Читать книгу Der Arztroman Koffer Oktober 2021: Arztroman Sammelband 10 Romane - A. F. Morland - Страница 8

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Gudrun Giesecke, Dr. Sven Kaysers langjährige Praxishelferin, löffelte lustlos ihren Joghurt. Magerjoghurt mit nur einem Prozent Fett.

„Wat tut man nich alles für die Jesundheit“, sagte sie zu ihrer jungen Kollegin Marie-Luise Flanitzer.

Diese lächelte. „Sagen Sie Ihrem Übergewicht mal wieder den Kampf an?“

„Ick muss“, erwiderte die Perle von der Spree. „Ick fühle mir in letzter Zeit nich mehr so recht wohl.“

„Vielleicht sollten Sie sich mal vom Chef anschauen lassen.“

„Quatsch. Wozu denn?“

„Wenn Sie sich nicht wohl fühlen ...“ Schwester Gudrun winkte ab. „Paperlapapp. Ick komm bloß beim Schuhe anziehen und beim Treppensteijen mehr als bisher ins Schnaufen, und det muss nich sein.“ Sie musterte die schöne Kollegin. „Bist’n schlankes Püppchen. Kannst det wahrscheinlich nich nachvollziehen.“ Sie hob die Augenbrauen. „Weeßte, dat ick ooch mal so schlank war wie du?“ Sie lachte. „Kann man sich kaum vorstellen, wa? Aber es is so. Als ick in deinem Alter war, also so unjefähr mit dreißig, wog ick nich mehr als du. Mit der Zeit hab ick dann aber zujelegt. Schleichend, vastehste? Schön langsam. Tolerierbar. Mal hier’n Kilo, mal da. Und im Hinterkopf immer der Jedanke: Dat kriegste spielend wieder runter. Und irjendwann hatte ick dann plötzlich zehn Kilo zuviel. Ick fing an mit Diäten und hatte nach jeder ’n paar Kilo mehr druff als vorher. Nich jleich, nee, aber so nach ’nem halben Jahr bis ’nem Jahr.“ Sie wies auf ihre stattliche Figur. „Was de hier siehst, sind jewissermaßen Jahresringe.“ Sie wiegte den Kopf. „Bei vierundsechzig Lenzen kommt schon wat zusammen.“

„Und nun müssen mal wieder ein paar Kilo runter.“

„Unbedingt. Sonst jeht dat ja ins Uferlose.“

In der Grünwalder Arztpraxis war es ausnahmsweise recht ruhig. Der letzte Patient befand sich bei Dr. Kayser im Sprechzimmer, und die Stühle im Wartezimmer waren allesamt verwaist.

Während Schwester Gudrun ihren Becher leerlöffelte, ging ihre Kollegin im Wartezimmer daran, Ordnung zu schaffen. Sie sammelte die herumliegenden Illustrierten ein, sortierte sie und bildete mit ihnen kleine Stapel.

Die Bilderbücher für die kleinen Patienten hatten ihren speziellen Platz. An den Wänden des großen Raumes hingen diverse Plakate, Hinweise auf Impftermine und was die einzelnen Impfungen kosteten, ein Aufruf zur Vorsorgeuntersuchung, die lapidare Feststellung, dass der Arzt das Medikament bestimmt und nicht der Patient (herausgegeben von der Ärztekammer) ...

Die Tür öffnete sich, und Gaby Lenz betrat die Praxis, vierundzwanzig Jahre jung, bildhübsch, langes braunes Haar und sehr geschmackvoll gekleidet.

Als sie das leere Wartezimmer sah, fragte sie: „Bin ich zu spät?“

„Sind Se nich“, antwortete Schwester Gudrun freundlich und entsorgte den leeren Plastikbecher. „Se haben dat einmalije Jlück, in wenijen Aujenblicken dranzukommen.“

„Das passiert wirklich nur ganz selten. Was ist los? Streiken die Patienten? Oder ist diesmal eine Epidemie ausgebrochen, die die Menschen nicht krank, sondern gesund macht?“ Schwester Gudrun schmunzelte. „Dat wär’n Fressen für Se, wa?“

„Wieso?“

„Na ja, Se sind doch Journalistin, oder?“, sagte Gudrun Giesecke. „Eine Epidemie, die die Menschen jesund macht, müsste doch ’n interessantes Thema für ’ne jroßanjelegte Artikelserie sein.“

„Ach so, ja, da haben Sie allerdings recht“, stimmte Gaby Lenz zu.

Die Sprechzimmertür öffnete sich, und Dr. Sven Kayser verabschiedete sich von einem hageren Patienten. „Ich sehe Sie in vierzehn Tagen wieder, Herr Hausner“, sagte er und reichte dem Mann die Hand. „Sie bringen dann alle Befunde mit, ja?“

„Ja, Herr Doktor“, sagte Hausner. „Danke und auf Wiedersehen, Herr Doktor.“ Er wandte sich an Gudrun Giesecke, Marie-Luise Flanitzer und Gaby Lenz und nickte ihnen zu. „Auf Wiedersehen, die Damen.“ Dann verließ er kerzengerade, als hätte er einen Ladestock verschluckt, das Arzthaus, und Dr. Kayser bat die aparte Journalistin in sein Sprechzimmer.

Gaby wurde seit drei Tagen von gelegentlichen Hustenanfällen gequält, und sie war gekommen, um sich von ihrem Hausarzt mal anschauen zu lassen. Sie war zurzeit, was man bei ihrem phantastischen Aussehen kaum für möglich gehalten hätte, solo und genoss diesen partnerlosen Zustand nach drei unterschiedlich langen und unterschiedlich intensiven Beziehungen, die allesamt nicht das Gelbe vom Ei gewesen waren. Die Ruhe nach diesen Stürmen, die ihr Leben ziemlich durcheinandergebracht hatten, tat Gaby gut.

Dr. Kayser untersuchte sie gründlich, klopfte und horchte sie ab und meinte schließlich, sie brauche sich nicht zu beunruhigen, ihren Hustenanfällen liege keine ernsthafte Erkrankung zugrunde.

Sven Kayser verschrieb ihr ein schleimlösendes Medikament, das den gelegentlichen Hustenreiz wirksam bekämpfen und in wenigen Tagen beenden würde. Gaby zog sich an, nahm das Rezept entgegen und bedankte sich dafür.

„Und wie geht’s dem Herrn Papa?“, erkundigte sich der Grünwalder Arzt. „Er hat sich schon längere Zeit nicht bei mir blicken lassen.“

„Dennoch fühlt er sich nicht so gut, wie man daraus schließen könnte“, sagte die schöne Journalistin.

„Was hat er für Probleme?“, fragte Dr. Kayser.

„Er ist jeden Abend müde.“

„Arbeitet er zu viel?“

Gaby Lenz schüttelte den Kopf. „Nicht mehr als sonst.“ Ihr Vater erledigte für einige kleine Unternehmen zu Hause die Buchhaltung, das war nicht besonders anstrengend.

Sven Kayser lächelte. „Bestellen Sie ihm einen schönen Gruß von mir, und sagen Sie ihm, er soll mich mal wieder was verdienen lassen.“

„Ich werd’s ausrichten.“

„Schön.“ Dr. Kayser nickte. „Wie geht’s beruflich?“

„Alles bestens“, antwortete Gaby. Sie schrieb seit drei Jahren für die Münchner Zeitung „Täglich Neues“, hatte sich mit gut recherchierten Berichten, klugen Kommentaren und intelligenten Interviews in der Branche einen Namen gemacht und wurde in letzter Zeit immer intensiver von der Konkurrenz umworben. Da ihr aber das Klima bei „Täglich Neues“ behagte, sah sie keinen Grund, sich zu verändern. Anderswo hätte sie zwar mehr verdient, doch Geld war für sie nicht alles. Zufriedenheit ist es, die der Mensch in seinem Beruf anstreben sollte, das war ihre Meinung.

„Ist es nicht ziemlich stressig, ständig neue Themen finden zu müssen?“, fragte Dr. Kayser.

„Nein“, antwortete Gaby Lenz, „überhaupt nicht.“

„Ich stelle mir das sehr mühsam vor“, meinte der Grünwalder Arzt.

„Ist es nicht“, behauptete Gaby. „Die Themen liegen auf der Straße. Man braucht nur den richtigen Blick, um sie zu erkennen, und den bekommt man mit der Zeit ganz von selbst. Apropos, was halten Sie von einem Artikel über Ihre beiden Assistentinnen?“

„Sie wollen über Gudrun und Marie-Luise schreiben?“

„Das kam mir eben in den Sinn.“ Dr. Kayser hob die Schultern. „Wenn die beiden damit einverstanden sind, ich habe nichts dagegen.“

Gaby hob die Hand und zeichnete eine Schlagzeile in die Luft. „Die Engel von Grünwald.“

„Die Engel ...“ Dr. Kayser lachte. „Großer Gott.“

„Hört sich doch gut an.“

Sven Kayser wiegte den Kopf. „Na ja, ich finde es, ehrlich gesagt, ein wenig übertrieben.“

„Einer meiner Kollegen hat kürzlich einen Artikel über seinen Zahnarzt geschrieben“, erzählte Gaby Lenz, „und weil der angeblich so ein Meister im Extrahieren von Zähnen ist, nannte er ihn den ‘Zahnweh-Herrgott’. Dagegen nimmt sich eine Überschrift wie ‘Die Engel von Grünwald’ geradezu harmlos aus.“

Dr. Kayser schmunzelte. „Dagegen schon, da haben Sie recht.“ Er wechselte erneut das Thema und fragte, wie es denn so der Liebe gehe.

„Die Liebe ruht zurzeit“, gab Gaby offen zur Antwort.

„Warum denn das?“

„Nun ja, meine letzten Beziehungen ... Das war Stress, aber leider ohne die ersehnte Erfüllung.“ Gaby lächelte madonnenhaft. „Davon muss ich mich jetzt erst mal erholen.“ Sie hob die Hände. „Ich habe absolut nichts gegen meine drei ‘Ex’, sie sind mir immer noch lieb und wert, wir haben uns in Güte getrennt und sind weiterhin die allerbesten Freunde, aber es hat bei allen dreien einfach das Tüpfelchen auf dem ‘i’ gefehlt, verstehen Sie? Das Sahnehäubchen, das eine Beziehung unbedingt haben muss, wenn sie nicht nur etwas Besonderes, sondern auch von Dauer sein soll.“

„Aber Sie sperren sich jetzt nicht grundsätzlich für jede neue Beziehung“, sagte Dr. Kayser.

„Überhaupt nicht.“

„Dann ist es gut.“

Gaby Lenz erhob sich. Sie war wunderbar schlank, hatte eine wohlproportionierte Figur und hielt sich mit ausgedehnten Waldläufen fit. „Wenn ich einem Mann begegne, der mir gefällt und von dem ich denke, dass er meinen Erwartungen, die bestimmt nicht übertrieben hoch angesetzt sind, entsprechen könnte, bin ich wieder für alles offen.“ Sie gab Dr. Kayser die Hand.

„Hat ‘Täglich Neues’ schon einen neuen Chefredakteur?“, erkundigte sich der Grünwalder Arzt. Ihm war bekannt, dass der alte Chefredakteur nach einer Gehirnblutung (von der er sich nur schleppend erholte) in Frührente gegangen war.

Die hübsche Journalistin schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber es wird wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis Herr Berndt, der Eigentümer unseres Blattes, der vorübergehend selbst den Chefredakteur macht, uns unseren neuen Chef vorstellt.“

Dr. Kayser begleitete Gaby Lenz zur Tür. Er rief seine beiden Assistentinnen und eröffnete ihnen, dass die Journalistin sich mit dem Gedanken trage, einen Artikel über sie zu veröffentlichen.

„Über uns?“, sagte Gudrun Giesecke wenig begeistert.

„Möchten Sie nicht berühmt werden, Icke?“, fragte Sven Kayser.

„Nee, Chef, eijentlich nich. Ick blühe lieber im verborjenen.“ Die füllige Sprechstundenhilfe wandte sich an Gaby Lenz. „Wat jibt es denn schon viel über uns zu schreiben? Fünf Zeilen. Mehr nich. Maximal sechse.“

„Oh“, warf Dr. Kayser lächelnd ein, „unterschätzen Sie Frau Lenz’ journalistische Fähigkeiten nicht.“

„Sag ooch wat, Marie-Luischen“, forderte Schwester Gudrun ihre junge Kollegin auf. „Möchtest du in ‘Täglich Neues’ stehen?“

Marie-Luise Flanitzer zuckte mit den Schultern. „Ich hätte nichts dagegen.“

„Nun“, sagte Gudrun Giesecke, „wenn dat so is, hab’ ick ooch nix je jen ’nen Artikel über uns einzuwenden.“

„Die Überschrift steht schon“, sagte Dr. Kayser grinsend. „Die Engel von Grünwald.“

„Enjel?“ Die Berlinerin deutete auf Marie-Luise Flanitzer und auf sich. „Wir beede?“ Sie schlug die Hände überm Kopf zusammen und lachte herzlich. „Jottedoch, dat is der Witz des Tages!“

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