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Numantia

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Die in der zentralhispanischen Hochebene liegende, zum Stamm der Arevaker gehörende Siedlung Numantia wurde schon im Altertum legendär. Sie verkörpert einerseits das Musterbeispiel eines grausigen, asymmetrischen Krieges, andererseits steht sie als Symbol für die Selbstbehauptung einer weit entlegenen Provinzstadt gegenüber den Anfechtungen einer Weltmacht, die im Zuge dieser Auseinandersetzungen in eine schwere politische Krise abgleiten wird. Als Synonym für bedingungslose Opferbereitschaft und für den Widerstand gegenüber einem weit überlegenen Kontrahenten lebt dieser Name in der spanischsprachigen Kulturwelt bis in die Gegenwart fort.120

Die Ursachen dieses Konflikts, der in einem erbarmungslosen Vernichtungsfeldzug mündete, liegen im Wesen der römischen Provinzialpolitik begründet, die nach der Mitte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts einen unrühmlichen Höhepunkt in Sachen Unerbittlichkeit und Perfidie erreichte.121 Trotz zahlloser Bemühungen konnten die Consuln Nobilior, Pompeius, Laenas, Mancinus, Lepidus, Furius und Piso der widerspenstigen Stadt nicht Herr werden, die ihnen skandalöse Niederlagen zufügte, womit das imperiale Ehrgefühl tief verletzt wurde. Die für das Ansehen Roms völlig verfahrene Situation änderte sich erst, als die Leitung der Operationen dem Zerstörer Karthagos, Scipio Aemilianus (Enkel des Siegers über Hannibal, Sohn des Eroberers Makedoniens) übertragen wurde. Der erfahrene Feldherr disziplinierte die demoralisierten Legionen und mobilisierte eine gewaltige Truppenmacht, die den Ort hermetisch abriegelte. Dennoch lieferten die numantinischen Verteidiger, von Hunger und Entbehrungen geschwächt, einen zähen, aber aussichtslosen Widerstand gegen die haushoch überlegenen Belagerer. Nach der Einnahme der Stadt erfolgte ihre Brandschatzung und Verwüstung als Warnung an andere Gemeinschaften, die ähnliche Unabhängigkeitsgedanken hegten. Vor allem der brutale Ausgang der Konfrontation, die eklatante Disproportion zwischen beiden Rivalen, die Unverhältnismäßigkeit der Mittel, sowie die Unbeugsamkeit der einen und die Arroganz der anderen Seite, verliehen der Situation ihre besondere Schärfe und Dramatik. Wie konnte es soweit kommen?

Die entscheidende Phase des Numantinischen Krieges eröffnete der Consul Quintus Caecilius Metellus Macedonicus, ein erprobter Heerführer, der während des Jahres 142 v. Chr. die Rebellion der Lusonen, Belli, Titii und Arevaker niederschlug.122 Er eroberte Centobriga und Contrebia, rückte anschließend in die Gebiete der Arevaker vor, wo sich Numantia und Termantia, beide gut befestigt, widersetzten. Da er kein Befürworter extremer Maßnahmen war, behandelte er die Unterworfenen taktvoll. Abgeschreckt durch den Misserfolg des Nobilior, der Numantia zuvor vergeblich belagert hatte, verzichtete Metellus darauf, die Festung der Arevaker frontal anzugreifen und verschob die Eroberung auf einen späteren Zeitpunkt, um das Risiko eines Scheiterns zu umgehen. Er begab sich dann in die Winterquartiere im Tal des Jalón, wo er unterwegs die umliegenden Ländereien verwüstete, um die Versorgung der Arevaker zu erschweren. Hier bereitete er sich auf die nächste Offensive vor, die er mit der Unterwerfung der widerspenstigen Arevaker abzuschließen gedachte. Doch es kam anders als vorgesehen. Auf Betreiben des Quintus Pompeius weigerte sich der Senat, die Statthalterschaft des Metellus zu verlängern, der so die Gelegenheit entschwinden sah, in Hispanien zu triumphieren. Pompeius, Consul des Jahres 141 v. Chr. und Befehlshaber eines großen Heeres, handelte anders als sein behutsamer Vorgänger. Er ließ seine Legionen vor Numantia aufmarschieren und griff unverzüglich an. Aufgrund seiner Unerfahrenheit und wegen der Überstürzung des Vorstoßes erlitt er einen Rückschlag. Von den Arevakern bedrängt, musste Pompeius eilends abziehen und sein Vorhaben aufgeben. Um den Fehlschlag zu kompensieren, wandte er sich Termantia zu, in der Annahme, die Einnahme dieses Ortes sei eine einfachere Aufgabe. Auch hier erlitt er eine Niederlage, die zusätzlich verschlimmert wurde durch die Verfolgung seines Heeres durch die Arevaker, die ihm unzählige Verluste zufügten.123 Da sich seine Amtszeit dem Ende neigte, führte er seine Truppen zum Überwintern an die Ostküste Iberiens. Trotz seiner indiskutablen Leistungen wurde sein Mandat dennoch um ein weiteres Jahr verlängert. Erneut wurde Numantia das Ziel des Statthalters, der dieses Mal allerdings darauf verzichtete, einen Frontalangriff gegen die Stadtmauern auszuführen. Er verlegte sich auf die Belagerung des Ortes. Das ungünstige Wetter und die anhaltenden Ausfälle der Numantier zwangen Pompeius zum Rückzug. Unmittelbar darauf griff die Demoralisierung der Truppe um sich, zumal sich die meisten Legionäre seit Jahren ununterbrochen im Dienst befanden. Ihre Motivation und Kampfstärke sanken auf alarmierende Werte. Angesichts der geringen Erfolgsaussichten und auch, um das Scheitern der Expedition zu kaschieren, begann Pompeius, mit den Numantinern zu verhandeln, was er in Rom als diplomatischen Erfolg ausgab. Um die Vereinbarung zu besiegeln, reiste eine Senatskommission nach Hispanien, welche Geiseln, die Übergabe der Gefangenen und der Deserteure sowie einen Tribut forderte. Die von den Entbehrungen des Krieges erschöpften Numantiner akzeptierten die Bedingungen und streckten Pompeius die Hälfte der verlangten Summe vor. Am Ende werden jedoch alle diese Bemühungen fruchtlos bleiben. Denn der Senat, vom Clan der Servilii Caepiones und von Metellus beeinflusst, der eine offene Rechnung mit Pompeius hatte, lehnte die Übereinkunft ab und bestand auf der bedingungslosen Kapitulation (deditio). Da sie verweigert wurde, beauftragte er den Consul Marcus Popillius Laenas mit der Fortführung der Operationen (139 v. Chr.). Die ergriffenen Maßnahmen des neuen Befehlshabers blieben aber ebenso wirkungslos, wie die des Pompeius. Er kehrte Ende des Jahres 138 v. Chr. nach Rom zurück, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Daraufhin übernahm der neugewählte Consul des Jahres 137 v. Chr., Gaius Hostilius Mancinus, die Leitung der Operationen. Seine Amtsführung, die noch demütigender werden sollte als das ohnehin ruhmlose Vorgehen seiner unmittelbaren Vorgänger, lässt sich nur mit der Schande vergleichen, die Rom Jahrhunderte zuvor gegen die Samniten an dem Caudinischen Joch erdulden musste.124

Als Mancinus vor Numantia erschien, ließ er, beeindruckt von den Gerüchten, dass andere hispanische Stämme den Numantinern zu Hilfe eilten, sämtliche Eroberungsabsichten fallen.125 Die Initiative des Feldzuges glitt ihm aus den Händen. Von nun an beschränkte er sich darauf, sich zu verschanzen und zu schützen vor einem allerdings an Zahl und Ausrüstung weit unterlegenen Gegner. Als er nachts an der Spitze eines großen Heeres den Rückzug vor Numantia antrat, setzten ihm die Arevaker in einer engen Talschlucht zu und brachten ihm herbe Verluste bei, die etwa die Hälfte seiner Truppenstärke ausmachten. Die Überlebenden, von den Feinden eingekreist, standen kurz vor der Vernichtung. Durch Vermittlung des Quästors Tiberius Sempronius Gracchus, Sohn des gleichnamigen Statthalters des Jahres 180 v. Chr., der sich den Ruf der Rechtschaffenheit erworben hatte, traten die Numantiner in Friedensverhandlungen mit Mancinus ein. Dabei gelang es, die eingeschlossenen Legionäre vor dem vorhersehbaren Gemetzel, das ihnen drohte, zu bewahren. Als die Kunde davon in Rom eintraf, war die Empörung gewaltig. Der Senat, erzürnt über die Handlungsweise des Mancinus, entfernte ihn aus dem Amt und weigerte sich entschieden, die mit den Arevakern geschlossene Abmachung anzuerkennen. Daraufhin wurde der Consul Marcus Aemilius Lepidus nach Hispanien gesandt und mit der Leitung des numantinischen Feldzuges betraut. Indes spaltete die Diskussion um Mancinus’ Vertrag die politische Elite Roms. Die Verteidiger des Abkommens, wie Gracchus, führten zu seinem Vorteil die Rettung des Heeres an, sein Schwager Scipio Aemilanus, einer der Gegner des Paktes, hob dagegen die demütigenden Begleitumstände seines Abschlusses hervor. Während in Rom über die Gültigkeit des Abkommens debattiert und auf das Ergebnis des Prozesses gegen Mancinus gewartet wurde, verzichtete der neue Statthalter darauf, Kampfhandlungen gegen Numantia einzuleiten. Lepidus, ein ebenso schlechter Truppenführer wie seine unmittelbaren Vorgänger und erpicht darauf, sich einer reichen Beute zu bemächtigen, nahm die Belagerung von Pallantia in Angriff, weil er dort erhebliche Reichtümer vermutete. Er unternahm diese Aktion gegen den ausdrücklichen Willen des Senates, der nach den in Numantia erlittenen Fehlschlägen zur Vorsicht mahnte. Von den Schwierigkeiten der Operation überfordert, sah sich Lepidus gezwungen, den Rückzug seiner Legionen aus Pallantia anzuordnen, die nun von den Belagerten angegriffen wurden und in höchste Not gerieten. Dank einer Mondfinsternis konnten sich die Einheiten von Lepidus gerade noch in Sicherheit bringen. Die Leistungen des Lepidus erwiesen sich als ebenso mangelhaft wie diejenigen des Mancinus. Der Senat, verärgert über seine dilettantische Kriegsführung, ersetzte ihn noch vor Ablauf seiner Amtszeit durch den Consul Lucius Furius Philus (136 v. Chr.). Nun fand die groteskeste Szene des gesamten Krieges statt. Der Senat, der die Gültigkeit der Vereinbarung, die Mancinus mit den Numantinern ausgehandelt hatte, nie anerkannt hatte, machte diesen für alle Fehlschläge des Feldzuges verantwortlich. Eskortiert von Furius, Metellus und Pompeius verwandelte sich Mancinus zum Protagonisten einer archaischen Zeremonie, die sich vor den Mauern Numantias abspielte. Er wurde nackt und mit gebundenen Händen seinen Feinden ausgeliefert. Die Numantiner, von dem düsteren Spektakel erstaunt, das sich vor ihren Augen zutrug, weigerten sich, ihm die Tore ihrer Stadt zu öffnen. Mancinus, der einen ganzen Tag diese unerhörte Demütigung aushielt, sah sich gezwungen, zum römischen Lager zurückzukehren.126 Der Krieg wurde weiter fortgesetzt. Furius und sein Nachfolger, Quintus Calpurnius Piso, der Consul des Jahres 135 v. Chr., taten nichts Erwähnenswertes an der numantinischen Front. Nach einem 9-jährigen Krieg lagen das Prestige und der Kampfgeist der römischen Legionen am Boden, und Numantia, obwohl zwar erschöpft, war noch weit davon entfernt, sich zu unterwerfen.127

Die letzte Phase der numantinischen Tragödie begann mit einem erbitterten Streit in Rom. Publius Cornelius Scipio Aemilianus, der Zerstörer Karthagos, ein dezidierter Vertreter einer unnachgiebigen Linie, wurde trotz Vorbehalten des Senates zum Consul gewählt und mit der Beendigung des leidigen Krieges beauftragt.128 Als Verstärkung der hispanischen Legionen konnte Scipio mit den Freiwilligen rechnen, die sich der Expedition anschlossen, sowie mit der Unterstützung seiner zahlreichen Gefolgsleute. Das wichtigste Kontingent kam aus Numidien. In seinem Heerlager befand sich eine Reihe von Persönlichkeiten, die mit der Zeit Berühmtheit erlangen sollten: Polybios von Megalopolis, Chronist der Expansion Roms, die römischen Historiker Publius Rutilius Rufus und Sempronius Asellio sowie der Dichter Lucilius; auch der numidische Prinz Jugurtha, der später zum unversöhnlichen Feind Roms mutierte und vom legendären Gaius Marius besiegt werden sollte, der ebenfalls in den Reihen Scipios kämpfte, sowie Gaius Sempronius Gracchus, Gaius Memmius und Fabius Maximus, Scipios leiblicher Bruder, der sich in der Vergangenheit in den Kämpfen gegen Viriathus hervorgetan hatte, sowie sein Sohn Quintus Fabius, der zukünftige Sieger über den gallischen Stamm der Allobroger. Scipio erreichte Anfang des Jahres 134 v. Chr. Hispanien. Seine ersten Maßnahmen waren darauf gerichtet, das Selbstvertrauen einer durch die erlittenen Niederlagen traumatisierten Armee wiederherzustellen. Er verbannte jegliche Form von Luxus aus dem Feldlager und erhöhte drastisch die militärische Disziplin.129 Nach Abschluss seiner umfangreichen Vorbereitungen führte er ein gewaltiges Heer vor die Mauern Numantias.130 Im Herbst 134 v. Chr. begann die Belagerung. Scipio verteilte seine Truppen auf zwei befestigte Lager. Er umzingelte den Platz und auf den Zeitfaktor setzend, hoffte er Numantia mit Geduld durch den Hunger zu bezwingen. Wie er es bereits in Karthago getan hatte, ließ er ein undurchdringliches Belagerungssystem errichten. Neben die zwei großen Hauptlager kamen fünf weitere kleine Bastionen. Er etablierte eine dichte Kommunikationskette zwischen ihnen über eine Mauer von 4 Metern Höhe, die mit einem Graben und einem Palisadenzaun verstärkt wurde. Außerdem setzte er ein Alarmsystem ein, das mit optischen Signalen ausgestattet war, um nächtliche Angriffe der Belagerten zu verhindern. Hinzu kamen hunderte von hölzernen Türmen, auf denen er seine Sturmgeschütze aufstellte. Die Numantiner, entsetzt von dieser furchteinflößenden Zurschaustellung militärischer Macht, verschanzten sich in ihrer Stadt hinter dem Schutz ihrer immer poröser werdenden Mauern. Sie litten zunehmend Hunger und Durst. Schließlich, nach 15 Monaten unglaublicher Entbehrungen, waren sie zur Kapitulation bereit. Diejenigen, die ihre Waffen auslieferten, erhielten eine Frist von zwei Tagen, um sich zu ergeben. Angesichts der Aussicht auf Gefangenschaft und Sklaverei wählte ein Teil der Bevölkerung den freiwilligen Tod. Als die römischen Legionen schließlich in die Stadt einmarschierten, fanden sie ein schreckliches Panorama vor: allenthalben Zerstörungsspuren und Berge von Leichen. Scipio brannte die Stadt ab und hinterließ ein Ruinenfeld. Numantia hatte aufgehört, zu existieren.131

Damit endete einer der schmählichsten Feldzüge der römischen Geschichte (133 v. Chr.). Nachdem die Verbündeten der Numantiner bestraft wurden, verließ Scipio die Iberische Halbinsel in Richtung Rom, um einen Triumph zu feiern. Zu dem Beinamen Africanus gesellte sich nun Numantinus hinzu. Bekanntlich konzentrierte sich das Interesse der antiken Autoren auf die Errungenschaften (res gestae) einiger außergewöhnlicher Individuen, welche die politische Szenerie Roms beherrschten. Ohne Zweifel gehörte Scipio dazu. Die Kapitel, die Polybios der hispanischen Geschichte widmet und die Texte jener Autoren, die ihm folgen, kreisen hauptsächlich um die Taten dieser Akteure. Würden wir über so reichliche Informationen über den numantinischen Krieg verfügen, wenn Scipio nicht in ihn eingegriffen hätte? Wohl kaum. Obwohl Scipios hispanischer Feldzug bar jeder militärischer Genialität war und durch die erdrückende Überlegenheit eines erfahrenen Schlächters endete, vielmehr einer absurden Vernichtungsexpedition glich, wird er in den Quellen als lobenswertes Unterfangen dargestellt. Je mehr die antiken Autoren seine Ruhmestaten verherrlichten, desto größer wurde die Bedeutung des von ihm erwählten Ziels. Die Superlative, mit denen Scipio bedacht wurde, wurden ebenfalls auf Numantia übertragen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die Überlieferung der numantinischen Episode, undenkbar ohne Scipio, den Blick auf die ihr vorausgehenden Ereignisse überdeckt hat. Die Relevanz anderer Orte wie Segeda, Cauca, Pallantia oder Termantia, die ohne Zweifel eine der untergegangenen Stadt der Arevaker vergleichbare historische Rolle gespielt haben, wird auf diese Weise kleingeschrieben und vom Glanz des scipionischen Sieges überschattet. Ebenso wie Scipios wird Numantias Bedeutung großgeschrieben. Durch das Hervorheben der einzigartigen Unbeugsamkeit der Stadt erfährt die unvergleichliche Tugend seines Bezwingers eine Verstärkung. In der Perspektive der antiken Historiker, die diesen Prozess nacherzählten, war die Geschichte der römischen Weltreichsbildung gleichzusetzen mit der Geschichte der großen Männer, die sie vollbracht hatten: Innerhalb dieser erlauchten Ahnengalerie römischer Zelebritäten nahm Publius Cornelius Scipio Aemilianus einen prominenten Platz ein.

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