Читать книгу Auswahlband Krimi Winter 2020 - A. F. Morland - Страница 45
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ОглавлениеBar Excelsior, 2311 Temperton Road, Philadelphia…
„Für mich nur ein Mineralwasser!“, sagte der Mann im grauen Dreiteiler.
„Sie trinken keinen Alkohol?“, fragte die junge Blondine mit dem sportlichen Kurzhaarschnitt. Sie war schätzungsweise 25, trug ein Kleid, das gleichermaßen praktisch wie elegant war und halbhohe Schuhe. Ein paar Ohrringe glitzerten im dämmrigen Licht der Bar. Sie trug an allen Fingern außer dem Daumen einen Ring, was etwas übertrieben wirkte. Sie hatte eine Mappe mit Unterlagen bei sich und war offenbar direkt vom Job hier her gekommen.
„Ist das eine Überzeugung von Ihnen? Ich meine keinen Alkohol zu trinken?“
„Nein. Ich tue es nur einfach nicht, weil…“
„Ja?“
„Man verliert die Kontrolle dabei. Ich habe die Zügel gerne selbst in der Hand, wenn Sie verstehen, was ich meine, Sara.“
Sie nippte an ihrem Glas und runzelte dabei die Stirn.
„Woher wissen Sie, dass ich Sara heiße?“
„Steht auf Ihrer Mappe. Sara Miles – ich habe einfach angenommen, dass Sie das sind.“
„Ach so…“
Er hob auch sein Glas und nahm dann einen Schluck.
„Sie reisen auch herum?“
„Ja.“
„Darf ich raten, Sara?“
„Bitte, wenn Sie wollen.“
„Sie sind Vertreterin in der Gesundheitsbranche. Wahrscheinlich ein Pharma-Unternehmen oder eins für medizinische Hilfsmittel. Na?“
„Langsam wird mir das aber unheimlich, im Übrigen haben Sie mir Ihren Namen noch nicht gesagt.“
„Nennen Sie mich Allan.“
„Allan…“
Er lächelte überlegen. Ein Ausdruck tiefer Zufriedenheit zeigte sich in seinem Gesicht.
Währenddessen rätselte Sara immer noch, woher dieser Mann das von ihr wissen konnte. Hatte ihr Job sie etwa schon so sehr geprägt, dass man ihr ihn von der Nasenspitze ablesen konnte?
„Habe ich recht?“, fragte er.
Sein Lächeln wirkte sympathisch auf sie, seine Stimme auch. Aber da war etwas in seinen Augen, das sie nicht richtig einzuordnen vermochte. Etwas, das irgendwie anders war. Sie hatte kein besseres Wort, um zu beschreiben, was sie empfand. Und das irritierte sie.
Sie blickte unwillkürlich auf seine Hände, die in dunkelbraunen Autofahrerhandschuhen steckten.
„Sie haben recht“, sagte sie. „Ich reise tatsächlich als Handelsvertreterin eines Pharma-Unternehmens kreuz und quer durch das Land und versuche, meine Ware an Drogerieketten und Ärzte zu bringen.“
„Dann könnte man also sagen, Sie sind eine Art Drogendealerin!“
Sie lachte.
„Ja, aber ich handele nur mit legalen Dogen!“
„Natürlich.“
„Aber jetzt haben Sie geschickt vom Thema abgelenkt, Allan.“
„So?“
„Sie wollten mir sagen, woher Sie soviel über mich wussten. Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie Gedankenleser sind und sich Ihr Geld mit Zaubershows verdienen oder so was?“
Der Mann im grauen Anzug lächelte. „Nein, natürlich nicht. Die Wahrheit?“
„Ich bitte darum.“
„Sie haben im Flieger eine Reihe vor mir gesessen und ich konnte nicht umhin, Ihr Gespräch mitzubekommen. Das ist das ganze Geheimnis…“
„In welcher Branche reisen Sie denn?“
„Kann man nicht mit einem Wort umschreiben“, sagte Allan.
Ihr Gespräch plätscherte dahin. Sie nahm noch einen Drink und wurde zunehmend lockerer. Das seltsame Etwas in seinen Augen fiel ihr nicht mehr auf. Sie erzählte von Geschäftsabschlüssen und Beinahe-Abschlüssen und er schien sich tatsächlich für all das zu interessieren.
Später stellten sie fest, dass sie im selben Hotel abgestiegen waren.
„Sie sehen fast so aus, als hätten Sie auch das schon vorher gewusst.“
„Nein“, sagte er. „Wie hätte ich das wissen sollen. Schließlich bin ich ja nun wirklich kein Gedankenleser.“
Aber das war eine Lüge.
Er hatte es sehr wohl vorher gewusst. Er war sogar extra im selben Hotel abgestiegen wie sie.
Irgendwann rief der Mann im grauen Anzug ein Taxi für sie beide.
„Wieso trägt einer, der gar keinen Wagen dabei hat eigentlich Autofahrerhandschuhe, Allan?“
Er wich der Frage aus, indem er sie einfach ignorierte und Sara war nach dem dritten Drink nicht mehr in der Lage dazu, sich genügend zu konzentrieren, um mit der nötigen Hartnäckigkeit eine Antwort einzufordern.
„Kommen Sie noch für einen Kaffee zu mir rauf?“, fragte sie ihn im Foyer.
Er stand etwas steif da mit seinem überkorrekt sitzende Anzug, der sorgfältig gebundenen Krawatte und dem Diplomatenkoffer in der Rechten. Vielleicht reist er für eine Versicherung, dachte sie. Das würde zu ihm passen.
„Ich trinke um diese Zeit keinen Kaffee mehr“, sagte er.
„Na, dann kommen Sie einfach so mit rauf…“
„Gerne.“
Auf dem Flur, an dem ihr Zimmer lag, hatte sie ihre Schritte nicht mehr hundertprozentig unter Kontrolle. Als sie seitlich gegen ihn stieß, spürte sie etwas Hartes unter seinem Jackett.
„Tragen Sie eine Pistole?“
„Nein. Nur ein Handy.“
„Ach so.“
Als sie das Zimmer betraten, schloss Allan gleich die Tür. Sara zog sich gleich die Schuhe aus und murmelte etwas davon, dass die Dinger sie umbringen würden. Sie holte zwei Gläser und warf einen Blick in die Minibar. „Hier ist auch was ohne Alkohol“, sagte sie.
„Danke, ich bin nicht mehr durstig.“
„Sie haben mir immer noch nicht gesagt, weshalb Sie Handschuhe tragen.“
„Das sind spezielle Autofahrerhandschuhe. Gegen den Schweiß am Lenkrad.“
„Aber Sie sind gar nicht mit dem Wagen hier!“
„Ich mag auch sonst keinen Schweiß“, sagte er. „An allem, was Sie anfassen ist menschlicher Schweiß. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht? An jedem Türgriff, an jedem Glas, an jedem…“
„Ach, das ist doch krank, was Sie da sagen.“
Sie hatte sich ihr Glas gefüllt, drehte sich um - und da stand er plötzlich sehr dicht vor ihr.
Der Gegenstand, den er aus der Jackentasche geholt hatte, war weder eine Pistole noch ein Handy.
Es knisterte, als der Mann im grauen Anzug den Schocker aktivierte und ihr an die Schulter drückte. Mit einem dumpfen Geräusch schlug ihr Körper zu Boden. Er wich einen Schritt zurück, damit sie frei fallen konnte, den er wollte auf keinen Fall, dass sie sich in einer letzten, krampfhaften Bewegung an ihm festhielt.
Das Glas zersprang.
Den Koffer hatte Allan auf dem kleinen Tisch abgelegt. Er ging jetzt hin, öffnete ihn und zog anschließend die Spritze auf.
„Du wirst gleich Erleichterung spüren“, sagte er, während ihre weit aufgerissenen Augen ihn anstarrten.