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Alpenübergang

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Kaum eine andere Episode aus dem Altertum hat so viel Aufsehen erregt wie die Überquerung der Alpen durch Hannibals Truppen im Spätherbst des Jahres 218 v. Chr. – als er damit seine tollkühne Expedition nach Italien einleitete, um die mächtigste Stadt des Mittelmeerraumes herauszufordern.102 Bald entstand ein suggestives Bild des Wagemutes: Eine Masse entschlossener Kämpfer erzwang sich, dank ihres charismatischen Führers, den Zugang zu ihrem Zielgebiet, indem sie den rauen Kräften der Natur trotzte und das schier Unmögliche erstaunlich problemlos bewältigte. Die majestätischen Kolonnen einer Armee, die von Elefanten flankiert immer tiefer in unheimliche Gebirgsregionen vordrangen, riefen Erstaunen und Bewunderung hervor. So entstand ein Mythos, der sich wie eine weitere Tat des Herakles in die Hannibalbiographie einreihen ließ und von der Exzeptionalität der Situation und ihren Paradoxien lebte: Tiere aus der afrikanischen Savanne stießen auf einem von Schnee und Eisglätte umsäumten Weg vor, numidische Wüstenreiter bezwangen die schwer zugänglichen Pässe einer winterlichen Hochgebirgslandschaft. Daher wundert es nicht, wenn die vorhandenen Berichte eine Fülle dramatischer Wendungen bieten und die historische Rekonstruktion der Tat hinter einem Nebelvorhang der Phantasie zu verschwinden droht. Die zuverlässigsten Informationen hat Polybios aufbewahrt, der die Notizen des Silenos, eines Teilnehmers an der Expedition und des Sosilos verarbeitete.103 Sie können höhere Glaubwürdigkeit beanspruchen als die Aufzeichnungen des Livius, die von literarischen Reminiszenzen stark überwuchert sind.104 Auffallend bleibt jedenfalls das hohe Tempo der gesamten Unternehmung.

Nach Überwindung der Pyrenäen zog Hannibal an der Rhône entlang vorbei an Montelimar Richtung Valence. Dann bog er nach Osten ab Richtung Grenoble, indem er dem Flusslauf der Isère folgte. Als die Alpenregion erreicht war, begann der Aufstieg, wahrscheinlich über den Mont Cenis. Der Aufenthalt im Hochgebirge war eine Tat, die an die militärischen Leistungen Alexanders, besonders an seinen Zug durch Baktrien (Hindukusch) erinnerte. Sie wurde schon im Altertum mit Hochachtung registriert, und bald rankten sich Legenden um sie. Die Fakten sind viel nüchterner: Trotz der Novität der Aufgabe führte Hannibal sein Heer verhältnismäßig rasch nach Italien. Dabei konnte er sich der Hilfe einiger keltischer Stämme versichern, die ihm Weggeleit und Verpflegung gaben. Andere Gebirgsstämme wie die Allobroger blieben feindlich gesinnt und bedrängten die karthagischen Marschkolonnen, die sich dagegen zur Wehr setzten. Große Mühen bereitete vor allem der Abstieg aus dem Hochgebirge; hier wurden die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Zwar erlitt das karthagische Heer schmerzliche Verluste, aber seine Kampfkraft hatte nicht wesentlich darunter gelitten, was vor allem der gründlichen Vorbereitung der gesamten Unternehmung zuzuschreiben ist.105 Am schlimmsten erging es den Elefanten, von denen die meisten den anstrengenden Marsch und die harte Witterung nicht überlebten. In den weiteren Zügen Hannibals spielten sie keine Rolle mehr. Nach Überquerung der Alpen gelang es binnen kurzer Zeit, die karthagische Armee wieder auf nahezu volle Kampfstärke zu bringen106, denn Hannibal erhielt rasch Verstärkung von den mit Rom verfeindeten Kelten.107 In etwa acht Wochen hatte er die Strecke von der Rhône bis zur Poebene bewältigt; mittlerweile war es Ende Oktober geworden.

Hannibal war nicht der erste gewesen, der sich auf diese Herausforderung einließ, denn lange zuvor hatten verschiedene keltische Völkerscharen die Alpenpässe in kriegerischer Absicht mehrfach bezwungen; es ist anzunehmen, dass die karthagischen Kundschafter aus diesen Erfahrungen Lehren zogen. Denn die logistische Umrahmung der Unternehmung war zweifellos bemerkenswert: Depots mit Vorräten und Hilfsmittel waren entlang des Weges vorsorglich angelegt worden und mit den meisten gallischen Stämmen wurden Absprachen getroffen, damit sie den Durchzug des karthagischen Heeres ermöglichten. Etwa zehn Jahre später wird Hannibals jüngerer Bruder Hasdrubal Ähnliches leisten, als er eine Armee von Hispanien nach Oberitalien in kürzester Zeit verlegte. Doch darüber wird in der antiken Überlieferung kaum gesprochen werden, obwohl die Leistung Hasdrubals der seines Bruders in nichts nachstand. Den Ruhm dieser keineswegs einmaligen Tat, die in die historische Erinnerung einging und bis auf unsere Tage das Bild Hannibals entscheidend prägt, erntete ausschließlich der ältere Bruder. Sein legendärer Alpenübergang wird noch zu dessen Lebzeiten zum wesentlichen Baustein seines Mythos.

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