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Orient und Okzident als antithetische Größen

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Seit Kyros, der Begründer des Achaimenidenreiches, Lydien und die ionischen Städte Kleinasiens um 545 v. Chr. unter seine Herrschaft brachte, fiel der Schatten der persischen Weltmacht auf die Stammesgesellschaften des Balkanraumes und auf die griechische Poliswelt.132 Um den eigenen Standort in dieser gewandelten politischen Landschaft zu bestimmen und das gesteigerte Interesse der Nachwelt an den folgenreichen Vorgängen zu befriedigen, errichtete der griechische Historiker Herodot mit der Rekonstruktion der Geschichte der Ost-Westbeziehungen dieser Begegnung ein beeindruckendes schriftstellerisches Denkmal.133 Es war nach den Epen Homers das grandioseste und eines der am meisten verbreiteten Werke der griechischen Literatur. Beide Autoren befassen sich mit dem Kampf zwischen europäischen und asiatischen Völkern. Während bei Homer keine Spuren einer antagonistischen Ost-West-Dualität auftauchen, verkörpern für den im Perikleischen Zeitalter lebenden Herodot Orient und Okzident, Perser und Griechen, bereits klar umrissene, sich politisch und kulturell gegenüberstehende Antipoden, beziehungsweise geopolitische Antithesen. In der Publizistik des 4. Jahrhunderts v. Chr. verfestigte sich dieser Gegensatz zum chauvinistischen Bild des der griechischen Zivilisation haushoch unterlegenen dekadenten Orientalen, der zum Prototyp des Barbaren schlechthin verkam. Selbst hochrangige Intellektuelle wie Isokrates, Plato oder Aristoteles scheuten sich keinesfalls, derartige aus Feindbildern gestrickte Gemeinplätze kritiklos zu verbreiten.134

In diesem Kontext gehört die von Herodot135 überlieferte Debatte über die beste Staatsordnung, die am persischen Hof anlässlich der Erhebung des Dareios zum König stattgefunden haben soll. Die ausgetauschten Argumente verdeutlichen die politischen Vorstellungen der persischen Großen, in deren Händen die Entscheidung über die Zukunft ihres Weltreiches lag. Bei Herodot wird die Kontroverse durch die von Dareios gestellte Frage entschieden: Wie ist das Perserreich frei geworden? Wer hat ihm Freiheit gegeben? Das Volk, die Oligarchie oder die Monarchie? Ich bin der Überzeugung, dass wir durch einen Mann die Freiheit bekommen haben; an ihr müssen wir festhalten.136

Nicht unbedingt die besseren Argumente, sondern der Verweis auf die Vergangenheit wurde ausschlaggebend. Das Königtum des Kyros hatte einst die Freiheit der Perser begründet, das des Dareios sollte nun ihren Fortbestand sichern. Freiheit wird hier nicht als individuelle Wertvorstellung, sondern als eine dem gesamten Perservolk zugutekommende Befreiung vom Joch der benachbarten Meder gesehen. Sie galt als Verdienst der mit dem Reichsgründer Kyros untrennbar verbundenen monarchischen Regierungsform. Den charismatischen Aspekt der Achaimenidenherrschaft berührte Herodot dagegen kaum. Vielmehr konzentrierte sich sein Blick auf die für die Griechen spürbaren Auswirkungen der persischen Weltreichsbildung. Daher wurden die militärischen Leistungen der Achaimeniden, die das bis dahin größte Staatsgebilde der Antike geschaffen hatten, von den Griechen durchaus gewürdigt. Ebenso wurden diese Erfolge als Vorzüge der monarchischen Staatsform vermerkt. Dennoch hielt dies die Griechen nicht davon ab, die Machtstellung des persischen Königs als eine der Tyrannis ähnliche, uneingeschränkte Herrschaft zu betrachten. Daher bleibt das Urteil über die persische Regierungsform gespalten. Neben Anerkennung ihrer Vorzüge lässt sich auch eine deutliche Ablehnung der für Polisbürger anrüchigen Alleinherrschaft vernehmen. Ein Musterbeispiel dafür ist Herodots köstliche Anekdote über die Erlangung der Königswürde durch Dareios. Hier ein Auszug davon: Wegen des Königtums beschlossen die Perser Folgendes: Wessen Pferd als erstes bei Sonnenaufgang vor der Stadt wiehere, wenn sie aufgestiegen seien, der sollte die Königsherrschaft erhalten (…). Gleich bei Anbruch des Morgens waren die sechs Bewerber, wie verabredet, zu Pferde zur Stelle. Als sie vor der Stadt hin und her ritten und an die Stelle kamen, wo in der vergangenen Nacht eine Stute gebunden war, da wieherte das Pferd des Dareios, als es hinzukam. Zur gleichen Zeit, als das Pferd dies machte, fielen ein Blitz und ein Donner aus hellem Himmel. Dieses Geschehen, das für Dareios hinzukam, bestätigte ihn, wie wenn es nach einer gewissen Verabredung geschehe. Die anderen aber sprangen von den Pferden und verehrten Dareios fußfällig.137

Dieses für nichtpersische Betrachter barbarische Spektakel war wenig dazu angetan, eine positive Einschätzung der persischen Monarchie zu vermitteln.138 Es lag den Griechen fern, die absolute Machtstellung des persischen Königs als Freiheit (eleutheria) zu begreifen. Die Anlage des herodoteischen Werkes lässt deutlich werden, dass das Schema eines unter despotischer Herrschaft stehenden Ostens einerseits und der selbstbestimmten politischen Ordnung der Poliswelt andererseits die Grundüberzeugung der griechischen Weltsicht bildete.139 Im Dialog zwischen dem Perserkönig Xerxes und dem Spartaner Demaratos hat Herodot dem Dualismus zwischen den orientalischen Regierungspraktiken und der griechischen eleutheria ein Denkmal gesetzt.140 Diesem Idealbild bürgerlicher Tugenden, wie es die griechischen Autoren propagandistisch verkündeten, stand die bewusst zur Schau getragene Herrscherattitüde der Achaimenidenkönige gegenüber, die ein Bestandteil ihres politischen Selbstverständnisses darstellte. In der prachtvollen Residenz Persepolis, die ideelle Mitte des Perserreiches und Hort der monarchischen Repräsentation, ist sie steinerne Wirklichkeit geworden, wie die nachstehende Abbildung verdeutlicht.

Im Vordergrund des Monumentalfrieses, der sich im Bereich des Palastes von Persepolis befindet, steht der Perserkönig. Er sitzt hieratisch steif und unbewegt auf einem reich verzierten Thron, erhaben über seine Untertanen. Nicht einmal seine Füße, die auf einem Schemel ruhen, berühren den Boden. In seiner Rechten hält er ein langes Zepter, eine runde Krone trägt er auf dem Haupt. Er allein sitzt, während sein Gefolge auf deutlich abgestufter Ebene in Bereitschaft steht, Wächter mit Speeren, offenbar die Leibwache, in Front zum König paradieren und einen Bittsteller vorlassen, der leicht gebückt mit der Hand vor dem Mund in ehrfurchtsvollem Gestus zur Audienz an den König herantritt. Die Distanz wird deutlich gewahrt durch zwei Feueraltäre, die beide Figuren räumlich trennen. Abgehoben über die übrigen, genau in die Mitte gestellt und von den Augen aller anvisiert, bildet der König der Könige den inhaltlichen Schwerpunkt der Bildkomposition, eine Tatsache, die durch die sorgfältige Ausgestaltung von Kleidung (Umhang, Stiefel), Insignien (Zepter, Krone) und Haartracht (langer Bart in karoartiger Maserung) unterstrichen wird. Einzig der hinter Dareios’ Thron sich befindende Kronprinz Xerxes erreicht ihn, obzwar stehend, an Wuchs und trägt eine vergleichbare Königstracht. Ähnliche Reliefs, auf denen höfische Zeremonien wiedergegeben werden, finden sich im Ausgrabungsgelände von Persepolis zuhauf.141 Sie sind Ergebnis einer langen Tradition von Herrscherbildern, die der persischen Repräsentationskunst durch die Vermittlung von Assur und Babylon verfügbar gemacht wurden.142

Solche inszenierten Szenen verkündeten nicht nur politische Botschaften, sondern verdeutlichen zugleich Differenzen zwischen konkurrierenden Regierungssystemen und Wertvorstellungen. Durch Betonung der jeweiligen Wertigkeiten werden die darunter schwelenden Gegensätze sichtbar. Eine klassische literarische Würdigung des Antagonismus zwischen der persischen Königsmacht und dem griechischen Bürgersinn entnehmen wir der Tragödie Die Perser des athenischen Dichters Aischylos.143 Im berühmten Traum der persischen Königsmutter Atossa erscheinen zwei Frauengestalten, die vor den Wagen des Xerxes gespannt werden: Eine von ihnen fügt sich in ihr Los und zieht den Wagen weiter, während die andere, als Griechin erkennbar, aufbegehrt und den Wagen zum Stürzen bringt. Hier ist der unmittelbare zeitgeschichtliche Bezug wirksam geworden. Der Stolz auf die eigene freiheitliche Verfassung und das gestärkte politische Selbstbewusstsein nach der erfolgreichen Abwehr der Perser nährten den Boden, auf dem sich ein solcher Dualismus entfalten konnte. Auf die Frage der Atossa: Wer ist als Gebieter über ihnen (über die Athener) und wer befiehlt dem Heer? erfolgt die Antwort: Keines Mannes Knechte oder Untertanen heißen sie.144


Der sitzende König der Könige Dareios, Monumental-relief aus dem Schatzhaus des Palastes von Persepolis

Der Vergleich zwischen demokratischem und monarchischem Regierungssystem schlägt bei Aischylos zum Nachteil der Autokratie aus. Die unter dem nomos Athens stehenden gleichberechtigten Bürger kontrastieren stark mit den der uneingeschränkten, herrschaftlichen Gewalt des Königs der Könige gehorchenden Persern. Eine besondere Wirkung erreichte Aischylos dadurch, dass er neben den vielen namentlich bezeichneten Personen auf die Individualisierung der griechischen Akteure verzichtete, um den politischen Egalitätsgedanken zu akzentuieren. Nicht Themistokles oder Leonidas wurden auf der öffentlichen Bühne als Leistungsträger des Gemeinwesens gefeiert, sondern die namenlose Bürgerschar, die durch ihr gemeinsames Bemühen den Sieg über die Anmaßung eines barbarischen Feindes davongetragen hatte, erhielt das höchste Lob. Dadurch wird die Polis als die Summe aller Bürger in eine mythische Sphäre erhoben und verklärt.145 Die unausgesprochene Botschaft solcher Texte ist klar: Barbaren waren zu derartigen Errungenschaften nicht fähig.

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