprivation Halluzinationen erzeugen.

Halten wir fest: Ruhe ist wohltuend, Stille kann wohltuend sein. Stille kann aber auch bedrückend sein, für Verlassenheit und Einsamkeit stehen und lässt uns den Tod erahnen. Auch Lärm ist nicht nur des Teufels. Bisweilen ist er Ausdruck von Leben und Lebenslust.

Lauter Schall

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