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„Von wann bis wann fand der Dreißigjährige Krieg statt?“, fragte Hardy Evers. Er wanderte im Klassenzimmer umher. Nun blieb er vor einem schmalgesichtigen Jungen, der eine dicke Brille trug, stehen. „Schumann?“

„Von 1618 bis 1648“, antwortete der Schüler wie aus der Pistole geschossen.

„Richtig.“ Hardy Evers nickte zufrieden. Schumann war einer der Besten. Der schüttelte die Jahreszahlen nach Belieben aus dem Ärmel. Evers setzte seine Wanderung fort. Er versuchte nicht an seine Frau zu denken. Zwingen wollte sie ihn. Zu seinem Glück. Als ob es ein Glück für ihn gewesen wäre, ohne sie leben zu müssen. Er verdrängte das Gespräch, das vor zwei Tagen stattgefunden hatte und konzentrierte sich auf seine Arbeit. „Die Ursachen hierfür waren zum einen unüberwindbare Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten und zum andern das Streben der Reichsstände nach Erweiterung ihrer Macht“, erklärte er seinen Schülern. „Es kam zum Böhmisch Pfälzischen Krieg ...“ Wieder blieb er stehen. Diesmal vor einem unscheinbaren Jungen mit krausem Haar. „Müller?“

„Von 1618 bis 1623.“

„Genau“, sagte Hardy Evers. „Aufstand der vorwiegend protestantischen Stände Böhmens“, fügte er hinzu. „Wir erinnern uns an den Prager Fenstersturz. Absetzung König Ferdinands II., Wahl Kurfürst Friedrichs V. von der Pfalz zum König von Böhmen, der 1620 bei Prag in der Schlacht am Weißen Berg von Kaiser Ferdinand und der Liga besiegt wurde. Es folgte der Niedersächsisch Dänische Krieg ...“ Er war weitergegangen, hatte die letzte Bankreihe erreicht. „Radkolb?“

„1624 bis 1628“, sagte Radkolb mit blitzender Zahnregulierung.

„Wie war das?“ Hardy Evers legte die Hand hinter sein Ohr.

„Entschuldigung“, sagte Radkolb schnell. „1625 bis 1629“, korrigierte er sich.

Hardy Evers lächelte ihn an. „Ja, damit bin ich zufrieden. Und wie ging es weiter ... Eichinger?“

„Mit dem Schwedischen Krieg.“

„Von? Bis?“

„1630 bis 1635“, sagte Eichinger. Der Junge hatte einen so extremen Haltungsschaden, dass er vom Schularzt vom Turnen befreit worden war. Aber in Geschichte war er fast ebenso gut wie Schumann. Das stellte er auch gleich eifrig unter Beweis, indem er fortfuhr: „Und von 1635 bis 1648 kam es zum Schwedisch Französischen Krieg. Von 1644 an wurde dann verhandelt, und der Abschluss des Westfälischen Friedens kam schließlich 1648 zustande.“

„Exakt“, sagte der junge Geschichtslehrer. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Die Unterrichtsstunde würde gleich zu Ende sein. Einer der Schüler träumte in den Tag hinein. Ihn nahm Hardy Evers als nächsten aufs Korn. „Was für Folgen hatte der Dreißigjährige Krieg? Brunnhuber?“

„Folgen? Äh ... Der, der Dreißigjährige Krieg?“

„Über den wir uns die ganze Zeit unterhalten, während du zum Fenster hinaussiehst und Maulaffen feilhältst“, rügte Hardy Evers den Schüler. „Die Folgen waren ...“, führte er mit erhobener Stimme aus, „... dass beispielsweise der konfessionelle Gegensatz in Deutschland endgültig staatsrechtlich fixiert wurde. Am schwersten aber wog die soziale und wirtschaftliche Katastrophe. Die Bevölkerungsverluste betrugen etwa vierzig Prozent auf dem Land, etwa dreiunddreißig Prozent in den Städten, in den am ärgsten betroffenen Gebieten zum Beispiel in Brandenburg, Pommern und Oberdeutschland, bis zu achtzig Prozent. Erst nach hundert Jahren wurde der Bevölkerungszustand von 1620, der damals sechzehn Millionen betrug, durch intensive Einwanderungspolitik der deutschen Landesherren wieder erreicht. Das sind Fakten, die man sich merken sollte, Brunnhuber.“

„Ja“, sagte der Schüler kleinlaut.

„Freut mich, dass du das auch findest“, sagte der junge Lehrer, und dann läutete draußen auf dem Gang die Glocke.

Sandra Schütte hatte zum ersten Mal im Unterricht hart durchgegriffen und sich Respekt verschafft, das erzählte sie Hardy Evers, als sie ihn auf dem Schulhof traf. „Du hättest sehen sollen, wie die nachher gespurt haben“, sagte sie stolz. „Wie ausgewechselt waren sie.“

Er lächelte. „War ein grandioses Erfolgserlebnis für dich, wie?“

Die blonde Kollegin nickte. „Kann man wohl sagen. Du hattest recht, Hardy. Güte ist wirklich Schwäche. Ich wollte das einfach nicht glauben. Ich dachte, wenn ich die Kinder freundlich, gütig und verständnisvoll behandle, nehmen sie das dankbar an und reagieren mit Sanftmut, Eifer und Gehorsam. Wie man in den Wald ruft ...“

Hardy Evers schüttelte den Kopf. „Dieser schöne Spruch gilt nicht für Lehrer, wenn sie unterrichten.“ Sandra Schütt sagte entschlossen: „Ich werde von nun an immer so forsch auftreten, um mir bei meinen Schülern den nötigen Respekt zu verschaffen.“

„Bravo, Frau Kollegin“, sagte Hardy schmunzelnd. „Sie haben heute etwas sehr Wichtiges dazugelernt.“ Eine Windbö fuhr in Sandras goldenes Haar und warf es ihr übers Gesicht. Sie strich es mit einer anmutigen Bewegung zurück und fragte, wie es Hardys Frau gehe. Seine Miene wurde ernst, sein Blick verdüsterte sich.

„Ich hätte wohl nicht fragen sollen“, sagte Sandra bedauernd.

„Nein, nein, ist schon in Ordnung“, erwiderte Hardy. Er richtete den Blick auf seine glänzenden Schuhspitzen. „Karina hat mir vor zwei Tagen einen indiskutablen Vorschlag gemacht. Sie hat mir empfohlen, zu gehen.“

„Zu gehen?“

Hardy nickte bitter. „Ich soll sie verlassen.“

„Warum denn das?“

Hardy hob die Schultern. „Sie möchte nicht länger ein Klotz an meinem Bein sein.“

„Liebt sie dich denn nicht mehr?“

„Ich denke, Sie liebt mich so sehr, dass sie bereit ist, mich freizugeben, damit ich mir eine andere Frau suchen kann. Eine gesunde Frau. Eine, mit der ich Kinder haben und ein normales Leben führen kann, und bei deren Anblick ich nicht ständig von schlimmen Schuldgefühlen geplagt werde. Sie hat beschlossen, mir zuliebe auf mich zu verzichten, obwohl ich das weder verlangt habe noch möchte.“

„Es ist ihr bestimmt nicht leichtgefallen, sich dazu durchzuringen“, sagte Sandra Schütt.

„Wenn ich sie nicht freiwillig verlasse, will sie mich dazu zwingen.“

„Wie will sie das anstellen?“

„Keine Ahnung. Ich weiß nur eines: Es wird ihr nicht gelingen.“

Die schöne Kollegin berührte leicht seinen Arm. „Wenn du jemanden zum Reden brauchst, Hardy ... Ich bin jederzeit für dich da.“

„Ja.“ Er nickte fahrig. „Danke, Sandra.“ Als er zwei Stunden später nach Hause kam, war Karina weg, und sie hatte ihm nicht die kleinste Nachricht hinterlassen.

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