Читать книгу Der Arztroman Koffer Oktober 2021: Arztroman Sammelband 10 Romane - A. F. Morland - Страница 17
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Оглавление„In diesem Tanzlokal, als ich deine Mutter zum ersten Mal zum Tanz aufforderte, war ich unbeschreiblich nervös“, gestand Hasso Lenz seiner Tochter. „Mein Herz klopfte wie wild in meiner Brust.“
„Weshalb?“, fragte Gaby.
Hasso Lenz lächelte versonnen. Er war mit seinen Gedanken in der Vergangenheit. „Weil sie mir so gut gefiel. Weil ich sie unbedingt kennenlernen wollte. Und weil mir bewusst war, was für ein miserabler Tänzer ich war. Ich hatte Angst, unser erster Tanz könnte zugleich auch der letzte sein.“
„Aber so war es nicht.“
„Zum Glück nicht. Sonst wärst du heute nicht auf der Welt.“
„Genau genommen bin ich das Ergebnis von einer Reihe von Zufällen“, meinte Gaby.
„Könnte man sagen.“
„Zufällig hat Sascha Petersen Langeweile“, zählte Gaby auf. „Zufällig möchte er mit dir etwas unternehmen, zufällig schlägt er vor, tanzen zugehen, ihm hätte ja auch irgendetwas anderes einfallen können, zufällig lässt du dich von ihm breitschlagen, zufällig ist meine spätere Mutter in jenem Tanzlokal, zufällig fällt sie dir auf, zufällig findet sie dich sympathisch und quält sich deshalb mit einem Nichttänzer ab ...“
„Das war ein großes Opfer für sie“, sagte Hasso Lenz. „Sie hat mir das später mal gestanden.“
„Die Lüüübe, die Lüüübe ...“, sang Gaby vergnügt.
„... ist eine Hüüümmelsmaaacht!“, sang ihr Vater.
Und dann lachten sie beide herzlich. Zwei Tage später sagte Elvira Sarkos, als Gaby in der Redaktion erschien: „Du Glückspilz.“
„Glückspilz? Ich? Wieso?“, fragte Gaby.
„Unser neuer Chefredakteur hat Sehnsucht nach dir!“
„So. Hat er das.“ Gaby wirkte nicht sonderlich beeindruckt.
„Du sollst zu ihm kommen.“
Gaby blickte zu der Tür, die in CDs Büro führte. „Weißt du, weshalb?“
„Keine Ahnung.“ Elvira zeigte auf Gabys hübsche Bluse. „Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich einen weiteren Knopf öffnen.“
„Ich habe nicht die Absicht, CD zu verführen.“
Elvira schmunzelte schelmisch. „Ich hätte sie, aber nach mir hat er ja nicht verlangt.“
Gaby setzte sich nicht an ihren Schreibtisch, sondern ging gleich zu CD.
Sie klopfte an die geschlossene Tür. „Ja, bitte?“, rief der Chefredakteur. Gaby öffnete die Tür. „Sie möchten mich sprechen, Herr Forstner.“
Er schüttelte unwillig den Kopf. „Nichts da, Herr Forstner. Nennen Sie mich Claus oder Claus-Dieter. Ich bin auch mit CD einverstanden.“ Gaby sah ihn verdutzt an. „Mit CD?“ Er lächelte. „Irgendjemand hat mich kürzlich so genannt, ohne zu wissen, dass ich in der Nähe war. Ich habe das mehr oder weniger zufällig aufgeschnappt.“
Schon wieder zufällig, dachte Gaby amüsiert. „CD würde mir gefallen“, sagte sie.
„Okay.“ Er nickte. „Also CD.“ Er wies auf eine Sitzgruppe aus braunem Schweinsleder und forderte Gaby auf, sich zu setzen. Bevor er sich zu ihr setzte, holte er eine Mappe, die er vor sich auf den Tisch legte.
„Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten?“, erkundigte er sich. „Ich habe allerdings nicht viel ... Cola light, Apfelsaft, Orangenjuice, Sprudel ... Das ist alles.“
„Ich möchte nichts“, gab Gaby zurück. Sag mir lieber, weshalb ich hier bin, dachte sie. Holte er etwa so nach und nach jeden Mitarbeiter einzeln in sein Büro, um ihn abzuklopfen und besser kennenzulernen?
„Wie Sie wissen, komme ich vom ‘Morgen Standard’“, begann Claus Dieter Forstner.
Gaby nickte. „Das ist mir bekannt.“
„Ich war da nicht sehr glücklich“, gestand CD ihr. „Leute mit eigenen Ideen sind beim ‘Morgen Standard’ nicht sehr willkommen. Man sieht in ihnen unbequeme Revoluzzer, die den alten Staub aus den Kolumnen blasen könnten. Es lebe die antiquierte Tradition. ‘Das haben wir immer so gemacht, das werden wir auch weiterhin so handhaben’, hieß es bei jeder Gelegenheit. ‘Versuch da ja nichts dran zu ändern. Was sich in der Vergangenheit bewährt hat, wird auch in der Zukunft Gültigkeit haben. ’ Es war bisweilen ziemlich frustrierend, für den ‘Morgen Standard’ arbeiten und zu sehen, wie die Verkaufszahlen von Ausgabe zu Ausgabe schrumpften, weil von uns verlangt wurde, bewusst am Zeitgeist vorbeizuschreiben.“ Interessant, dachte Gaby Lenz. Aber warum bin ich in deinem Büro, CD? „Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich Ihre Arbeit sehr schätze, Gaby“, sagte CD Forstner. „Schon während meiner Zeit beim ‘Morgen Standard’ haben mir Ihre Artikel immer gut gefallen. Sie können schreiben ...“
„Vielen Dank“, warf sie lächelnd ein. „Ihre Beiträge sind gewissenhaft recherchiert, man wird darin keine einzige Unwahrheit finden. Ich bin froh, eine so tüchtige Mitarbeiterin im Team zu haben.“
„Ich werde diese Redaktion auch nicht so bald verlassen“, gab Gaby lächelnd zurück.
„Mir ist bekannt, dass man Sie gerne beim ‘Blauen Blatt’ haben würde“, sagte CD.
Sie sah ihn überrascht an. „Wer hat Ihnen das erzählt?“
„Stimmt es etwa nicht?“, fragte er schmunzelnd zurück.
Sie hatte keinen Grund, es zu leugnen. „Doch. Aber ...“
Er lächelte. „In unserer Branche gibt es kaum Geheimnisse. Ein erkennt den andern, und es findet sich immer irgendwo eine undichte Stelle. ‘Nicht weitersagen ...’, ‘Behalt’s für dich ...’, ‘Aber das bleibt unter uns ...’ Wer hält sich schon daran? Neben einigen anderen Zeitungen wäre auch die ‘Allgemeine Post’ sehr ernsthaft an Ihnen interessiert, stimmt’s?“
„Ja, aber keine Sorge. Ich lasse mich nicht abwerben. Ich fühle mich hier pudelwohl, und solange das so bleibt, interessieren mich die Angebote der Konkurrenzblätter nicht.“
Er lehnte sich zurück und hob die Hände. „Ich werde mich bemühen, Sie nicht zu vergrämen.“
„Damit ich Ihnen nicht davonlaufe?“
„Es wäre nicht sehr klug von mir, Ihnen einen Grund zu geben, über eines der vorliegenden Angebote der Konkurrenz nachzudenken.“
Gaby wurde langsam ungeduldig. „Sie wollen auf irgendetwas hinaus, habe ich recht?“ Sie kniff die Augen zusammen. „Mir kommt es so vor, als würden Sie schon die ganze Zeit um den heißen Brei herumreden. Wäre es nicht sinnvoller und zeitsparender, wenn Sie nun endlich zur Sache kämen?“
„Sie sind sehr direkt.“
„Ist Ihnen das unangenehm?“
„Im Gegenteil, es imponiert mir.“
„Weshalb haben Sie mich zu sich zitiert, CD?“
„Nicht zitiert, Gaby, gebeten!“
„Warum also haben Sie mich zu sich gebeten?“
„Wie stehen Sie zu Kritik, Gaby?“
„Wenn sie konstruktiv ist, hat sie durchaus ihre Berechtigung“, antwortete Gaby Lenz. „Wenn jemand aber kritisiert bloß um das Kritisieren willen, ist er in meinen Augen ein Nörgler, den anzuhören es sich nicht lohnt.“ CD legte die Hand auf die Mappe. „Ich habe hier drinnen Ihren Bericht über die ‘Engel von Grünwald’.“ Endlich kommt er zur Sache, dachte Gaby.
„Nach dieser langen Einleitung muss ich wohl annehmen, dass er Ihnen nicht gefällt“, sagte sie.
„Er ist, wie bei Ihnen nicht anders zu erwarten, hervorragend geschrieben ...“
„Aber?“
„Schwester Gudrun und Schwester Marie-Luise sind so gekonnt gezeichnet, dass man sie sich auch ohne die Fotos mühelos vorstellen kann ...“
„Aber?“, wiederholte Gaby.
„Tja, aber ... Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, Gaby.“
„Einfach frei heraus, ohne Schnörkel.“
„Herr Berndt hat mich nicht nur hierhergeholt, weil ich ihm so sympathisch bin“, machte CD schon wieder einen Umweg. „Er erwartet auch etwas von mir. Ich soll die Auflagenzahlen steigern. Daran misst er meine Tüchtigkeit.“
„Sie möchten die ‘Engel von Grünwald’ nicht bringen“, sagte Gaby heiser.
„Nein. Das heißt schon. Ja, aber nicht gleich. Ich bin dafür, dass wir ihn erst mal auf Eis legen.“
„Darf ich fragen, was Ihnen daran nicht gefällt?“
„Ehrlich gesagt, er ist mir ein bisschen zu hausbacken und brav.“
„Hausbacken und brav.“ Gaby ärgerte sich. „Was haben Sie erwartet? Dass ich Blut spritzen lasse? Das ist ein Bericht über zwei vorbildliche Assistentinnen, die vorbildliche Arbeit in einer vorbildlichen Arztpraxis leisten. Das Doktorhaus in Grünwald ist kein Schlachthof.“
„Bitte, Gaby, wir wollen sachlich bleiben, ja?“
„Haben Sie den Auftrag, aus ‘Täglich Neues’ ein Revolverblatt zu machen?“
„Meine Aufgabe ist es, eine Zeitung zu machen, nach der die Leser lieber greifen als zu jeder anderen.“
„Ach, und das tun sie nach Ihrer Ansicht nicht, wenn sie darin so langweilige Artikel wie den über die ‘Engel von Grünwald’ finden, wie?“, sagte Gaby Lenz angriffslustig.
Ich glaube, ich mag ihn nicht mehr!, dachte sie. Elvira, du kannst ihn haben!
„Ihrem Artikel fehlt es an Dramatik“, wurde CD nun etwas direkter.
„Ich kann nichts dafür, dass sich in Dr. Kaysers Wartezimmer keiner die Pulsadern aufgeschnitten hat und sich von mir dabei fotografieren ließ.“
„Ich dachte, Sie könnten konstruktive Kritik vertragen.“
„Ist Ihre Kritik das?“, fragte Gaby spitz. „Ist sie konstruktiv, CD?“
„Ich schlage vor, Sie nehmen Ihren Artikel jetzt mal mit und lesen ihn sich in aller Ruhe durch. Sie werden erkennen, worauf es mir ankommt, und wenn Sie das Ganze dann vernünftig überarbeitet haben, wenn der Bericht so dramatisch und interessant ist, wie ich ihn mir wünsche, bin ich gerne bereit, ihn zu veröffentlichen.“
Ich mag ihn wirklich nicht mehr! dachte Gaby und stand auf.
„Sonst noch was?“, fragte sie mit belegter Stimme.
Sie hätte CD Forstner liebend gern irgendetwas angetan. Ein Film fiel ihr ein. Da hatte eine Frau in einem Restaurant vor allen Gästen die Blumen aus der Vase genommen und ihrem Chef, der sie geärgert hatte, das Blumenwasser über den Kopf gekippt.
Bravo!
Das würde ich jetzt auch gern tun, dachte Gaby. Aber ich sehe weit und breit keine Blumen. Na klar, wer sollte dem schon Blumen schenken?
Sie schnappte sich die Mappe.
CD Forstner stand auf. „Es tut mir leid ...“, begann er, doch sie hörte ihn nicht länger an.
Mit Tränen in den Augen stürmte sie aus CDs Büro.