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Erna Aubauer war eine schwierige Patientin, mit der Schwester Gudrun immer wieder ihre liebe Not hatte. Frau Aubauer, der zumeist absolut nichts fehlte, die sich aber stets sterbenskrank fühlte, wollte nie warten, verlangte jedes Mal unverfroren, von Dr. Kayser sofort drangenommen zu werden, kam bei der resoluten Sprechstundenhilfe damit aber nie durch und war deshalb jedes Mal mächtig sauer auf die Berlinerin.

Die beiden Frauen befanden sich einmal mehr auf Kollisionskurs.

„Sie müssen mich einschieben, Schwester!“, verlangte Erna Aubauer ungeduldig.

Gudrun Giesecke schüttelte ungerührt den Kopf. „Kommt nich in Fraje, Frau Aubauer.“

„Ich habe Herzbeschwerden.“

„Se müssen warten, bis Se an der Reihe sind, wie alle anderen Patienten ooch.“

„Sie können von mir doch nicht verlangen ...“

„Ick kann, Frau Aubauer. Ick kann“, sagte Schwester Gudrun kühl.'

„Und was ist, wenn ich im Wartezimmer zusammenklappe?“

„Dat werden Se schon nich.“

„Und wenn doch?“

Gudrun Giesecke lächelte. „Jeben Se sich keene Mühe, Frau Aubauer. Ick koofe Ihnen Ihre Herzbeschwerden nich ab.“

„So eine Unverschämtheit“, begehrte Erna Aubauer auf. „Sie sind keine Ärztin ...“

„Aber ick habe jede Menge Menschenkenntnis, und jahrzehntelange Erfahrung als Arzthelferin, die es mir ermöglicht, ’nen wirklich Kranken von ’nem Hypochonder zu unterscheiden.“ Erna Aubauer riss empört die Augen auf und japste nach Luft. „Wollen Sie mir etwa unterstellen ...“

„Ick unterstelle Ihnen überhaupt nichts, Frau Aubauer“, entgegnete Schwester Gudrun gelassen. „Ick bestehe lediglich darauf, dat Se sich an die Regeln halten, sich zu den anderen Patienten setzen, sich in Jeduld fassen und warten, bis der Herr Doktor Se aufruft.“

„Ich werde mich bei Dr. Kayser über Sie beschweren.“

Gudrun zuckte mit den Schultern. „Beschweren Se sich meinetwejen beim Salzamt, dat kratzt mir nich.“ Normalerweise sprach die grauhaarige Sprechstundenhilfe nicht so mit Patienten, aber bei Erna Aubauer machte sie eine Ausnahme, weil diese unleidliche Person sie schon zu oft geärgert hatte.

„Beim Salzamt.“ Erna Aubauer japste erneut nach Luft. „Na... Na...“ Sie drohte der korpulenten Berlinerin mit der Faust. „Ich werde dafür sorgen, dass Dr. Kayser Sie in hohem Bogen hinauswirft.“

„Damit werden Se keen Jlück haben, meene Beste.“ Gudrun wusste, dass sie nichts zu befürchten hatte. Dr. Kayser verlor lieber diese unleidliche Patientin als seine wertvolle Mitarbeiterin.

„Dann, dann werde ich mir einen anderen Hausarzt suchen.“

Schwester Gudrun hob gelassen die Schultern. „Tun Se, wat Se nich lassen können.“ Das Telefon läutete. Die Arzthelferin nahm den Hörer ab. „Praxis Dr. Kayser. Schwester Gudrun ... Och, schon wieder? Wie hoch fiebert unser kleenes Männlein denn diesmal? Ja ... ja, ick saje dem Herrn Doktor Bescheid. Er kommt, sobald er kann ... Aber selbstverständlich ... Grüßen Se den Kleenen janz lieb von mir.“ Sie legte auf.

Erna Aubauer stand immer noch vor ihr.

„Tja, Frau Aubauer“, sagte Gudrun Giesecke, „ick kann wirklich nüscht für Se tun. Entweder Se warten oder Se jehen.“

Erna Aubauer fauchte mit zornsprühenden Augen: „Ich gehe! Und ich komme nie mehr wieder!“

„Diese Freude werden Se uns doch nich wirklich machen“, hätte Gudrun Giesecke beinahe gesagt. „Tut mir leid, dat Se so uneinsichtig sind“, sagte sie stattdessen.

Die Patientin musterte die Sprechstundenhilfe abschätzig. „Sie haben wir hier gerade noch gebraucht. Warum sind Sie nicht in Berlin geblieben?“

„Machen Se, dat Se rauskommen, ehe ick mir vajesse, Frau Aubauer.“ Erna Aubauer zog die Mundwinkel nach unten. „Ist schon eine Ewigkeit in München und kann noch immer nicht richtig Deutsch.“

Schwester Gudrun bewies, dass sie das sehr wohl konnte. In gepflegtestem Hochdeutsch sagte sie: „Ich kann, wenn ich will, meine Liebe, während Sie es wohl nie schaffen werden, irgendeinem Menschen sympathisch zu sein.“

Daraufhin verließ die Patientin, die Dr. Kayser ohnedies nur wieder die Zeit gestohlen hätte, fuchsteufelswild die Grünwalder Arztpraxis.

Als Schwester Gudrun Dr. Kayser wenig später eine Tasse Kaffee auf den Schreibtisch stellte, erzählte sie ihm von ihrem neuen Hader mit Erna Aubauer.

„Keine Sorge, Icke“, sagte Sven Kayser lächelnd. „Frau Aubauer sucht sich mit Sicherheit keinen anderen Hausarzt. Es ist zu befürchten, dass sie uns schon sehr bald wieder auf den Nerven herumtrampelt.“

Eine Stunde danach begann der Grünwalder Arzt mit den Hausbesuchen. Dabei begegnet er auf der Straße zufällig Hardy Evers. Der junge Lehrer machte einen zutiefst deprimierten Eindruck, und als Sven ihn darauf ansprach, schüttete Hardy ihm sogleich sein Herz aus.

„Das Leben mit Karina wird immer schwieriger“, klagte er.

„Kommt sie physisch mit ihrer Behinderung nicht klar?“, fragte Dr. Kayser.

„Physisch hat sie damit keine Probleme, aber psychisch. Sie hält sich für minderwertig. Ich sage ihr immer wieder, dass sich für mich nichts geändert hat, dass ich sie nach wie vor liebe, dass es für mich keinen Unterschied macht, ob sie ihre Beine gebrauchen kann oder nicht.“

„Und?“

Hardy Evers zuckte mit den Schultern. „Sie glaubt mir nicht. Sie quält sich, und mich mit einer völlig unbegründeten Eifersucht. Ich habe ihr schon x-mal gesagt, dass ich an anderen Frauen nicht interessiert bin, aber auch das kauft sie mir nicht ab. Sie sieht in nahezu jeder Frau eine Rivalin, an die sie mich verlieren könnte. Wenn sie so weitermacht, wird sie daran zerbrechen.“

Er erzählte von Karinas gestrigem Tobsuchtsanfall und wodurch er ausgelöst worden war. „Die Sache war völlig harmlos, aber Karina gebärdete sich wie eine Verrückte.“ Er hatte plötzlich eine Idee. „Wie wär’s, wenn Sie mal mit meiner Frau reden würden, Herr Doktor? Ich habe Karina noch immer wahnsinnig gern und möchte sie nicht verlieren. Kommen Sie doch am Wochenende zum Kaffee zu uns. Könnten Sie das einrichten?“

Dr. Kayser nickte. „Sicher. Kein Problem.“

„Vielleicht schaffen Sie es, Karina zur Vernunft zu bringen und ihr klarzumachen, dass es für mich nichts Wichtigeres gibt als sie und unsere Ehe.“

„Wir werden sehen, ob ich einen Zugang zu ihr finde“, sagte Sven Kayser.

„Das hoffe ich sehr“, seufzte der junge Mann, „weil ich sonst nämlich schon bald nicht mehr weiß, wie es mit uns weitergehen soll.“

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