Читать книгу Eifersucht, Tränen und letzter Wunsch: 5 Arztromane - A. F. Morland - Страница 14
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Оглавление„Ebenfalls Nachtdienst heute, Schwester Katja?“, fragte Oberarzt Dr. Alfred Berger die schöne Pflegerin.
„Muss auch sein“, gab Katja Stemmle mit kleinem Lächeln zurück.
„Hoffentlich benehmen die Patienten sich gesittet“, sagte Alfred Berger. Er sah großartig aus und hatte eine Schwäche für Katja. Jeder in der Paracelsus-Klinik wusste das, doch es störte ihn nicht. „Manche meinen ja, nachts einen Weltrekord im Dauerklingeln aufstellen zu müssen.“
Katja dachte an Martha Golombek, die morgen entlassen werden sollte. Sie wird heute noch einmal dafür sorgen, dass wir sie nicht so bald vergessen, ging es ihr durch den Sinn.
Dr. Berger strich sich mit dem Finger über den sorgfältig gestutzten Oberlippenbart. Er war von Kopf bis Fuß eine elegante, adrette Erscheinung.
„Darf ich Sie später zu einem Kaffee einladen?“, erkundigte er sich.
„Sie dürfen“, gab die junge Pflegerin zurück.
Dann trennten sich ihre Wege. Dr. Härtling kam aus dem Kreißsaal. Er hatte soeben eine Frau mittleren Alters von Zwillingen entbunden und war nun auf dem Weg zum Operationssaal.
„Guten Abend, Chef“, grüßte Katja.
„Ah, Schwester Katja. Frau Golombek wird sich freuen, Sie zu sehen. Sie ist heute besonders gut drauf.“
„Ich nehme an, das heißt, ihr passt heute überhaupt nichts.“
„Sie arbeitet mit großem Eifer darauf hin, sich ein Denkmal zu setzen“, erzählte der Klinikchef. „Schwester Annegret war heute bereits zweimal nahe daran, alles hinzuschmeißen und unbezahlten Urlaub zu nehmen.“
„Auf die Ärmste hat es Frau Golombek ganz besonders abgesehen.“ Dr. Härtling nickte mit finsterer Miene, bat die Pflegerin, ihn zu entschuldigen, und eilte weiter.
Als Katja wenig später Schwester Annegret begegnete, sagte diese geschafft: „Ich zünde morgen eine Kerze an, wenn diese Furie uns verlässt. Ach was, eine Kerze, ein Freudenfeuer brenne ich ab - mit der Matratze, auf der Martha Golombek gelegen hat.“
„Gehen Sie nach Hause und erholen Sie sich von den Strapazen, Schwester!“, riet Katja der alten Kollegin. „Morgen, wenn Frau Golombek weg ist, scheint für uns alle wieder die Sonne.“
„O ja.“ Schwester Annegret nickte kräftig. „Die Sonne. Da haben Sie recht.“
Nachdem Schwester Annegret nach Hause gegangen war, machte Schwester Katja eine Runde durch die Station. Sie ließ sich auch bei Martha Golombek blicken.
„Na, Frau Golombek“, sagte sie freundlich. „Ist alles in Ordnung?“
„Machen Sie sich über mich lustig oder was?“, gab die Patientin bissig zurück.
Katja blieb freundlich. Sie wollte sich von der unleidlichen Patientin nicht aus der Reserve locken lassen. „Wieso?“
„Nichts ist in Ordnung“, blaffte Frau Golombek. „Überhaupt nichts. Ich liege hier seit vielen Stunden, ohne dass sich jemand um mich kümmert.“
„Das kann nicht sein.“
„Ich habe seit mindestens einer Stunde niemanden mehr zu Gesicht bekommen. Mit mir hätte sonst was sein können, es wäre keinem aufgefallen.“
„Schwester Annegret war doch bei Ihnen.“
„Die Rentnerin zählt nicht. Das ist für mich keine vollwertige Kraft.“
Katja lächelte sanft und geduldig.
„Nun bin ich für Sie da, und ich werde mich bemühen, dafür zu sorgen, dass in der letzten Nacht, die Sie in der Paracelsus-Klinik verbringen, alles zu Ihrer Zufriedenheit ist.“
„In der letzten Nacht. Wie Sie das sagen. Das klingt so, als würden Sie sich freuen, mich endlich loszuwerden.“
„Sie haben recht“, gab Katja Stemmle zu. „Ich freue mich ...“
„Na, bitte, ich habe Sie durchschaut.“
„Ich freue mich, dass Sie wieder ganz gesund sind“, sagte Katja.
„Das bin ich nicht.“
„Man würde Sie nicht nach Hause schicken, wenn dies vom medizinischen Standpunkt aus nicht zu verantworten wäre.“
„Machen wir uns doch nichts vor, Schwester Katja. Meinen Sie, ich bin blöd? Ich weiß, warum ich morgen heimgehen darf. Man schmeißt mich raus, weil man sich mit mir nicht mehr ärgern möchte. Das ist der Grund für meine vorzeitige Entlassung. Um meine Werte schert sich hier doch kein Teufel.“
Katja widersprach nicht. Warum sollte sie Martha Golombek reizen? Wenn sie sich mit der Patientin anlegte, rächte diese sich unter Garantie damit, dass sie pausenlos nach ihr läutete, und die Klingel abschalten, das durfte nicht sein.
„Kann ich irgendetwas für Sie tun, Frau Golombek?“, erkundigte sich die dunkelhaarige Pflegerin pflichteifrig.
„Jetzt nicht. Vielleicht später.“
„Später sollten Sie schlafen.“
„Damit Sie keine Arbeit mit mir haben.“ Martha Golombek lachte hart. „Das könnte Ihnen so passen. Sie bekommen Ihr Gehalt nicht fürs Herumsitzen, sondern dafür, dass Sie springen, wenn ein Patient nach Ihnen klingelt.“
Und Katja Stemmle sprang. Jede halbe Stunde wollte die boshafte Patientin etwas anderes. Sie schien es darauf anzulegen, dass Katja der Kragen platzte, doch diese Freude machte die Schwester ihr nicht.
Als sie mit Dr. Berger dann im Ärztezimmer den Kaffee trank, zu dem er sie einladen durfte, stellte der Oberarzt fest: „Sie sehen bereits ziemlich geschafft aus. Tut Ihnen der Nachtdienst nicht gut?“
„Mir tut nur dieser Nachtdienst nicht gut“, gab die schöne Schwester zurück. „Im Allgemeinen habe ich damit keine Probleme.“ Und dann erzählte sie von Martha Golombek, der Königin der Unleidlichkeit.
„Soll ich sie zur Räson bringen?“, bot Alfred Berger sich an.
Schwester Katja schüttelte den Kopf.
„Nein. Das würden Sie nicht schaffen.“
„Ich könnte es ja mal versuchen.“
„Sie ist ja nur noch diese eine Nacht hier. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich werde meinen Dienst schon irgendwie hinter mich bringen.“
Der Oberarzt sagte mit finsterer Miene: „Es steht keinem Menschen zu, seine Mitmenschen bis aufs Blut zu quälen.“
Katja Stemmle lächelte.
„Frau Golombek meint, dieses Recht zu haben.“ Sie trank einen Schluck Kaffee.
„Dann muss man sie eben eines Besseren belehren“, sagte Dr. Berger. Er strich sich über seinen Oberlippenbart. Das war eine ganz typische Geste für ihn.
„Das ist bei dieser Frau zwecklos“, behauptete Katja. „Sie hält sich für etwas Besonderes, und die ganze Welt muss ihr untertan sein.“
„Dann sollte man sie gleich von hier in eine psychiatrische Anstalt überstellen“, brummte Alfred Berger. Und wieder strich er sich mit dem Finger über den Bart. Wie oft mochte er das wohl am Tag tun? „Schmeckt Ihnen der Kaffee, Schwester Katja?“ erkundigte er sich.
„Er ist sehr gut und tut mir gut“, antwortete die hübsche Pflegerin.
„Ich gebe immer eine Prise Salz und ein kleines Löffelchen Kakaopulver dazu“, erklärte der gut aussehende Oberarzt.
„Muss ich mir merken“, sagte Schwester Katja.
„Mögen Sie Mozart?“, fragte Dr. Alfred Berger unvermittelt.
Katja sah ihn überrascht an.
„Er ist unter den Klassikern mein Lieblingskomponist.“
Alfred Berger lachte. „Na so was, meiner auch.“
„Wie kommen Sie jetzt auf Mozart?“, fragte Katja verwundert.
„Ich hätte Karten für ein Freiluft Benefizkonzert der Berliner Symphoniker. Nächsten Samstag. Mozart steht auf dem Programm. Es wäre mir eine große Freude, wenn Sie mich begleiten würden.“
„Würde ich sehr gern ...“
„Aber?“
Schwester Katja lächelte. „Ich bin verlobt.“
„Ist Ihr Verlobter sehr eifersüchtig?“
„Das nicht“, gab die schöne Pflegerin zur Antwort, „aber ich fände es nicht richtig, ihm den Samstagabend zu vermiesen, indem ich mit Ihnen ausgehe.“ Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Trotzdem - danke für die Einladung.“
,,Wenn ich da allein hingehe, ist für mich selbst Mozart nur ein halber Genuss“, sagte Alfred Berger dunkel.
„Ich bin sicher, Sie werden jemand anderen finden, der diesen Genuss mit Ihnen teilt.“
„Mag Ihr Verlobter ebenfalls Mozart?“
„Bei ihm steht Verdi an erster Stelle“, antwortete Schwester Katja. „Mozart rangiert auf Platz zwei.“
„Angenommen, ich möchte Ihnen die Karten schenken. Würden Sie sie annehmen?“
„Nun ja ...“
„Es würde Sie zu nichts verpflichten“, beeilte sich der Oberarzt zu versichern. „Ich wüsste nicht, mit wem ich das Konzert besuchen sollte, und es wäre - da sind Sie sicher meiner Meinung - ein Verbrechen an der hohen Kunst, sie verfallen zu lassen.“ Katja teilte diese Ansicht und nahm die Eintrittskarten dankend an.
„Ihr Verlobter darf sich zu Ihnen gratulieren“, stellte der Oberarzt sehr ernst fest. „Ich hoffe, er weiß, was er an Ihnen hat.“
„Ich denke schon, dass er das weiß.“
Dr. Bergers Miene verfinsterte sich.
„Ich hatte auch mal jemanden wie Sie“, sagte er dunkel. „Sie hieß Marlene.“ Sein Blick wanderte in eine geistige Ferne. „Marlene Heyer“, erinnerte er sich. „Liegt schon ein paar Jahre zurück.“ Er schaute Katja wieder an. „Marlene sah Ihnen sehr ähnlich. Sie hatte das gleiche schöne dunkle Haar wie Sie, das gleiche angenehme Wesen wie Sie, liebte Mozart wie Sie, ging, sprach und lachte wie Sie ...“
„Und nun glauben Sie, ich könnte eine zweite Marlene für Sie werden“, nahm Katja Stemmle an. „Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Dr. Berger.“
„Alfred. Bitte nennen Sie mich Alfred“, bat der gut aussehende Arzt. „Wir wollten heiraten - Marlene und ich.“
„Warum ist nichts daraus geworden?“
Ein grimmiger Ausdruck kerbte sich um Dr. Bergers Lippen.
„Mein nichtsnutziger Bruder hat ihr so sehr den Kopf verdreht, dass sie plötzlich nicht mehr sicher war, ob sie meine Frau werden wollte. Torsten ist ein skrupelloser Schürzenjäger. Um eine Frau, die ihm gefällt, für sich zu gewinnen, geht er eiskalt über Leichen. Er machte auch vor Marlene nicht halt. Torsten ist der einzige Mensch auf der Welt, den ich hasse. An und für sich ist Hass für mich ein Fremdwort, aber meinen Bruder hasse ich aus tiefster Seele, weil er so rücksichtslos mein Glück zerstört hat. Er konnte sich nicht zurückhalten, dieser Bastard. Er musste Marlene unbedingt haben, obwohl er wusste, wieviel sie mir bedeutete. Und nachdem er sie gehabt hatte, warf er sie weg wie eine Zigarette, von der er nach ein paar Zügen schon wieder genug hatte.“
„Was ist aus Marlene geworden?“, fragte Katja bewegt.
„Sie lebt heute in Genf mit einem Hotelportier aus Marokko zusammen.“
„Konnten Sie ihr ihren Fehltritt nicht verzeihen?“
„Ich hätte ihn ihr verziehen, aber Marlene verschwand bei Nacht und Nebel aus der Stadt, und als ich endlich herausfand, wo sie war, war sie bereits mit diesem Marokkaner zusammen und wollte von einer Rückkehr nach München nichts mehr wissen. Ich habe sie mit Briefen bombardiert. Irgendwann schrieb sie mir, sie hätte mit ihrem marokkanischen Lebensgefährten ein Kind. Da habe ich sie dann in Ruhe gelassen.“
„Und Ihr Bruder?“, fragte Schwester Katja.
„Ich habe jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen“, antwortete Dr. Berger rau. „Er existiert nicht mehr für mich.“
„Vielleicht tut ihm inzwischen leid, was er Ihnen angetan hat.“
„Kann sein.“ Dr. Berger zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Es interessiert mich nicht.“
„Können Sie ihm nicht vergeben?“
„Nein.“ Der Oberarzt schüttelte heftig den Kopf. „Nein, das kann ich nicht.“
„Seien Sie nicht zu hart. Genau genommen ist er zu bedauern. Vielleicht wäre er gern wie Sie, aber wer kann schon aus seiner Haut heraus?“
„Torsten ist für mich gestorben“, knurrte der Mann weiter.
„Diese Härte passt nicht zu Ihnen, Alfred“, sagte Katja Stemmle. „Möglicherweise ist es gut, dass Sie mit Marlene Heyer nicht zusammenkamen. Haben Sie sich das schon einmal überlegt? Wenn Torsten sie herumgekriegt hat, hätte das auch einem anderen Mann gelingen können. Und dann wären Sie vielleicht schon mit ihr verheiratet gewesen.“
„Sie tun ja so, als hätte mich Torsten vor einem noch größeren Schaden bewahrt.“
„Ich glaube, Marlene hat Sie nicht genug geliebt, sonst hätte Torsten bei ihr keine Chance gehabt“, befand Katja. „Zu so einer Sache gehören immer zwei, da müssen Sie mir beipflichten.“ Sie trank den letzten Schluck Kaffee. Er war schon kalt. „Wohnt Ihr Bruder ebenfalls in München?“
„Ja.“ Alfred Berger schob seine leere Kaffeetasse von sich.
„Rufen Sie ihn mal an!“, riet Schwester Katja. „Sprechen Sie sich mit ihm aus! Vergeben Sie ihm! Er ist nicht irgendjemand. Er ist kein Fremder. In seinen Adern fließt das gleiche Blut wie in Ihren. Er ist Ihr Bruder.“
Dr. Berger sah die Pflegerin an. In seinen Augen war unendlich viel Kälte.
„Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie Torsten und mich wieder zusammenbringen wollen, Katja“, sagte er. „Ich mag Sie. Ich mag Sie sehr, deshalb könnten Sie mich um jeden Gefallen bitten. Wirklich um jeden. Nur um diesen einen nicht.“ Es erstaunte Schwester Katja sehr, dass dieser freundliche, umgängliche, warmherzige Mann in diesem einen Fall so unversöhnlich war.