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DER URSPRUNG VON SPRACHE UND SCHRIFT ÜBER DIE ERSTAUNLICHE AKTUALITÄT EINES ALTEN THEMAS

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Noch in den 1980er Jahren galt die Frage nach dem Ursprung unserer wichtigsten Kommunikationsmittel Sprache und Schrift zumindest hierzulande als ein esoterisches Außenseiterthema, und ein Buch darüber stellte eine ausgesprochen extravagante Unternehmung dar.1 Mittlerweile hat sich das jedoch gründlich geändert: Der Fragenkomplex gehört heute zu den Lieblingsthemen von Wissenschaftszeitschriften und -magazinen, eine ganze Reihe populärer Sachbücher sind darüber erschienen, und eine im Oktober 2002 veröffentlichte Titelgeschichte des „Spiegel“ zum Sprachursprung bescherte dem Nachrichtenmagazin eine der am besten verkauften Nummern des Jahres.

Der Blick auf unsere Ursprünge hat angesichts unsicherer Weichenstellungen für die Zukunft offenkundig wieder Konjunktur, und die beispiellose Revolution, die sich während der letzten Jahrzehnte im Bereich der Kommunikations- und Datenspeicherungstechniken vollzog, hat ein breites Interesse an der Geschichte dieser Techniken geweckt.

Gleichzeitig ist die Frage nach der Entstehung von Sprache und Schrift aber auch in den Sog allgemeinerer und grundsätzlicherer Debatten über unsere Ursprünge geraten. Eines ihrer zentralen Themen ist die Frage, seit wann man eigentlich mit Fug und Recht vom Menschen als handelndem Subjekt der Natur- und Kulturgeschichte sprechen kann. Trifft diese Bezeichnung bereits auf unsere älteren Vorfahren vor 400.000 oder 1 Million Jahren zu, oder betrat erst vor 150.000 bis 40.000 Jahren mit dem modernen Homo sapiens ein Wesen die Erdenbühne, das über die charakteristischen Merkmale des Menschseins – Sprache und Kultur – verfügte? Und: Entstanden diese für uns so kennzeichnenden Merkmale nur einmal und in einer einzigen Region der Erde, nämlich im südlichen Afrika, von wo aus sie sich mit ihren Trägern in großräumigen Wanderungsbewegungen über die ganze restliche Welt verbreiteten?

Oder ist ihre gleichzeitige Entstehung in mehreren Erdteilen und unter ganz verschiedenen Frühmenschengruppen denkbar – ähnlich, wie ja zum Beispiel auch die Gewohnheit des Fleischverzehrs und der Jagd nicht nur ein einziges Mal in der Urgeschichte entstanden sein wird und wie auch das Gehirn unserer Urahnen in den verschiedenen Weltregionen zur gleichen Zeit wuchs? (vgl. S. 54f.).

Ähnliche Fragen stellen sich auch im Hinblick auf unser zweites grundlegendes und sehr viel jüngeres Kommunikationsmittel – die Schrift. Wurde sie nur einmal oder mehrmals in der Menschheitsgeschichte erfunden, und wo geschah dies zum ersten Mal? Gilt noch der alte Lehrsatz, nach dem die Wiege des Schriftgebrauchs und der Zivilisation in Mesopotamien, an den Ufern von Euphrat und Tigris, stand? Oder besaßen die alten Ägypter und die vorgeschichtlichen Völker des Balkanraums bereits lange vor den Mesopotamiern erste Schriftsysteme, wie man dies in den letzten Jahren immer wieder lesen und hören konnte?

Was waren schließlich die entscheidenden Motive für die Erfindung dieses gänzlich neuen, visuellen Kommunikationsmittels? Stand dahinter ein spirituelles Streben nach persönlicher Verewigung, ein historisches Bemühen um die Fixierung von Ideen und Ereignissen oder aber ein eher praktisches Bedürfnis nach nüchterner Datenspeicherung, wie sie uns im heutigen Computerzeitalter ja gigabyteweise zur alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden ist?

Fragen über Fragen, die alle seit ungefähr zwanzig Jahren mit verstärktem Interesse diskutiert werden. Die Ansätze zu ihrer Beantwortung sind dabei völlig unterschiedlich, denn während das Problem des Sprachursprungs heute zunehmend von Naturwissenschaftlern mit den ihnen eigenen nüchternen Fragestellungen und technisch-präzisen Methoden angegangen wird, speist sich das Interesse an den alten Schriften immer noch großenteils aus der Aura des Geheimnisvollen und Erhabenen, die ihre glyphischen Zeichen umgibt.

Doch einerlei, welche Motive im Vordergrund stehen mögen – entscheidend ist, dass diese alten Fragen endlich in unserer Zeit „angekommen“ sind, dass sie wieder ein breites Interesse unter den Wissenschaftlern wie in der Öffentlichkeit finden und dass man ihnen mit den heute zur Verfügung stehenden, vielfach phantastisch erweiterten Möglichkeiten auf der Spur ist.

Wer sprach das erste Wort?

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