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DIE SPRACHE – EIN „OFFENES“ SYSTEM

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Nach welchen Prinzipien funktioniert nun aber eigentlich unsere Sprache und was unterscheidet sie von den bisher beschriebenen tierischen Verständigungssystemen?

Tiersignale sind – wie wir sahen – in der Regel an bestimmte Situationen oder Stimmungen gebunden und daher nicht für eine Verständigung über abstrakte Dinge, über Fernliegendes, Vergangenes oder Zukünftiges geeignet. Im Leben und Denken der Tiere spielen solche Kategorien offenbar keine allzu große Rolle, weshalb sich auch kein entsprechendes kommunikatives Instrumentarium zu entwickeln brauchte. Ein einzelnes Tiersignal übermittelt außerdem zumeist eine ganze Botschaft, weshalb die Gesamtmenge an mitteilbarer Information schon durch die Anzahl der jeweils zur Verfügung stehenden unterschiedlichen Signaltypen (bei den meisten Tierarten weniger als hundert) begrenzt wird. Die tierischen Verständigungssysteme funktionieren aus diesen beiden Gründen, trotz all ihrer Feinheit und oft auch Komplexität, nur innerhalb beschränkter Grenzen und sind nicht ausbaufähig oder erweiterbar, bilden also gleichsam „geschlossene“ Kommunikationssysteme. Wollte man sie als Sprache bezeichnen, müsste man diesen Begriff so weit fassen (etwa als „Medium der Informationsübermittlung“ von einem Sender zu einem Empfänger), dass er faktisch mit dem allgemeineren Begriff der Kommunikation identisch würde, was kaum sinnvoll erscheint.

Die menschliche Sprache zeichnet sich demgegenüber durch ihre Vielseitigkeit und Variabilität aus. Sie ist ein „offenes System“, sowohl im Hinblick auf die Art wie auch auf die Menge der übermittelbaren Information – für beides existieren so gut wie keine Grenzen. Grundlage dieser enormen Leistungsfähigkeit ist ihr Strukturprinzip, das in der Linguistik als die „doppelte Gliederung der Sprache“ bezeichnet wird: Vergleichsweise wenige (zwischen 20 und 60) für sich bedeutungslose Grundlaute, die „Phoneme“, erlauben durch unterschiedliche Kombination die Bildung einer großen Zahl von bedeutungstragenden Einheiten („Morphemen“) und Wörtern – von Lautfolgen also, die als Symbole für bestimmte Dinge bzw. Begriffe stehen und sich ihrerseits zu einer unbegrenzten Zahl von größeren Sinneinheiten mit höherem Informationsgehalt, den Sätzen, zusammenstellen lassen. Die Regeln, nach denen diese Satzbildung erfolgt, sind ebenso wie die Wörter und ihre Bedeutungsinhalte – der Wortschatz bzw. das Vokabular – durch gesellschaftliche Übereinkunft festgelegt und werden durch kulturelle Tradition weitergegeben (vgl. S. 72f.). Sie müssen also – auf der Basis einer angeborenen Sprachdisposition und vielleicht auch genetisch verankerter Grundmuster (vgl. S. 100f.) – gelehrt und gelernt werden, unterscheiden sich von Sprache zu Sprache und unterliegen im Laufe der Zeit gewissen Wandlungen. Die Grundstruktur des ganzen Systems aber ist weltweit bei allen bekannten und überlieferten Sprachen die gleiche – auch bei denen der sog. „primitiven“ Völker, die daher keineswegs einfacher oder weniger leistungsfähig sind.

Wer sprach das erste Wort?

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