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AUF DER SUCHE NACH DEM URSPRUNG DER SPRACHE

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Und um sehr alte Fragen mit einer zum Teil Jahrtausende zurückreichenden Geschichte handelt es sich zumindest bei der Sprachursprungsdiskussion in der Tat. Schon im 7. Jahrhundert v. Chr. führte der ägyptische König Psammetich I., wie der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet, ein Experiment durch, um herauszufinden, welches die älteste Sprache und das älteste Volk der Menschheit sei. Er ließ zwei neugeborene Knaben in einer einsamen Hütte aussetzen, bei einem Hirten, der nicht mit ihnen sprechen durfte, sondern nur zu bestimmter Zeit die Ziegen zu ihnen führte, damit sie von deren Milch tranken. „Das tat und befahl Psammetichos“, so Herodot, „weil er bei diesen Knaben hören wollte, was für ein Wort, wenn das undeutliche Lallen vorüber wäre, sie zuerst von sich geben würden.“ Er hoffte, sie würden ohne Beeinflussung durch andere Menschen in der Sprache ihrer ältesten Vorfahren zu reden beginnen, die – so seine Überzeugung – noch in ihnen schlummere.

Als die beiden Knaben nach zwei Jahren immer wieder einen Laut ausstießen, der wie das phrygische Wort bekos (Brot) klang – tatsächlich aber vielleicht nur dem Meckern der Ziegen nachempfunden war –, hielt der König den Fall für entschieden: Das Phrygische musste die Ursprache der Menschheit sein, und die Phryger in Kleinasien (und nicht, wie zuvor angenommen, die Ägypter) waren das älteste Volk. „So gaben es die Ägypter denn zu und richteten sich darin nach diesem Geschehnis, dass die Phryger älter seien als sie selber“, schließt Herodot nicht ohne Ironie seinen Bericht.2

Jüngeren Quellen zufolge wurde dieser grausame Menschenversuch im Mittelalter noch zweimal wiederholt, und zwar im 13. Jahrhundert von dem Stauferkaiser Friedrich II. und um 1500 von Schottlands König Jakob IV. Im ersten Fall starben die Kinder, im zweiten Fall gaben sie nach einiger Zeit Laute von sich, die man als hebräisch deutete. Später soll das Experiment von einem indischen Großmogul wiederholt worden sein, und noch im 18. Jahrhundert forderten europäische Gelehrte eine erneute Durchführung.

Die Frage nach der „Ursprache“ und damit nach den Anfängen der artikulierten Verständigung hat die Menschen also seit jeher bewegt und durch die Jahrtausende hindurch nicht mehr losgelassen. Die dazu verfasste Literatur ist immens: Eine Bibliographie von 1975 führte nicht weniger als 11.000 historische und moderne Arbeiten zu diesem Themenkreis auf,3 und seither sind zahlreiche neue hinzugekommen. Die Art und Weise, wie man sich dem Problem näherte und es zu lösen versuchte, hing dabei vom Weltbild und den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen in den verschiedenen Epochen und Kulturkreisen ab und war höchst unterschiedlich.

Die einfachste Antwort auf die Frage, wie die Sprache entstand, ist die Annahme, sie sei überirdischen Ursprungs, ein Werk der Götter, von denen sie der Mensch bei seiner Erschaffung fertig verliehen bekam. Und in der Tat kannten die meisten frühen Kulturen einen Schöpfungsmythos, der – ebenso wie den Ursprung der Welt und des Menschen – auch die Sprachentstehung, ja oft sogar die Benennung der einzelnen Dinge und damit die Herkunft der Wörter aus göttlichem Wirken erklärte. Für die alten Ägypter waren die Sprachenspender der Gott Ptah, „der den Namen aller Dinge verkündet hat“, Amun, der „seine Rede inmitten des Schweigens öffnete“, oder der Schreiber- und Wissensgott Thot. Nach dem babylonischen Weltschöpfungsepos Enuma elisch traten alle Dinge – Himmel, Erde und Götter – ins Dasein, als der Schöpfergott Apsu ihnen Namen gab: „Mit Namen wurden sie genannt.“ Im Rigveda, einem Hymnenbuch aus dem Indien des späten 2. Jahrtausends v. Chr., heißt es: „Die Göttin Vac (die Rede) haben die Götter erzeugt“, und in einem anderen altindischen Hymnus wird der Gott Brahma als der Schöpfer der menschlichen Sprachfähigkeit verehrt: „In Kinnladen die vielgewandte Zunge baut er, der Rede Kunst in sie zu legen.“ Nach der germanischen Snorra-Edda wurden die Menschen von den göttlichen Söhnen des Allvaters geschaffen und neben den anderen Lebenskräften mit „Antlitz, Rede, Gehör und Sehkraft“ ausgestattet, und im altenglischen Runenlied der Angelsachsen heißt es: „Der Ase (Wodan) ist der Urheber aller Rede.“4

Wer sprach das erste Wort?

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