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SPRACHURSPRUNGSDEBATTE IM ZEICHEN DER AUFKLÄRUNG

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Die große Zeit des Nachdenkens über das Sprachproblem aber begann, als im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts die traditionelle christliche Weltsicht auf nahezu allen Gebieten ins Wanken geriet und die Aufklärung einer neuen geistigen Epoche den Weg ebnete – der Epoche des Rationalismus. Eine forschende, kritische Denkweise trat nun an die Stelle der vermeintlichen Sicherheit über den Charakter und Ursprung der Dinge, und die althergebrachten Traditionen und Dogmen wurden schonungslos verworfen, wenn sie nicht den Maßstäben einer vernunftgemäßen Überprüfung standhielten. In diesem geistigen Klima bereiteten sich große gesellschaftliche Umwälzungen vor, es wurden die Grundlagen der modernen Wissenschaft und Forschung gelegt und man führte auch die Sprachdiskussion in neuem, rationalistischem Geiste fort. Konservative Denker versuchten zwar, die überkommenen Positionen zu retten – so etwa der deutsche Theologe Johann Peter Süßmilch, der 1766 eine Schrift mit dem programmatischen Titel veröffentlichte: „Versuch eines Beweises, dass die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe“;8 doch derartige Bekenntniswerke vermochten die neu entbrannte Debatte nicht zu stoppen. Eine große Zahl von Philosophen und Gelehrten – viele davon durchaus fromme Männer – gaben sich nicht mehr mit der Lehre von der fertig in den Menschen verpflanzten Sprache, mit dem Dogma vom „Gottesgeschenk“ zufrieden, sondern bemühten sich in ausführlichen Schriften und Traktaten darum, natürliche, vernunftmäßig erklärbare Möglichkeiten des Sprachursprungs herauszuarbeiten. Stellvertretend für diese vielfältigen Bemühungen, die sich oft noch mit der Annahme einer letztlich göttlichen Inspiration verbanden, seien hier nur die Namen Jean-Jacques Rousseau, Étienne Bonnot de Condillac und Lord Monboddo genannt – sie alle lebten und wirkten im 18. Jahrhundert.


Eine Seite aus dem 1679 erschienenen Buch „Orbis sensualium pictus“ des tschechischen Pädagogen Joh. Amos Comenius, die die Theorie des Naturlaute nachahmenden (= onomatopoetischen) Sprachursprungs illustriert.

Als berühmtester Versuch dieser Art darf Johann Gottfried Herders 1772 veröffentlichte „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“ gelten. Mit ihr gewann der deutsche Philosoph und Theologe einen 1769 von der Preußischen Akademie der Wissenschaften ausgeschriebenen Wettbewerb, dessen vorsichtig formulierte Fragestellung lautete: „Sind die Menschen, wenn sie ganz auf ihre natürlichen Fähigkeiten angewiesen sind, imstande, die Sprache zu erfinden? Und mit welchen Mitteln gelangen sie aus sich heraus zu dieser Erfindung?“9

Herder plädierte in seiner preisgekrönten Schrift vehement für eine natürliche Entstehung der Sprache aus einfachsten Anfängen und bezeichnete „die Hypothese eines göttlichen Ursprungs“ als „Unsinn“, als „fromm, aber zu nichts nütze“. – „Hätte ein Engel oder ein himmlischer Geist die Sprache erfunden“, so schrieb er, dann müsste „ihr ganzer Bau ein Abdruck von der Denkungsart dieses Geistes sein. (…) Wo findet das aber bei unsrer Sprache statt? Bau und Grundriss, ja selbst der ganze Grundstein dieses Palastes verrät Menschheit.“ Die ersten Worte, so vermutete Herder, seien wahrscheinlich Naturlauten nachempfunden gewesen – der Mensch habe Tiere und Naturerscheinungen zunächst ganz einfach nach ihren Tönen bezeichnet. „Das Schaf blökt, (…) die Turteltaube girrt, der Hund bellt! Da sind drei Worte. (…) Der Baum wird der Rauscher, der West Säusler, die Quelle Riesler heißen – und da liegt ein kleines Wörterbuch fertig (…) – die ganze vieltönige, göttliche Natur ist Sprachlehrerin und Muse.“ – „Was war diese erste Sprache“, so Herder weiter, „als eine Sammlung von Elementen der Poesie? Nachahmung der tönenden, handelnden, sich regenden Natur! Aus den Interjektionen aller Wesen genommen und von Interjektionen menschlicher Empfindung belebt! Die Natursprache aller Geschöpfe vom Verstande in Laute gedichtet“. Sein Fazit: „Der Mensch erfand sich selbst Sprache! – aus Tönen lebender Natur! – zu Merkmalen seines herrschenden Verstandes!“10

Wer sprach das erste Wort?

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