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Einleitung Original und alltagstauglich

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Die Geschichte von Miriam Beyer und ihrer Schwalbe erzählt mit seltener Klarheit vom Spannungsverhältnis zwischen Originalität und Alltagstauglichkeit. Ein Spannungsverhältnis, das eine besondere Bedeutung hat. Technische Denkmäler können in ihrer Originalität erhalten werden, überlebensfähig im modernen Straßenverkehr sind sie in diesem Zustand – meistens – nicht. Überlebensfähig für den Alltag kann man die Bikes machen, aber im Originalzustand sind sie danach – meistens – nicht mehr.

Die DDR hat Miriam Beyer nicht mehr erlebt. Die 25-jährige Arzthelferin fährt die 33 Jahre alte Schwalbe KR 51/2E so, wie es im Alltag am sinnvollsten ist. Die Magdeburgerin erstand eine originale Lederplane, die sie unterhalb der Taille vor Kälte und Nässe schützt. Das Getriebe hat eine kürzere Übersetzung als in der originalen Serienausführung. Schneller ist der Roller dadurch nicht, aber er hält seine Geschwindigkeit auf der langen Steigung zur Arztpraxis hinauf. Auch eine Farbe suchte sich Miriam aus. Sie pflückte eine Feldblume und brachte sie zusammen mit ihrem Roller zum Lackierer. Der hatte den Lack nach dem Farbvorbild der Blume zu mischen. Originalitätseuphoriker mögen allerhand dagegen einzuwenden haben. Gegen die Wetterschutzplane sicher nichts, gegen das kürzere Simson-Getriebe vielleicht nichts, gegen die Farbe gewiss einiges. Gleichwohl dient alles der Gebrauchswerterhaltung. Die Plane fördert die Allwettertauglichkeit, das Getriebe schont den Motor (in diesem besonderen Fall) und mit dem Lackieren hat das Blech einen Korrosionsschutz erhalten.

Jugendweihe, Geld gespart, Moped gekauft – so begann in der DDR fast jede Motorradkarriere. Den frühen Einstieg ins Motorradleben begünstigte das Führerscheinrecht. Das Führen von Mopeds war ab 15 erlaubt, das von Motorrädern bis 150 cm3 ab 16 (ohne PS-Limit). Von einer offenen 150er konnten Jugendliche in anderen Ländern nur träumen. Ob sie dafür das politische System getauscht hätten, gehört nicht hierher. Viele Menschen blieben mit dem Motorradvirus infiziert. Wie Heike B., die mit 15 ein Simson-Moped fuhr und mit 16 eine ETZ 125. Mehr war für sie als Auszubildende nicht drin. Den Kaufpreis stotterte sie in 50-Mark-Raten bei ihrem Vater ab. Der hielt vorher noch eine familieninterne Motorradprüfung ab. Er baute bei der 125er das Vorderrad, das Hinterrad und den Vergaser aus: „Wenn du alles zusammenkriegst, darfst du fahren …“ Heike schaffte das, sie hatte mehr Motorraderfahrung, als ihr Vater ahnte. Die gebürtige Sachsen-Anhaltinerin lebt heute in Goslar. Noch heute fährt sie regelmäßig zu Motorrad- und Oldtimertreffen.

Ressentiments gegen Motorradfahrer gibt es im Osten fast nicht. Wo sonst reisen Menschen zu einem Motorradtreffen wie dem Emmenrausch, ohne ein Motorrad zu besitzen, aber um – in feiner Ausgehkleidung – abends die Livekonzerte auf dem Veranstaltungsgelände zu erleben? Die DDR war ein Motorradland, die neuen Bundesländer sind es bis heute geblieben. Nur einige Politiker übernahmen aus den alten Bundesländern das scheinbare Allheilmittel gegen Unfälle, die unheiligen Streckensperrungen für Motorräder. Nicht alles ist gut, was aus dem Westen kommt.

In der DDR machten die Sozialisten beim Motorradbau einen Fehler nach dem anderen: Die EMW musste eingestellt werden, die AWO wurde gestoppt, in Suhl war nur noch die Mopedfertigung gestattet, der Status quo wurde bei der Tagung „Fortschritt für den Motorradbau“ festgeschrieben. Das Treffen der Planwirtschafter mit den Fachleuten der Motorradbranche fand im Sommer 1985 in Zwickau statt. Die Tagung erfüllte das Gegenteil dessen, was ihr Name versprach. Zweitaktende Einzylinder und traditionelle Fahrwerkskonzepte wurden zementiert.

Nach der Wende kam deshalb die Katastrophe. Neue Konzepte lagen in den Schubladen, aber es fehlten die Zeit und das Geld. MZ hatte einen Viertakt-Motor zur Serienreife entwickelt. Als Antrieb eines neuen Polizeimotorrades wollte Zschopau ihn lancieren. Doch die Wende überrollte den Plan.

Der Überlebenskampf von Simson endete im Sommer 2002. MZ kämpfte 20 Jahre lang ums Überleben. Nachdem die ostdeutschen Zweiradwerke ihre Tore geschlossen haben, sind es die Enthusiasten, die jene Marken am Leben erhalten: original und alltagstauglich. Beides ist wichtig, für die Motorräder und die Erinnerung. Dieser Typenatlas orientiert über das Damals und Heute der ostdeutschen Motorradgeschichte.

Typenatlas der DDR-Motorräder und Mopeds

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