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Phäaken

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Nackt kommt dem Ankömmling

das andere Geschlecht entgegen:

phallisches Blühen,

gefördert von der Hitze

des Mittags.

(Günter Kunert, Nausikaa II)

Im Kontrast zu der rauen Welt der Zyklopen und der weitaus entwickelten, aber im tiefen Zwist gespalteten Gesellschaft von Ithaka stellt sich die Lebenswelt der Phäaken dar. Gegenseitige Rücksichtnahme zwischen den Bewohnern von Scheria, so heißt der idyllische Ort, gepaart mit zivilisierten Umgangsformen gegenüber Fremden bestimmen das politische Ambiente eines Gemeinwesens, das ziemlich irreal wirkt, weil all die bisher bemängelten Negativerscheinungen wie List, Tücke, Gier oder Anarchie fehlen. Eine prächtige Stadt mit soliden Behausungen beherbergt ein zufriedenes Volk, das sich um seine Führungsschicht reiht. Homer hat die als Polis erkennbare, wohlgeordnete Phäakenstadt folgendermaßen beschrieben: Aber wenn wir die Stadt betreten, den Kranz ihrer hohen Türme – der schöne Hafen umschließt die Stadt auf zwei Seiten, schmal ist ihr Zugang; doppelt geschweifte Schiffe umsäumen sichernd den Weg; denn für alle und jeden liegt dort ein Standplatz. Weiter der Marktplatz, rund um den schönen Tempel Poseidons, festgefügt mit Steinen im Boden, die weither man holte.37

Wie im Land, wo Milch und Honig fließen, begegnen uns hier ein alter, weiser Regent (Alkinoos) und seine ebenso kluge und tugendhafte Gattin (Arete). Wie die gute Fee im Märchen heißt ihre Tochter Nausikaa den gestrandeten Odysseus willkommen. Sie führt den schutzbedürftigen Fremdling in das Haus ihrer Eltern, wo er Hilfe und Geborgenheit erfährt, ja sogar wertvolle Gastgeschenke erhält. Gesellschaftliche Ereignisse wie Wettkämpfe, Rezitationsabende oder Gastmähler prägen das gesellschaftliche Ambiente der Stadt der Phäaken. Ein Detail sollte man nicht unerwähnt lassen. Zwar bewirten die Herren des Phäakenlandes den schiffbrüchigen Odysseus aufs Großzügigste, sie lassen sich aber ihre Auslagen von der Gemeinschaft der Phäaken erstatten. Damit bekommt diese ideal gezeichnete, fast unwirkliche Welt einen Schuss Realismus, der sie halbwegs auf den Boden der Tatsachen zurückführt. Diese beiläufig überlieferte Begebenheit zeigt auch, dass Gastfreundschaft gegenüber Fremden als Gemeinschaftsaufgabe empfunden wurde, die alle Glieder der Gesellschaft anging und an der sich alle zu beteiligen hatten. Eine weitere Eigenschaft der Polis der Phäaken ist die vorherrschende Eintracht zwischen den Mächtigen. Sie liefert ein eindringliches Gegenbild zu den Verhältnissen auf Ithaka, der Heimat des Odysseus. Waren in Scheria Gastfreundschaft, gegenseitige Rücksichtnahme und Harmonie an der Tagesordnung, so ist der Alltag bei den Freiern der Penelope von Rivalität, Missbrauch der Gastfreundschaft und Rücksichtslosigkeit erfüllt. Offenbar wird die Polis der Phäaken als idealer Gegenentwurf zum grauen gesellschaftlichen Alltag der meisten griechischen Städte des 8. Jahrhunderts v. Chr. gezeichnet. Sie erscheint als Sinnbild einer der ersten politischen Utopien unseres Kulturkreises.

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