Читать книгу Eifersucht, Tränen und letzter Wunsch: 5 Arztromane - A. F. Morland - Страница 9
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ОглавлениеMartha Golombek war eine sehr schwierige Patientin. Da sie nicht ernsthaft krank war, konnte sie ihre Nörgeleien und Unleidlichkeiten bis zur absoluten Perfektion kultivieren und damit allen in der Paracelsus-Klinik gehörig auf die Nerven gehen. Schwester Annegret bekam für gewöhnlich alle Patienten schon nach kurzer Zeit in den Griff, doch bei Martha Golombek musste sie passen. Mit der kam auch die alte Pflegerin nicht zurecht. Frau Golombek, eine wohlhabende Geschäftsfrau, die meinte, sich alles erlauben zu dürfen, nur weil sie Geld hatte, lehnte es strikt ab, sich von Schwester Annegret betreuen zu lassen. Sie war mit einer leichten Kreislaufschwäche in die Paracelsus-Klinik gekommen und behandelte das Pflegepersonal wie Leibeigene. Jeder Wunsch, den sie äußerte, war sofort zu erfüllen, und wagte ihr jemand zu widersprechen, brüllte sie ihn mit einer Menge Beleidigungen gnadenlos nieder.
Nur Chefarzt Dr. Sören Härtling, der Leiter der Paracelsus-Klinik, durfte tun und sagen, was er wollte. Ihm ordnete sie sich total unter. Von ihm nahm sie alles an. Er war der einzige, dem sie gehorchte. Nicht, weil sie ihn für fachlich kompetent hielt, sondern weil er ihr so gut gefiel.
Sie wusste, dass er glücklich verheiratet war und vier Kinder hatte, aber das störte sie nicht im mindesten. Wenn es ihr möglich gewesen wäre, ihn für sich zu gewinnen, hätte sie es getan, ohne auch nur die geringste Rücksicht auf seine Familie zu nehmen. Das waren fremde Leute für sie. Namen, nichts weiter. Warum hätte sie auf die Rücksicht nehmen sollen? Vielleicht war sie auch deshalb so unleidlich, weil sie damit erzwingen wollte, dass Dr. Härtling sich persönlich mehr um sie kümmerte.
Doch dafür fehlte ihm die Zeit. Visiten, Besprechungen, Operationstermine, Vormittags- und Nachmittagssprechstunden und fallweise Aushilfen in der Notaufnahme sorgten für ein volles Tagesprogramm des Klinikchefs. Doch er hätte sich auch dann tunlichst von Martha Golombek ferngehalten, wenn seine Terminkalender nicht so dicht gedrängt gewesen wäre, weil er keine Lust hatte, sich von Frau Golombek umgarnen zu lassen.
Die rothaarige Siebenunddreißigjährige war zwar höchst attraktiv, aber seine Frau Jana war ihm dennoch sehr viel lieber als diese verwöhnte, egoistische und rücksichtslose Karrierefrau, der es nicht das geringste ausgemacht hätte, eine intakte Ehe zu zerstören.
Wütend stürmte Schwester Annegret ins Schwesternzimmer, in der Hand ein kleines Tablett, auf dem die für Martha Golombek bestimmten Tabletten lagen. Schwester Katja hatte die alte Kollegin noch nie so zornig gesehen. Katja - vierundzwanzig, hübsch und sanft wie ein Engel, schlank und dunkelhaarig - musterte Annegret mit ihren weichen, warmen Rehaugen.
„Ich kann einiges vertragen“, keuchte Schwester Annegret. „Und ich weiß im Allgemeinen jeden Patienten individuell zu behandeln, aber bei Frau Golombek versagen meine gesamten psychologischen Kenntnisse. Ich komme mit dieser rothaarigen Hexe einfach nicht klar.“
„Was hat es denn schon wieder gegeben?“, fragte Katja Stemmle schmunzelnd.
„Sie weigert sich, diese Tabletten von mir zu nehmen.“
„Mit welcher Begründung?“, fragte Schwester Katja.
„Sie sagt, ich wäre in ihren Augen schon zu alt, um meinen Dienst noch zuverlässig versehen zu können, und sie wolle sich von mir nicht vergiften lassen, weil ich aus - Fahrlässigkeit, Vergesslichkeit oder irgendeinem anderen Grund - ein falsches Medikament für sie aufs Tablett gelegt habe.“
Schwester Katja schüttelte den Kopf.
„Und das Ihnen - der Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit in Person.“
„Eine impertinente Frechheit, mir so etwas zu sagen. Ich arbeite seit mehr als vierzig Jahren in dieser Klinik. Mir ist in dieser langen Zeit sehr vieles untergekommen, aber so etwas musste ich mir noch nie anhören. Ich hätte große Lust, diese freche, unleidliche Person bei ihren roten Haaren zu packen, aus ihrem Bett zu zerren, den Flur entlangzuschleifen und aus der Klinik zu werfen.“ Schwester Katja lachte.
„So aggressiv kenne ich Sie ja gar nicht, Schwester Annegret. Bisher waren Sie doch immer die Ruhe selbst. Ein Fels in der Brandung. Nicht aus der Fassung zu bringen.“
„Diese Frau bringt mich zur Weißglut“, stöhnte Annegret. „Bei der kann ich mich einfach nicht beherrschen. Ich bin schließlich auch nur ein Mensch ...“
„Soll ich ihr die Tabletten bringen?“
„Das wäre sehr nett von Ihnen.“
Katja Stemmle nahm das Tablett und verließ das Schwesternzimmer.
„Zeit für Ihre Medizin, Frau Golombek“, sagte sie wenig später mit freundlicher Wärme zu der schwierigen Patientin.
Martha Golombek schob triumphierend ihr Kinn vor.
„Hat Schwester Annegret sich über mich beschwert?“
„Warum haben Sie sie so gekränkt?“, fragte Schwester Katja und gab der Frau ihre Pillen.
Martha Golombek nahm sie anstandslos und spülte sie mit Tee hinunter.
„Warum geht sie nicht in Rente?“, fragte sie hart. „Ist sie geldgierig oder was? Hält sie sich für unentbehrlich oder was?“
„Dr. Härtling ist sehr froh, dass sie noch nicht in den wohlverdienten Ruhestand tritt“, erwiderte Katja und schüttelte Frau Golombeks Kopfkissen auf.
„Ach was! Jeder Mensch ist zu ersetzen. Schwester Annegret ist zu alt für diesen schweren Beruf. Wie lange will sie denn noch hierbleiben? Bis sie tot umfällt?“
„Schwester Annegret ist nach wie vor zuverlässig und auf Grund ihrer langen Berufserfahrung fachlich beinahe so kompetent wie ein Arzt.“
„Im Alter lassen Geist und Gehör nach“, behauptete Martha Golombek. „Man kann sich nicht mehr so gut konzentrieren. Man sieht nicht mehr so gut, kann Medikamente verwechseln.“
„So etwas kann es bei Schwester Annegret nie geben.“
„Ist ja klar, dass Sie Ihre Kollegin in Schutz nehmen.“
„Schwester Annegret überprüft sämtliche Medikamente mehrmals, bevor sie sie ausgibt, deshalb kann man bei ihr einen Irrtum mit absoluter Sicherheit ausschließen.“
Martha Golombek maß Katja Stemmle mit einem unwilligen Blick.
„Ich habe eine andere Meinung von dieser alten Frau“, sagte sie giftig, „und Sie täten gut daran, mir nicht fortwährend zu widersprechen, Schwester. Es wäre nicht sehr klug von Ihnen, mich zu Ihrer Feindin zu machen.“
Die junge Schwester erwiderte nichts mehr und zog sich so rasch wie möglich zurück. Auf dem Flur standen Schwester Annegret und Chefarzt Dr. Härtling. Die alte Pflegerin hatte dem Klinikchef ihr Herz ausgeschüttet, und Sören Härtling sagte nun zu Katja Stemmle: „Schön, dass Sie für unser Annchen eingesprungen sind. Hat Frau Golombek die Medikamente von Ihnen genommen?“
Katja nickte. „Anstandslos.“
Schwester Annegrets Augen verschossen Blitze. „Ich könnte sie ...“
„Nicht doch, Annchen“, beschwichtigte Dr. Härtling die alte Pflegerin. Er hatte seinen Arztkittel bereits ausgezogen und war im Begriff gewesen, nach Hause zu gehen, als Schwester Annegret aus dem Schwesternzimmer gekommen war und ihn mit ihrer Beschwerde überfallen hatte, was für gewöhnlich nicht ihre Art war. „In ein paar Tagen sind wir Frau Golombek los und brauchen uns nicht mehr über sie zu ärgern“, sagte er. „Wenn Sie sich das immer vor Augen halten, wenn Sie mit ihr zu tun haben, wird sie Sie nicht mehr beleidigen können.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Wenn die Damen mich jetzt entschuldigen wollen. Ich werde von meiner Familie erwartet. Wir sehen uns morgen in gewohnter Frische wieder.“
Dr. Härtling verließ die Paracelsus-Klinik, stieg in seinen Wagen und fuhr heim. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Als er sein Haus betrat und Ottilie sah, sagte er: „Sie waren beim Frisör, hab ich recht?“
„Ich muss fürchterlich ausgesehen haben, wenn meine neue Frisur gleich jedem so ins Auge springt“, ächzte die Haushälterin.
Dr. Härtling schmunzelte.
„Kann man Ihnen auch mal etwas recht machen? Sagt man nichts, heißt es: Wozu lasse ich so viel Geld beim Frisör, wenn es ohnedies keinem auffällt? Nimmt man die neue Frisur zur Kenntnis, ist es auch nicht in Ordnung.“
Der Klinikchef begab sich ins Wohnzimmer, um seine Familie zu begrüßen, und kurz darauf servierte Ottilie den ersten Gang des Abendessens.