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Barbaren des Westens

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Galten die Perser den Griechen als die Barbaren des Ostens, so übernahmen im Westen diese Rolle die jeweiligen Gegner, die sich den Römern in den Weg stellten, womit sich zeigen lässt, dass die Barbarenvorstellungen der antiken Völker untrennbar mit der Konstruktion von Dualismen und Feindbildern verknüpft sind. Den Anfang machten die Karthager. Das von Livius überlieferte Kurzporträt Hannibals bringt dies auf den Punkt, wenn es dort über ihn heißt: Er war kühn, wenn es galt, gefährliche Aufträge zu übernehmen, und in den Gefahren erwies er sich sehr besonnen. Keine Anstrengung konnte seinen Körper ermüden und seinen Mut besiegen. Hitze und Kälte ertrug er gleich gut, die Menge seiner Speisen und Getränke wurde vom natürlichen Bedürfnis, nicht von der Genusssucht bestimmt (…). Seine Kleidung hob sich von der seinesgleichen keineswegs ab. Dagegen fielen seine Waffen und Pferde auf. Er war der beste Soldat zu Pferd und auch zu Fuß. Als erster zog er in den Kampf, als letzter verließ er das Schlachtfeld. Diesen so großen Tugenden hielten übergroße Laster die Waage: Eine unmenschliche Grausamkeit, eine mehr als punische Treulosigkeit. Nichts galt ihm Wahrheit, nichts war ihm heilig. Götterfurcht kannte er nicht, ein Eid war ihm bedeutungslos, und er empfand keinerlei religiöse Bindung.146

Bemerkenswert an derartigen Einschätzungen ist, dass neben der Hervorhebung der unbestreitbaren Qualitäten des legendären Karthagers (sie ließen sich schlechterdings kaum leugnen), ein Schatten auf seine charakterliche Eignung fällt. Indem Hannibal mangelnde Religiosität attestiert und sie implizit mit der Vorbildlichkeit der Römer in sakralen Angelegenheiten kontrastiert wird, soll das unzivilisierte Verhalten des so negativ Gezeichneten hervorgehoben werden. Gleichwohl kündet das livianische Verdikt von der Ratlosigkeit der Römer angesichts des mittelmeerumspannenden Gewitters, das sich über der von Hannibal bedrohten Stadt zusammenbraute. Dass die Wucht der karthagischen Militär- und Propagandaoffensive keineswegs ungehört verhallte, beweist die Reaktion der Römer. Unter dem Druck der Verhältnisse sahen sie sich gezwungen, Stellung zu beziehen. Quintus Fabius Pictor, ein Zeitgenosse Hannibals, verfasste eine historische Abhandlung, die ganz von der Vorstellung erfüllt war, eine Chronik der Ereignisse aus römischer Sicht darzubieten.147 Er wollte die römische Position in diesem Krieg rechtfertigen, da sie Gefahr lief, ins Hintertreffen zu geraten. Welchen Adressatenkreis er dabei im Auge hatte, wird klar, wenn man bedenkt, dass dieses erste Geschichtswerk eines Römers in griechischer Sprache abgefasst wurde. Leider ist nur wenig davon im Original erhalten geblieben. Doch über Anlage, Argumentation und Intention dieses Werkes sind wir aufgrund einiger Bemerkungen des Polybios und des Dionysios von Halikarnassos unterrichtet. Daraus geht hervor, dass Quintus Fabius Pictor den Standpunkt vertrat, Rom führe ausschließlich gerechte Kriege zum Schutz der eigenen Bundesgenossen und sei daher den Karthagern moralisch überlegen. Aus diesem Grunde ist die römische Geschichtstradition von einem bisweilen bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Hannibalbild gekennzeichnet, das durch die verlorengegangene prokarthagische Überlieferung kaum noch zu revidieren ist. Erinnert sei etwa an die oben zitierten Worte des Livius, mit denen er Hannibal zu einem unberechenbaren Barbaren machte. Gegen diesen Gegner galt es, alle zur Verfügung stehenden Mittel aufzubieten. Die ideologische Strategie der Römer gipfelte in einer groben Polemik, mit der man den als Ausbund der Untreue und Lasterhaftigkeit charakterisierten Gegner verunglimpfte. Alles, was sich unter diesem Klischee subsumieren ließ, wurde aufgeboten und Hannibal und seinen Truppen angelastet. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet eine Passage des Livius, in der wir lesen können: Der punische Feind schleppt von den äußersten Küsten der Erde, von der Meerenge des Ozeans und den Säulen des Hercules Soldaten heran, die nicht einmal in Afrika heimisch sind und die kein Recht, keinen Vertrag, ja beinahe nicht die menschliche Sprache beherrschen. Diese Soldaten, die schon von Natur und Gewohnheit roh und wild sind, hat obendrein ihr Feldherr selbst zu wilden Tieren gemacht: Er ließ sie Brücken und Dämme aus aufgehäuften Leichen errichten und – man kann es nur mit Abscheu aussprechen – brachte ihnen bei, Menschenfleisch zu essen. Wer wollte es nicht verabscheuen, und wäre er in Italien auch nur geboren, wenn er Geschöpfe, die solch entsetzliche Speisen gegessen haben, die anzurühren schon eine Untat wäre, als Herren über sich anerkennen, sein Recht aus Afrika und Karthago holen und zulassen müsste, dass Italien eine Provinz der Numider und Mauren werde?148

Mit der Dämonisierung ihrer Rivalen verfolgten die Römer die Absicht, ihre eigenen Bundesgenossen, deren Bündnistreue durch die spektakulären Erfolge Hannibals auf eine harte Probe gestellt wurde, bei der Stange zu halten. Allein aus Furcht sollte ein mögliches Zusammengehen der römischen Verbündeten mit den Karthagern vermieden werden. Die Grobschlächtigkeit der römischen Kriegspropaganda lässt sich als Beleg dafür anführen, dass die Befreiungsideologie Hannibals nicht nur die kulturell den Karthagern nahestehenden Griechen, sondern auch manchen italischen Bundesgenossen der Römer ansprach und eine entsprechende Wirkung entfaltete.

Eine weitere, aufschlussreiche Variante des Barbarenmotivs lässt sich anhand der Berichterstattung über die Wechselfälle des 2. Römisch-karthagischen Krieges beobachten, wie das folgende Beispiel zeigt. Als nach der Katastrophe von Cannae der von Hannibal besiegte römische Consul Gaius Terentius Varro nach Rom zurückkehrte, soll er nach Livius wie folgt empfangen worden sein: Gerade in dieser Stunde der Not beseelte die Bürgerschaft eine so erhabene Gesinnung, dass sehr viele Menschen aller Stände dem Consul bei seiner Rückkehr trotz einer so schweren Niederlage, für die er selbst doch einen beachtlichen Teil der Verantwortung trug, entgegengingen und ihm dafür dankten, dass er den Staat nicht ganz aufgegeben habe. Als Heerführer Karthagos hätte er jede Strafe zu gewärtigen gehabt.149

Dieser nachträglich abgefasste Lagebericht dokumentiert jenseits des Pathos, der die Szene umschließt, eine unleugbare historische Realität: den römischen Selbstbehauptungswillen. Roms Widerstandskraft war nach Cannae keineswegs gebrochen. Ansonsten ist das in den Beteuerungen des römischen Historikers eingefangene Ambiente zu relativieren. Dem Leser soll der römische Großmut vorgeführt und die Solidarität der Römer in einer Notlage verdeutlicht werden und im Gegensatz dazu der Kleinmut der Karthager, ja ihre Perfidie angeprangert werden. Der Kontrast zwischen der Gelassenheit der römischen Politik dieser Tage, die dieser aus römischen Quellen stammenden Episode unterlegt ist, und der Wirklichkeit könnte jedoch kaum größer sein. Tatsächlich breitete sich auf die Nachricht vom Desaster bei Cannae Chaos und Panik in Rom aus. Die Furcht vor dem unmittelbaren Auftauchen Hannibals vor den Stadtmauern Roms war gewaltig.150 Verzweiflung, Erregung, religiöser Fanatismus, blinde Wut und abergläubische Furcht, die sich in der Darbietung von Menschenopfern (bezeichnenderweise waren die Opfer Fremde) entlud, kennzeichneten die vorherrschende Stimmung.151 Im Übrigen beruhte die Anspielung auf das karthagische Verhalten gegenüber besiegten Feldherren, die angeblich ans Kreuz geschlagen worden seien, auf ein in Rom verbreitetes Vorurteil, das keiner kritischen Prüfung standhält.

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