Читать книгу Auswahlband Krimi Winter 2020 - A. F. Morland - Страница 56
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ОглавлениеDie Entnahme der freiwilligen Genproben sowie die Befragung der Mitarbeiter nahmen trotz unseres großen Aufgebotes mehrere Stunden in Anspruch.
Die Mitarbeiter von SuperSecure wurden auch dahingehend befragt, ob ihnen irgendwann jemand aufgefallen war, der sich an den Sandkübeln zu schaffen gemacht hatte.
Dabei kam eine Vielzahl von sich teilweise widersprechenden Aussagen zusammen, die im Anschluss sorgfältig geprüft werden mussten.
„Als nächstes werden wir uns wohl die Firma vornehmen müssen, die dafür sorgt, dass der Inhalt der Kübel entsorgt wird“, meinte Milo, als wir schon auf dem Rückweg zur Federal Plaza waren.
Wir trafen gerade noch rechtzeitig zur Besprechung bei Mr McKee ein.
Dort hatte sich inzwischen auch Dr. Gary Schmitt eingefunden, jener Profiler, mit dem wir auch in anderen Fällen bereits zusammengearbeitet hatten. Er grüßte uns freundlich.
„Freut mich, mal wieder mit Ihnen beiden zusammenzuarbeiten“, sagte er.
„Ganz meinerseits“, erwiderte ich.
Dr. Schmitt hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. „Der Täter, den wir suchen, hat zuletzt in Chicago zugeschlagen. Da ich mir dort die genauen Tatumstände ansehen wollte, konnte ich leider erst etwas später hier bei Ihnen sein. Das Opfer in Chicago hieß Kimberley Erickson. Sie war in der Buchhaltung der Firma Reigate Electronics beschäftigt. Das Tatmuster war exakt identisch mit dem, das bei den anderen Fällen vorlag. Das Opfer wurde mit einem Elektroschocker gelähmt, dann chemisch betäubt, sexuell missbraucht und schließlich durch eine zweite Injektion umgebracht. Das einzige, was variiert, sind die Einstichstellen… Aber dazu kommen wir später. Der Mann, den wir suchen, ist auf jeden Fall Rechtshänder und zwischen 1,70 m und 1,75 m groß. Ich nehme an, dass er eher hager war.“
„Meinen Sie, weil er Hoffman über den Boden geschleift und nicht getragen hat?“, fragte Clive.
Dr. Schmitt hob die Augenbrauen. „Das spielt auch eine Rolle. Schließlich haben wir bei keinem seiner Opfer Hinweise darauf gefunden, dass es getragen wurde – und das gilt auch für die weiblichen Opfer, von denen zumindest eines sehr leicht war. Aber ich gehe da eher von einem Gesamtbild des Täters aus: Er vermeidet Kontakt, er benutzt Kondome, er geht beim Ausschalten des Opfer auf Nummer sicher, in dem er es sowohl elektrisch als auch chemisch lähmt… Sehen Sie, das ist ein Mann, der den direkten physischen Kontakt vermeidet, wo immer es möglich ist. Solche Menschen neigen zu Allergien und Empfindlichkeiten bei der Aufnahme von Nahrungsmitteln. Der Magen und Darm bestehen letztlich aus Haut - so wie die Oberfläche der Hände oder Geschlechtsteile. Unser Mister X könnte Allergiker sein, Neurodermitis oder sonst eine Stoffwechselerkrankung haben, die ihn von klein auf gelehrt hat, dass ein direkter Kontakt mit der Umwelt schmerzhaft und gefährlich sein kann. Und selbst wenn keines dieser Krankheitsbilder vorliegen sollte, so wird es sich um jemanden handeln, der bei der Nahrungsaufnahme sehr wählerisch ist. Er wird wenig und bedacht essen – niemals Fast Food oder große Mengen. Daher die sichere Annahme einer hageren Figur. Außerdem ist er sehr ordentlich und gewissenhaft, denn vielleicht musste er schon von klein auf regelmäßig Medikamente zu sich nehmen, sowie Diäten oder bestimmte Verhaltensweisen befolgen, wenn er Schmerzen vermeiden wollte.“
„Stellt er immer die Schuhe des Opfers sorgfältig zusammen, nachdem er sie ihm ausgezogen hat?“, fragte ich.
„Das war in allen Fällen so, die wir diesem Täter zurechnen können“, bestätigte Dr. Schmitt.
„Aber einer dieser Morde wurde an einem Mann begangen und hatte keinen sexuellen Hintergrund, soweit wir das beurteilen können“, stellte Mr McKee fest.
„Und trotzdem haben alle Morde, die dieser Aschenbecher-Killer begangen hat, das Motiv gemeinsam“, stellte Dr. Schmitt fest.
Mr McKee runzelte die Stirn.
„Das müssen Sie mir erklären.“
„Unser Mister X mordet, weil er Angst vor Kontrollverlust hat. Er kann keiner Frau unter normalen Bedingungen begegnen und ein Verhältnis mit ihr anfangen, weil er die Entwicklung dieser Beziehung nicht vorhersehen könnte. Es muss eine tiefe Angst vor Zurückweisung oder Verlassenwerden in ihm sein. Vielleicht hatte er eine Mutter, die drogen- oder alkoholsüchtig war, die ihn in entscheidenden Momenten und in einem frühen Lebensalter sich selbst überließ und an der unser Täter die folgen eines Kontrollverlustes sehen konnte.“
„Und was hat das mit Darren W. Hoffman zu tun?“, fragte Milo.
„Es muss auch hier ein Kontrollverlust für den Täter gedroht haben“, war Schmitt überzeugt. „Worin der bestanden haben könnte, kann ich Ihnen im Moment nicht sagen und die sexuelle Komponente scheidet in diesem Fall natürlich vollkommen aus. Es gibt auch keinerlei Hinweise dafür, dass der Täter eine bisher bi- oder homosexuelle Neigung bisher hier zum ersten Mal auszuleben versucht hat. Ich bin die Unterlagen im Fall Hoffman gerade im Hinblick auf diesen Punkt sehr gründlich durchgegangen.“
„Das können Sie definitiv ausschließen?“, wunderte sich Mr McKee.
„Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ja, Mister McKee. Denn dann müssten sich am Tatort Anzeichen dafür für finden.“
„Dass Hoffman und der Täter sich gekannt haben müssen, stand eigentlich schon nach den Ermittlungen am Tatort fest“, meinte ich. „Schließlich hat Hoffman seinem Mörder die Tür geöffnet.“
„Vollkommen richtig“, nickte Gary Schmitt. „Und nun beachten Sie zwei Details! Erstens: Der Täter muss den Vorsatz, Hoffman zu töten lange vorher gefasst haben. Er hatte sich auf den Mord vorbereitet, seine Injektionen mitgenommen und sich mit dem Inhalt der Zigarettenkübel versorgt, die er am Tatort ausstreuen wollte. Aber obwohl er keineswegs vorhatte, Mister Hoffman sexuell zu missbrauchen und es deswegen sinnlos ist, ihn nach dem Elektroschlag auch noch mit einer Injektion zu lähmen, tut er genau das! Dasselbe gilt für die Schuhe. Den Frauen musste er sie ausziehen, um sie entkleiden zu können – bei Hoffman hätte er darauf verzichten können.“
„Er weicht nicht vom Schema ab“, stellte Mr McKee fest.
„So ist!“, bestätigte Gary Schmitt. „Dieser Mensch ist sicherlich an der Grenze einer Zwangserkrankung – aber nur an der Grenze. Das macht es für uns schwieriger, ihn zu finden, denn er dürfte in seinem Verhalten weitgehend unauffällig sein. Seine Zwanghaftigkeit tritt nämlich immer nur dann auf, wenn er sich unsicher fühlt.“
„Woher wollen Sie das wissen?“, hakte Mr McKee nach.
„Das zweite Detail, auf das ich Sie hinweisen möchte, sind die Einstiche bei den Injektionen“, erklärte Gary Schmitt. Mit dem Beamer seines Laptops projizierte er Abbildungen davon an die Wand des Büros. „Dieser Mann, der sich so sklavisch an eine bestimmte Vorgehensweise gehalten hat, hat bei der Auswahl der Körperstellen, die er für die Injektionen auswählte eine erstaunliche Varianz. Bei den intravenösen Injektionen hat er zwischen rechter und linker Armbeuge variiert und bei den Subgotanen hat er in einem Fall das Gesäß, in einem anderen den Bauch oder den Oberschenkel genommen. Ich habe mich mit Ärzten darüber unterhalten. Der Killer hat tatsächlich immer die günstigste Stelle ausgewählt.“
„Das bedeutet, auf diesem Gebiet fühlt er sich sicher und kompetent“, meine ich.
Dr. Schmitt nickte. „Ich nehme an, dass er eine Ausbildung als Krankenpfleger oder Sanitäter hinter sich hat und genaue Fachkenntnisse hat. Er hat Kenntnisse über die Wirkung von Betäubungsmitteln, Giften und weiß genau, wie man Spritzen verabreicht. Die Blutergüsse an den Toten halten sich in Grenzen und weisen ebenfalls darauf hin, dass die Spritzen sehr geschickt gesetzt wurden.“
„Warum schließen Sie aus, dass der Täter Arzt ist?“, fragte ich.
„Das schließe ich nicht aus, ich halte es nur für sehr unwahrscheinlich. Genauso wie ich es für sehr unwahrscheinlich halte, dass der Täter noch in einem pflegerischen Beruf arbeitet. Er hat schließlich eine ausgesprochene Kontaktscheu und wird es da nicht lange ausgehalten haben. Solche Menschen neigen zu Berufen mit starken Ordnungsstrukturen: Buchhalter, Polizist, Soldat… Der Pflegebetrieb eines Krankenhauses oder eines Altenheims gehört sicher auch dazu. Ich könnte mir vorstellen, dass er bei der Army war, eine Ausbildung zum Sanitäter gemacht hat und sich nach seiner Zeit eine Ausbildung in der Steuerbehörde oder bei einer Bank begonnen hat. Die physische Kontaktscheu ist vermutlich im Laufe der Zeit immer stärker geworden. Es würde mich nicht wundern, wenn er niemandem die Hand gibt oder dauernd Handschuh trägt. Ich nehme allerdings an, dass er im Bereich seines Business völlig normal und professionell wirkt, weil er sich da sicher fühlt.“
„Lassen sich die Opfer auf irgendeinen gemeinsamen Nenner bringen?“, fragte Mr McKee.
„Danach habe ich natürlich auch schon gesucht. Vom Call Girl bis zu Geschäftsfrau ist alles dabei – und Darren Hoffman passt natürlich überhaupt nicht dazu. Die zeitlichen Intervalle sind unregelmäßig. Aber sämtliche Morde geschahen in vier Städten: Washington, Philadelphia, Chicago und New York. Immer dieselbe Reihenfolge. Insgesamt wurden zwölf Opfer entdeckt, die auf den Aschenbecher-Killer zurückgehen, dazu kommen noch drei weitere Fälle, bei denen zwar keine Zigarettenstummel verstreut wurden, die von diesem Detail abgesehen exakt auf dieselbe Weise begangen wurden.“
„Wäre da nicht eigentlich wieder Philadelphia an der Reihe?“, fragte ich.
„Vorausgesetzt, dass Darren W. Hoffman tatsächlich als ein Teil dieser Reihe angesehen werden kann“, korrigierte Gary Schmitt. „Und da bin ich mir nicht sicher.“
„Sie erwähnten vorhin den Namen Reigate Electronics“, fiel mir wieder ein.
„Das Opfer in Chicago arbeitete dort“, bestätigte Schmitt.
„Mister McFadden, der Haupteigentümer von SuperSecure sagte mir, dass es dort zumindest früher auch solche Zigarettenkübel gegeben hat…“
Schmitt lächelte. „Danke für den Hinweis, Agent Trevellian. Aber das haben wir natürlich schon überprüft und der Inhalt der Kübel ist bereits von den Kollegen des dortigen FBI Field Office sichergestellt worden und wird auf Übereinstimmungen mit dem am Tatort gefundenen Material untersucht.“