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Sobald Dr. Kayser die Seeberg-Klinik verlassen hatte, holte er sein Handy aus der Tasche und rief Hardy Evers an, doch der junge Lehrer war nicht zu Hause.

Also beschloss der Grünwalder Arzt, zu Nina Marmann zu fahren und Karina Evers zu erzählen, was er alles von Dr. Ulrich Seeberg erfahren hatte.

Nina öffnete die Haustür.

„Herr Dr. Kayser“, rief sie überrascht aus.

„Guten Tag, Frau Marmann“, sagte Sven. „Ist Ihre Schwester da?“

„Ja. Sie ist hinten im Garten.“

„Ich muss sie dringend sprechen.“

„Kommen Sie herein“, sagte Nina Marmann und gab die Tür frei. Dr. Kayser trat ins Haus. „War Hardy bei Ihnen?“, fragte Nina. In der Diele hing eine große Giraffe an der Wand, die aus gelbem Hanf geflochten war.

Dr. Kayser nickte. „Aber deswegen bin ich nicht hier. Ich habe gute Neuigkeiten für Karina.“

„Sie ist vorhin eingenickt“, berichtete Nina. „Soll ich sie wecken?“

„Gönnen wir ihr eine halbe Stunde“, entschied der Grünwalder Arzt.

Nina führte ihn ins Haus. Er warf einen Blick durch die Terrassentür in den Garten. Unter einer Birke stand der Rollstuhl, in dem Karina Evers mit nach vorn hängendem Kopf saß. Der Rollstuhl, den sie vielleicht schon bald nicht mehr brauchte.

Nina Marmann und der praktische Arzt setzten sich ins Wohnzimmer.

Nina musterte gespannt die scharf geschnittenen Züge des Doktors. „Was sind das für gute Neuigkeiten, die Sie für meine Schwester haben?“, fragte sie.

„Dr. Mark Fabrick, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, wäre bereit, Karina zu operieren. Er leitet in Los Angeles eine Klinik für Querschnittgelähmte, war zu Besuch in der Waldener Klinik, und Dr. Seeberg hat ihm von Ihrer Schwester erzählt und ihm die Röntgenaufnahmen gezeigt. Dr. Fabrick ist sehr zuversichtlich, Karina helfen zu können. Nach der Operation möchte er sie in seiner Klinik einem speziellen, von ihm persönlich entwickelten Training auf dem Lauf band unterziehen ...“

„Auf dem Laufband?“, fragte Nina Marmann ungläubig. „Wie soll Karina denn ...“

„Durch die Laufbandtherapie kann Ihre Schwester ihre Gehfähigkeit wiedererlangen“, behauptete Dr. Kayser. „Alle Befehle, die vom Gehirn an andere Körperteile weitergeleitet werden, gehen durch die Nervenzellen des Rückenmarks“, erklärte er. „Kommt es infolge eines Unfalls oder einer Tumorerkrankung zu einer schweren Verletzung des Rückenmarks, besteht zurzeit noch keine Hoffnung auf Heilung, da sich solche Nervenzellen nicht gut regenerieren können. Heutzutage erleiden jedoch immer weniger Personen auch aufgrund der verbesserten Erstversorgung, ein vollständiges Durchtrennen der Nervenstränge im Rückenmark. Oft verbleiben ihnen, das ist auch bei Karina der Fall noch ‘Restfähigkeiten’, den einen oder anderen Muskel bewusst anzusprechen, ohne dass daraus bereits eine kontrollierte Bewegung, erst recht keine Gehbewegung, resultieren würde.“

Dr. Kayser erzählte von einem Patienten, der nach einem schweren Motorradunfall neun Jahre im Rollstuhl gesessen und vor drei Jahren von Dr. Fabricks neuer Therapie, dem Laufband Training, für Querschnittgelähmte gehört hatte.

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gehen soll“, sagte Nina Marmann.

„Nun“, erläuterte Dr. Kayser, „der Patient wird dabei von einem Gurt gehalten, solange er das volle Körpergewicht nicht selbst tragen kann. Der verunglückte Motorradfahrer trainierte schon nach einigen Wochen mit voller Belastung. Eine erfahrene Therapeutin half ihm dabei, einen Fuß nach dem anderen zu setzen, und er lernte mit der Zeit seine Beine immer bewusster zu bewegen. Selbstverständlich wäre dies nicht möglich gewesen, wenn nicht noch einige Nervenstränge im Rückenmark intakt gewesen wären.

Für Dr. Fabricks Therapie kommen nur Patienten mit einer inkompletten Querschnittlähmung in Frage, wie Karina. Zu Beginn konnte jener gelähmte Motorradfahrer sich nur mit drei Hilfspersonen mühsam fortbewegen. Gegen Ende der Behandlung kam er sogar eine Treppe hoch und konnte mit einem Rollator eigenständig laufen.“

Nina Marmann schüttelte langsam den Kopf. „Ich begreife das nicht, Herr Doktor. Wie schafft man es, mit gelähmten Beinen zu gehen?“

„Dr. Fabrick hat entdeckt, dass das Rückenmark Automatismen, motorische Programme beherbergt, die abrufbar sind“, erklärte Sven Kayser weiter. „Und das zweite ist, dass das Rückenmark lernfähig ist. Katzen mit durchtrenntem Rückenmark schreiten automatisch auf dem Laufband, je mehr sie trainieren, desto besser. Das beweist: Im Rückenmark sind ‘Schreitprogramme’ gespeichert, es kann lernen. Jemand, der also das Gehen wieder erlernen will, selbst mit einem verletzten Rückenmark, muss genau das üben, nämlich das Gehen. Denn das Rückenmark braucht Reize von den Füßen und Beinen, damit die Schreitreflexe ausgelöst werden.“

Sven machte eine kurze Pause. Dann fuhr er fort: „Ich meine, wer, wie Karina, die Voraussetzungen für eine Laufbandtherapie mitbringt, sollte von dieser Chance auf jeden Fall Gebrauch machen.“

„Guten Tag, Herr Dr. Kayser“, sagte plötzlich Karina Evers. Ihr Rollstuhl stand in der offenen Terrassentür, und der Grünwalder Arzt glaubte in ihrem Blick erkennen zu können, dass sie einen Großteil dessen, was er gesagt hatte, mitbekommen hatte.

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