Читать книгу Der Arztroman Koffer Oktober 2021: Arztroman Sammelband 10 Romane - A. F. Morland - Страница 44

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Karina kochte Kasseler Rippchen mit Sauerkraut. Der Zwischenfall im Supermarkt lag zwei Wochen zurück. Es hatte lange gedauert, bis die gelähmte junge Frau sich beruhigen konnte. Drei Tage hatte sie kaum ein Wort mit Hardy gesprochen. Dann hatte sich ihr Zusammensein allmählich wieder normalisiert. Vor allem deshalb, weil Hardy sich unendlich viel Mühe gegeben hatte, sie davon zu überzeugen, dass es keine Frau auf der Welt gab, auf die sie eifersüchtig zu sein brauchte.

Karina warf einen Blick auf die Küchenuhr. Gleich würde Hardy heimkommen. Sie stellte schon mal zwei Teller auf den Tisch, legte das Besteck bereit und Papierservietten dazu. Dann holte sie eine Flasche Weißbier aus dem Kühlschrank, denn Hardy liebte es, zu Kasseler mit Sauerkraut Weißbier zu trinken.

Draußen fuhr sein Wagen vor. Karina rechnete damit, dass ihr Mann gleich zur Haustür hereinkommen würde, doch er ließ aus irgendeinem Grund auf sich warten.

Was ist da los?, fragte sich Karina. Wer hält ihn auf? Der arbeitslose Journalist, der um diese Zeit immer mit seinem Hund Gassi geht? Die Kinder aus der Nachbarschaft, mit denen er des Öfteren Fußball spielt? Sie fuhr zum Wohnzimmerfenster und blickte hinaus und da war wieder dieser schmerzhafte Stich mitten ins Herz, als sie ihren Mann mit Sophie Hoger, der attraktiven Nachbarin, reden sah.

Der schönen Sophie war vor einem halben Jahr der Mann weggelaufen, und seitdem war sie eifrig auf der Suche nach Ersatz. Fast jede Woche testete sie einen anderen.

War nun Hardy an der Reihe? Eine geschlagene Viertelstunde ließ Hardy sich von der schwarzhaarigen Frau aufhalten. Sie schien es ungeniert und völlig offen darauf anzulegen, ihn zu becircen.

Mitten auf der Straße. Vor seinem Haus. Vor den Augen seiner Frau. Karina hätte am liebsten das Fenster aufgerissen und hinausgeschrien: „Lass meinen Mann in Ruhe, du Flittchen!“

Endlich entließ Sophie Hoger ihren Nachbarn und ging zu ihrem Haus hinüber. Jede ihrer Bewegungen zielte auf Wirkung ab. Sie wollte Hardy ganz ohne Zweifel beeindrucken.

Hardy kam ins Haus. Karinas Augen verschossen wütende Blitze.

„Hallo, Liebes“, grüßte der Mann. Er beugte sich zu Karina hinunter und wollte sie auf den Mund küssen, doch sie drehte den Kopf zur Seite, und seine Lippen berührten ihre Wange. Er sah sie befremdet an. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“

„Das Essen ist seit einer Viertelstunde fertig“, sagte sie bissig.

„Tut mir leid, Sophie hat mich aufgehalten.“

„Das habe ich gesehen. Was wollte sie von dir?“

„Ihr Neffe hat Schwierigkeiten in der Schule. Sie wollte wissen, ob ich ihm Nachhilfeunterricht erteilen würde oder ob ich jemanden wüsste, der ihm auf die Sprünge helfen könnte.“

„Der Neffe ist doch bloß ein Vorwand. Es ist jedermann bekannt, worauf dieses mannstolle Weib wirklich aus ist.“

„Aber Schatz, du weißt doch, dass sie bei mir keine Chance hat.“

„So? Weiß ich das? Woher weiß ich das? Ich kann mit ihr nicht konkurrieren.“

„Sie ist keine Gefahr, Schatz.“

„Das sagst du, aber was denkst du?“

„Bitte, Karina, mach uns beiden doch nicht grundlos das Leben schwer.“

„Grundlos? Grundlos sagst du? Da gebe ich mir die allergrößte Mühe, mit dem Kochen rechtzeitig fertig zu werden, was für mich bestimmt nicht leicht ist, wie du dir denken kannst, und dann kommst du nicht ins Haus, sondern ziehst du es vor, mit der nymphomanen Nachbarin zu schäkern.“

„Ich habe mit Sophie nicht geschäkert.“

„Ich konnte leider nicht hören, was ihr wirklich gesprochen habt.“

„Du zweifelst an meiner Aufrichtigkeit?“

Karina deutete auf ihren gelähmten Körper und schluchzte: „Sieh mich an. Kann ich es mir leisten, leichtgläubig und unbekümmert zu sein?“

Hardy litt unter ihrem Gebrechen fast noch mehr als sie, weil sein Gewissen ihn immer wieder damit peinigte, dass er daran schuld war.

Wenn er in der Hochzeitsnacht nicht so unvernünftig gewesen wäre, wäre seiner Frau dieses entsetzliche Schicksal erspart geblieben.

Er bemühte sich, Karina zu besänftigen, und er beteuerte ihr einmal mehr, dass es für ihn nur sie gab. Dann half er ihr, das Essen zu servieren, und er sparte nicht mit Lob, obwohl die Rippchen und das Kraut nicht anders als sonst schmeckten , um ihr eine Freude zu machen und sie versöhnlich zu stimmen. Zwischen den Jungvermählten begann sich unmerklich ein Spannungsfeld aufzubauen.

Karina wurde immer sensibler, und es fiel Hardy immer schwerer, sie davon zu überzeugen, dass er sie noch genauso sehr liebte wie vor dem Unglück.

Wochen voller Zweifel und Argwohn vergingen. Hardy Evers wusste bald nicht mehr, wie er sich verhalten sollte und was er noch sagen durfte, ohne seine überempfindliche Frau zu kränken.

Er fasste sie mit Glacé-Handschuhen an, legte jedes Wort, das er sagte, vorher auf die Waage und war so verständnisvoll wie nur irgend möglich.

Dennoch hatte er ständig das Gefühl, dass eine Entladung des nächsten Gewitters permanent in der Luft lag und jederzeit zu befürchten war.

Sie quälten sich durch die Wochen. Mal ging es besser, mal schlechter, aber niemals gut. Trotzdem gab Hardy Evers die Hoffnung nicht auf, eine solide Basis zu finden, auf der es möglich war, mit seiner geliebten Frau zwistfrei zu leben.

Aber dann machte er einen großen Fehler ...

Er wusste aber erst hinterher, dass es ein Fehler gewesen war. Er hatte sich ehrlich nichts dabei gedacht ...

Sein Wagen streikte. Die Batterie war beinahe leer und hatte nicht mehr die Kraft, den Motor anzuwerfen. Da er Karina zu Hause nicht warten lassen wollte, fragte er Sandra Schütt, ob sie ihn heimbringen würde.

„Klar“, sagte die blonde Biologielehrerin. „Steig ein.“ Sie duzten einander inzwischen, doch das hatte nichts zu bedeuten. Es war lediglich ein kollegiales Du, mit dem sie das förmliche und unpersönliche Sie ersetzt hatten.

Der Verkehrsstrom kam an einer Baustelle ins Stocken. Die Fahrbahn verringerte sich von drei Spuren auf eine, und es dauerte eine Weile, bis der Smart das Nadelöhr passiert hatte.

„Kommst du inzwischen schon etwas besser mit den Schülern klar?“, fragte Hardy Evers.

Sandra Schütt seufzte. „Damit habe ich leider noch meine Probleme.“

„Du musst einfach härter durchgreifen.“

„Wenn ich das bloß könnte.“

„Güte ist Schwäche. Wenn du zu weich bist, tanzen dir die Kinder auf der Nase herum. Sie haben ganz schnell raus, bei wem sie sich nicht anzustrengen brauchen, und das fällt letztendlich auf dich zurück, denn wenn der Notendurchschnitt der gesamten Klasse sinkt, wird allgemein daraus geschlossen, dass du keine gute Lehrerin bist.“

„Ich habe mir das Unterrichten, ehrlich gesagt, etwas leichter vorgestellt“, gestand Sandra Schütt. Sie bog in die Straße ein, in der ihr Kollege wohnte. Von hier aus hatte sie nur noch fünf Minuten nach Hause. „Ich hatte gedacht, die Arbeit mit Kindern wäre einfach und würde Spaß machen“, sagte sie, „aber es ist ein Kampf ...“

„... der niemals aufhört“, sagte Hardy Evers.

Sandra hielt den kleinen Wagen vor seinem Haus an.

„Du musst die Zügel immer straff halten“, riet Hardy ihr. „Sowie du sie mal schleifen lässt, machen die Kinder sofort mit dir, was sie wollen.“ Sandra lächelte. „Ich werde versuchen, deinen Rat zu beherzigen. Mein Problem ist: Ich liebe Kinder über alles. Deshalb fällt es mir so schwer, sie hart anzufassen.“

„Glaube mir, du tust ihnen damit einen Gefallen“, sagte Hardy. „Danke fürs Bringen.“

„Nichts zu danken.“

„Vielleicht kann ich mich mal revanchieren.“

„Das ist wirklich nicht nötig.“ Hardy stieg aus. Sandra fuhr weiter. Er hob die Hand und winkte ihr. Sie winkte zurück, ihr Wagen bog um die Ecke und war nicht mehr zu sehen.

Hardy betrat sein Haus. „Hallo, Liebes!“, rief er. „Ich bin zu Hause!“

In der Küche klirrte es. Hardy erschrak. Hatte Karina einen Teller fallen lassen? Ging es ihr nicht gut?

„Karina!“ Er stürmte los, erreichte die Küchentür, riss sie auf. „Karina, was ...“

Karina, in Tränen aufgelöst, schleuderte einen Teller nach ihm. Wenn er sich nicht blitzschnell geduckt hätte, hätte das Wurfgeschoss seinen Kopf getroffen, so aber zerschellte es hinter ihm an der Wand. Und Karina hielt bereits den nächsten Teller in der Hand.

„Um Himmels willen, Karina, was ...“

Der Teller kam geflogen. Hardy brachte sich mit einem Schritt zur Seite aus der Flugbahn, der Teller zerschellte an der gleichen Stelle wie der andere, und Karina warf weiter.

„Herrgott, Karina, hör auf!“, schrie Hardy. „Hör auf! Willst du das ganze Geschirr kaputtschmeißen?“

„Ich hasse dich!“, schrie Karina. „Aber warum denn?“

„War es schön mit dieser Schlampe?“

„Sandra Schütt ist eine Kollegin, keine Schlampe“, entgegnete Hardy energisch.

Ein weiterer Teller kam geflogen. „Nicht genug, dass du mich betrügst, lässt du dich von diesem Miststück auch noch nach Hause bringen“, schrie Karina.

„Wann hätte ich dich denn betrügen sollen? Ich komme direkt vom Unterricht nach Hause ...“

Noch ein Teller musste dran glauben.

„So viel Zeit lässt sich immer abzweigen“, keifte Karina. „Das lässt sich arrangieren. Halt mich nicht für blöd. Ich bin ebenfalls Lehrerin. Mir kannst du nichts erzählen. Man trägt den Schülern auf, sich eine halbe Stunde selbst zu beschäftigen, bestimmt einen Aufpasser und verdrückt sich. Oder man lässt sich von einem verständnisvollen Kollegen vertreten ...“

„Mein Wagen sprang nicht an. Ich wollte dich nicht warten lassen, deshalb habe ich Sandra gebeten, mich heimzubringen, und sie war so nett, dies zu tun.“

Wieder flog ein Teller durch die Luft.

„Sie ist nett und schön und hat gesunde Beine“, schrie Karina.

Damit sie nicht noch mehr Geschirr zerbrach, entschloss Hardy sich, anzugreifen. Er stürmte in die Küche. Karina hatte eine Untertasse in der Hand. Er packte ihren Arm.

„Fass mich nicht an!“, schrie sie. „Fass mich mit diesen Händen nie wieder an!“

Sie wehrte sich mit ganzer Kraft, doch er war stärker, brach ihren Widerstand, entwand ihr die Untertasse, legte sie beiseite und schob den Rollstuhl mit seiner schreienden, schimpfenden und tobenden Frau aus der Küche.

Im Wohnzimmer brach sie von einer Sekunde zur andern seelisch total zusammen und weinte nur noch haltlos. Hardy versuchte vergeblich, sie zu beruhigen.

Er beteuerte ihr immer wieder, dass er mit seiner Kollegin nichts hatte, doch Karina schien es ihm nicht zu glauben, oder hörte sie in ihrem wahnsinnigen, von Eifersucht und Verzweiflung geprägten Schmerz überhaupt nicht, was er sagte?

Nachdem ihre Tränen versiegt waren, folgte eine Stille, die für Hardy fast noch quälender war als ihr Schreien und Toben. Er holte die Handschaufel und den Handbesen und entfernte die Spuren von Karinas Anfall.

Sie saß reglos wie eine Puppe in ihrem Rollstuhl und starrte aus dem Fenster.

„Bist du in Ordnung?“, erkundigte er sich.

Sie schwieg.

„Brauchst du etwas?“, fragte er. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“

Sie antwortete nicht.

Er ging nach oben. Das frühere Schlafzimmer diente ihm jetzt als Büro. Er versuchte zu arbeiten, doch er konnte sich nicht konzentrieren.

Nach einer Stunde stand er vom Schreibtisch auf und ging wieder nach unten. Karina hatte sich keinen Millimeter von der Stelle gerührt.

Sie saß noch immer wie eingefroren im Rollstuhl und starrte geistesabwesend aus dem Fenster, und er fragte sich: Ist das das Ende unserer Ehe?

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